Keine doppelte Haushaltsführung bei Hauptwohnung am Beschäftigungsort
Hintergrund: Zweitwohnung am Beschäftigungsort bei einstündiger Fahrzeit von der Hauptwohnung
X war im Streitjahr 2013 nichtselbständig in der Großstadt A tätig. Er wohnte mit seiner Ehefrau und den Kindern in B. Die einfache Entfernung von B zur Arbeitsstätte in A betrug 36 km. Ende 2012 mietete X eine Zwei-Zimmer-Wohnung in A, um künftig nicht mehr täglich von B nach A pendeln zu müssen. Die Wohnung in A befand sich 6 km entfernt von der Arbeitsstätte.
Das FA lehnte den Werbungskostenabzug für doppelte Haushaltsführung in Höhe von rund 15.000 EUR ab. Ebenso entschied das FG mit der Begründung, X könne seine Arbeitsstätte von seiner Hauptwohnung in B aus in zumutbarer Weise täglich aufsuchen.
Entscheidung: Der Ort des eigenen Hausstands und der Beschäftigungsort müssen auseinanderfallen
Eine doppelte Haushaltsführung liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG). Der Ort des eigenen Hausstands und der Beschäftigungsort müssen demnach auseinanderfallen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt deshalb nicht vor, wenn der Arbeitnehmer am Beschäftigungsort aus beruflichen Gründen einen Zweithaushalt führt und der vorhandene eigene Hausstand ebenfalls am Beschäftigungsort belegen ist. Denn dann fallen der Ort des eigenen Hausstandes und der Beschäftigungsort nicht auseinander.
Eine Stunde Fahrzeit für die Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ist zumutbar
Nach dem Verständnis des BFH ist der Begriff des Beschäftigungsorts weit auszulegen. Darunter fällt nicht nur die politische Gemeinde, in der die Arbeitsstätte liegt, sondern auch die weitere Umgebung. Der BFH hat bereits entschieden, dass eine Wohnung noch dem Wohnen am Beschäftigungsort dient, wenn sie dem Arbeitnehmer ermöglicht, seine Arbeitsstätte täglich bei Wegezeiten von "etwa einer Stunde" aufzusuchen (BFH v. 19.4.2012, VI R 59/11, BStBl II 2012, 833, und v. 26.6.2014, VI r 59/13, BFH/NV 2015, 10). Hiervon ausgehend sind im Streitfall die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung nicht gegeben. Das FG hat die Fahrzeit für die Wegstrecke von 36 km mit dem PKW einschließlich eines Zuschlags aufgrund von Staus auf rund eine Stunde geschätzt und die Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit 1:05 bis 1:11 Stunden festgestellt. Unter den Bedingungen einer Großstadt und deren Einzugsbereich sind Pendelzeiten von rund einer Stunde für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte üblich und nach Auffassung des BFH ohne weiteres zumutbar.
Kein Abzug als allgemeine Werbungskosten
Die Aufwendungen können auch nicht als allgemeine Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abgezogen werden. Denn die Unterkunftskosten am Arbeitsort dienen jedenfalls zugleich dem Wohnen und damit der Privatsphäre. Aufwendungen für das Wohnen sind auch nach Aufgabe des Aufteilungs- und Abzugsverbots durch den Großen Senat des BFH (Beschluss v. 21.9.2009, GrS 1/06, BStBl II 2010,672) grundsätzlich als nicht abziehbare Aufwendungen der Lebensführung anzusehen. Das gilt hinsichtlich der Unterkunftskosten auch deshalb, weil § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG eine Spezialregelung zu § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG ist und Unterkunftskosten daher nur unter den Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden können (BFH v. 28.8.2014, V R 22/14, BFH/NV 2015, 17). Der BFH wies die Revision daher als unbegründet zurück.
Hinweis: Einschränkung der doppelten Haushaltsführung gegenüber der Verwaltungsanweisung
Die Entscheidung widerspricht der Auffassung des BMF in dem Schreiben v. 24.10.2014 (BStBl I 2014, 1412). Danach (Rz. 101) ist nicht die Fahrzeit, sondern die Wegstrecke entscheidend. Aus Vereinfachungsgründen soll von einer Zweitwohnung am Beschäftigungsort noch ausgegangen werden, wenn der Weg von der Zweitwohnung zur ersten Tätigkeitsstätte weniger als die Hälfte der Entfernung zwischen der Hauptwohnung und der ersten Tätigkeitsstätte beträgt. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall bei 36 km (Entfernung von der Hauptwohnung) zu 6 km (Entfernung von der Zweitwohnung) vor. Mit der Eine-Stunde-Regel fasst der BFH den Begriff des Beschäftigungsorts weiter als die Verwaltung. Das bedeutet eine wesentliche Einschränkung des Anwendungsbereichs der doppelten Haushaltsführung.
Zumutbarkeit aufgrund Würdigung des Einzelfalls
Der BFH ergänzt, dass die Entscheidung, ob dem Arbeitnehmer die täglich Fahrt zur Arbeitsstätte zumutbar ist, von der Würdigung der Einzelfallumstände abhängt. Deshalb kann auch die Fahrzeit nicht der alleinige Maßstab sein. Selbst bei einer regelmäßigen Fahrzeit von einer Stunde kann das Pendeln unzumutbar sein, wenn – z.B. bei schlecht ausgebautem Verkehrsnetz – mit unvorhersehbaren Verzögerungen gerechnet werden muss und der pünktliche Arbeitsbeginn gewährleistet sein muss. Im Übrigen sind auch von der Eine-Stunde-Regel Ausnahmen denkbar, z.B. wenn der Arbeitnehmer wegen Bereitschaftsdienst kurzfristig am Arbeitsplatz erscheinen muss, wenn die Arbeit schon frühmorgens allerhöchste Konzentration erfordert und eine stressbehaftete Anfahrt nicht erlaubt, wenn die einstündige Heimfahrt nach strapazierender Arbeit zu aufreibend oder bei nur kurzen Arbeitsunterbrechungen unverhältnismäßig wäre. Schließlich sollte auch nicht verkannt werden, dass es durchaus Berufstätige gibt, die sich weit über die üblichen Arbeitszeiten hinaus befleißigen und die es sich nicht zumuten, täglich zwei Stunden Zeit im Verkehr zu vergeuden.
Die Entscheidung ist zur Rechtslage bis 2013 ergangen. Ab 2014 wurde das Tatbestandsmerkmal "Beschäftigungsort" durch "erste Tätigkeitsstätte" ersetzt. Die Problematik betrifft unverändert auch die neue Rechtslage.
BFH, Urteil v. 16.11.2017, VI R 31/16, veröffentlicht am 24.1.2018
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