Steuerbefreiung für Bildungsleistungen

Der EuGH hat in einem polnischen Verfahren (C-319/12) zur Umsatzsteuerbefreiung für Bildungsleistungen einer nichtöffentlichen Einrichtung entschieden. Der deutsche Gesetzgeber wollte den Ausgang dieses Verfahrens abwarten, bevor er sich erneut mit der im Rahmen des JStG 2013 gescheiterten Reform der Steuerbefreiung für Bildungsleistungen befasst.

Sachverhalt

Bei dem polnischen Verfahren ging es um die Auslegung der Art. 132 Abs. 1, Art. 133 und Art. 134 sowie Art. 168 MwStSystRL. Streitig war die Steuerbefreiung von Bildungsleistungen, sowie der Vorsteuerabzug aus hierfür bezogenen Eingangsleistungen.

Die Klägerin ist eine auf Gewinnerzielung ausgerichtete gewerbliche Anbieterin von Fachschulungen und Fachkonferenzen auf den Gebieten Steuern, Finanzen, Management usw. Sie ist nicht im Verzeichnis der nichtöffentlichen Schulen und Einrichtungen nach dem polnischen Gesetz über das Bildungssystem eingetragen.

Die Klägerin machte aus ihren Eingangsleistungen den Vorsteuerabzug geltend und trug vor, dass die von ihr erbrachten Bildungsdienstleistungen gemäß den Vorgaben der MwStSystRL nicht der MwSt-Befreiung unterlägen. Sie sei eine Einrichtung, die nicht in allgemeinem Interesse handele und keine den Einrichtungen des öffentlichen Rechts vergleichbare Zielsetzung verfolge.

Das polnische MwStG in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung sieht dagegen eine MwSt-Befreiung für alle Dienstleistungen mit Bildungscharakter vor, ohne Rücksicht auf ihr Ziel und ihre Art sowie den Leistungserbringer. Dementsprechend wurden die Leistungen der Klägerin als steuerfrei behandelt und der Vorsteuerabzug versagt.

Das vorlegende Gericht fragte den EuGH, ob nach den Art. 132 Abs. 1, Art. 133 und Art. 134 MwStSystRL eine Einbeziehung der von nichtöffentlichen Einrichtungen zu gewerblichen Zwecken erbrachten Bildungsdienstleistungen in die Mehrwertsteuerbefreiung zulässig ist (1. Vorlagefrage) und ob im Fall der Unvereinbarkeit einer solchen Befreiung der Steuerpflichtige sowohl die nationale (unionsrechtswidrige) Steuerbefreiung als auch zugleich das (unionsrechtlich zulässige) Recht auf Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen darf (2. Vorlagefrage).

Entscheidung

Der EuGH hat mit Bezug auf frühere Rechtsprechung entschieden, dass der gewerbliche Charakter einer Tätigkeit im Rahmen von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL nicht ausschließt, dass es sich dabei um eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit handelt. Der Begriff der Einrichtung in der Vorschrift ist grundsätzlich weit genug, um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen. Auch mit Blick auf die Möglichkeit, die Art. 133 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL den Mitgliedstaaten bietet, kann in den Fällen, in denen der Unionsgesetzgeber, wie in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL, die Inanspruchnahme der betreffenden Befreiung nicht ausdrücklich vom Fehlen eines Gewinnstrebens abhängig gemacht hat, das Streben nach Gewinnerzielung die Inanspruchnahme einer solchen Befreiung nicht ausschließen.

Art. 134 MwStSystRL schließt nicht aus, dass die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL sich auf private Einrichtungen erstreckt, die Bildungsdienstleistungen zu gewerblichen Zwecken erbringen. Art. 134 MwStSystRL ist nach dem vorliegenden Urteil nur auf Umsätze anwendbar, die mit den befreiten Bildungsdienstleistungen i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL eng verbunden sind, also nicht auf die im Kernbereich befreiten Bildungsumsätze.

