Kindergeld während eines Auslandsstudiums
Hintergrund
Die Entscheidung betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Kind mit ausländischen Wurzeln, das im Herkunftsland seiner Eltern ein Studium aufnimmt, seinen inländischen Wohnsitz beibehält.
Der Vater V ist deutscher Staatsangehöriger mit chinesischer Herkunft. Sein Sohn S absolvierte von September 2012 bis Juli 2013 einen Sprachkurs in China. Danach entschied er sich für ein im September 2013 beginnendes und voraussichtlich bis Juli 2017 dauerndes Studium in China. Während des Bachelorstudiums wohnte S in einem Studentenwohnheim. Verwandtschaftliche Beziehungen bestanden am Studienort nicht. S hielt sich vom 15.7. bis 30.8.2013 und vom 10.7.2014 bis 28.8.2014 im Inland auf. Ein weiterer Flug nach Deutschland war für den 11.1.2015 geplant. Während der Inlandsaufenthalte war S in der elterlichen Wohnung in seinem Kinderzimmer untergebracht.
Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung ab September 2013 (Streitzeitraum bis März 2014) mit der Begründung auf, die nur kurzzeitigen Besuche im Inland reichten nicht aus, um den Inlandswohnsitz beizubehalten. Das FG gab der Klage statt. Jedenfalls in der Anfangsphase eines Auslandsstudiums sei nicht von einem frühzeitigen Verlust des Inlandswohnsitzes auszugehen.
Entscheidung
Der BFH vertritt ebenfalls einen großzügigeren Standpunkt als die Familienkasse. Er bestätigt zunächst seine bisherige Rechtsprechung, dass bei voraussichtlicher Rückkehr innerhalb eines Jahres regelmäßig keine Aufgabe des Wohnsitzes vorliegt (Urteil v. 25.9.2014, III R 10/14, BStBl II 2015, 655). Somit war der vor dem Studium durchgeführte 10-monatige Sprachkurs unproblematisch.
Aber auch während des auf mehrere Jahre angelegten anschließenden Bachelorstudiums wurde der Inlandswohnsitz von S nicht aufgegeben. Bei der Gesamtwürdigung ist auf die Dauer der ausbildungsfreien Zeiten und die Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte abzustellen. Das Kind muss die ausbildungsfreien Zeiten im Regelfall zumindest überwiegend im Inland verbringen. Nicht erforderlich ist, dass die ausbildungsfreie Zeit "weit überwiegend" im Inland verbracht wird.
Hiervon ausgehend, hat S seinen Inlandswohnsitz beibehalten. Denn er war zu mehr als 50 % und damit den überwiegenden Teil der ausbildungsfreien Zeit im Inland. Für das Innehaben einer Wohnung kommt es allein auf die tatsächlichen Verhältnisse an. Persönliche oder finanzielle Beweggründe für unterlassene Heimreisen sind unerheblich. Nicht entscheidend ist deshalb auch, ob eine große Entfernung und die damit verbundene lange Reisedauer eine Heimreise verhindert haben. Ohne Belang ist auch, ob sich das Kind noch in der Anfangsphase oder bereits in einem fortgeschrittenen Stadium seines Studiums befindet. Zu berücksichtigen sind allerdings Umstände wie die Art der Unterbringung am Ausbildungsort und in der elterlichen Wohnung sowie die persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits. Die Herkunft der Eltern und damit indirekt die Herkunft des Kindes dürfen dagegen nicht in die Gesamtwürdigung einbezogen werden. Anders als die persönlichen Beziehungen sagt die Herkunft als solche regelmäßig nichts darüber aus, ob das Kind einen neuen Wohnsitz am Ausbildungsort begründet hat.
Hinweis
Der BFH stellt klar, dass die bisherige Rechtsprechung nicht dahin verstanden werden darf, das Kind müsse die ausbildungsfreie Zeit "weit überwiegend" im Inland verbracht haben. Die "zumindest überwiegend" im Inland verbrachte Zeit reicht aus. Das ist mehr als 50 %. So gesehen, kann es sich "lohnen", einmal mehr nach Hause zu fliegen, um den Kindergeldanspruch zu erhalten. Allerdings gilt die 50 %-Bedingung nur für den Regelfall. Die Art der Unterbringung sowie die persönlichen Beziehungen sind als weitere Indizien heranzuziehen. Mittelbar kann damit auch die Herkunft der Eltern Bedeutung gewinnen, wenn sie sich in persönlichen Beziehungen niederschlägt.
Die Einhaltung der 50 %-Grenze setzt die Feststellung der ausbildungsfreien Zeiten voraus. Das dürfte jedoch in der Praxis mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden sein. Denn viele Studenten müssen auch in den vorlesungsfreien Zeiten Kurse besuchen und Zwischenprüfungen ablegen bzw. sich auf Prüfungen vorbereiten. Die ausbildungsfreie Zeit ist daher nicht mit den sog. Semesterferien gleichzusetzen.
BFH, Urteil v. 23.6.2015, III R 38/14, veröffentlicht am 28.10.2015
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