Als Zwischenergebnis aus dem Urteil ist festzuhalten, die Art. 132 Abs. 1 Buchst. i, 133 und 134 MwStSystRL stehen einer Steuerbefreiung für Bildungsdienstleistungen, die von nicht öffentlichen Einrichtungen zu gewerblichen Zwecken (z.B. gewerbliche Seminaranbieter) erbracht werden, nicht entgegen.

Allerdings sind nach weiteren Urteilsgründen Bildungsleistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL nur dann befreit, wenn sie von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit Bildungsaufgaben betraut sind, oder von anderen Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung erbracht werden. Die privaten Einrichtungen müssen somit die Voraussetzung erfüllen, dass sie eine vergleichbare Zielsetzung wie die genannten Einrichtungen des öffentlichen Rechts haben. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i ist nach dem Urteil insoweit eindeutig, dass die Vorschrift es nicht zulässt, Bildungsdienstleistungen sämtlicher privater Einrichtungen zu befreien, auch von Einrichtungen, deren Zielsetzung nicht mit der von Einrichtungen des öffentlichen Rechts vergleichbar ist.

Es ist nach dem Urteil aber grundsätzlich Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, die Regeln aufzustellen, nach denen die Zielsetzung privater Einrichtungen mit der von öffentlichen Einrichtungen vergleichbar ist. Hierbei ist insbesondere der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten.

Zur 2. Frage hat der EuGH entschieden, dass das Unionsrecht es nicht zulässt, gleichzeitig eine Steuerbefreiung für einen Ausgangsumsatz und für damit zusammenhängende Eingangsumsätze den Vorsteuerabzug geltend zu machen. Im vorliegenden Fall kann der Kläger sich jedoch ggf. auf die Unvereinbarkeit der polnischen Steuerbefreiung mit dem Unionsrecht berufen und den Vorsteuerabzug geltend machen. Es ist Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob die polnische Steuerbefreiung unionsrechtlich gerechtfertigt ist, d.h. ob Polen den ihm zustehenden Ermessensspielraum unionsrechtskonform ausgeschöpft hat.

Praxishinweis

Hinsichtlich der Antwort des EuGH auf die 1. Vorlagefrage ist das derzeitige deutsche Umsatzsteuerrecht von dem Urteil unmittelbar betroffen, da die Steuerbefreiung für Bildungsleistungen privater Anbieter nach § 4 Nr. 21 und 22 UStG (anders als die polnische Regelung) nur für bestimmte anerkannte Einrichtungen gilt, die eine mit Einrichtungen des öffentlichen Rechts vergleichbare Zielsetzung aufweisen. Zwar sah die im Rahmen des Referentenentwurfs des JStG 2013geplante Neufassung von § 4 Nr. 21 UStG auch insoweit noch eine entsprechende Einschränkung vor, nach dem Gesetzentwurf wären jedoch wesentlich mehr Bildungs- bzw. Fortbildungsleistungen (insbesondere Leistungen von Seminarveranstaltern) unter die Steuerbefreiung fallen, als bisher.

Mit der im Referentenentwurfs des JStG 2013geplanten Neufassung des § 4 Nr. 21 UStG sollte die Terminologie des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL weitgehend übernommen werden. Danach sind u. a. Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung von der Umsatzsteuer zu befreien. Die Neufassung des § 4 Nr. 21 UStG sollte im Ergebnis zu einer umfassenden unionsrechtskonformen Umsatzsteuerbefreiung für Bildungsleistungen führen. Voraussetzung sollte insbesondere sein, dass diese Leistungen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder durch andere Einrichtungen mit vom betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung erbracht werden.

Durch die seinerzeit geplante Neufassung des § 4 Nr. 21 UStG sollte zudem die nach der derzeitigen nationalen Rechtslage für die Steuerbefreiung von Leistungen nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb und Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG bestehende Notwendigkeit einer Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde, als Nachweis dafür, dass die Leistung auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet, wegfallen.

Bildungsleistungen sind nach dem derzeit geltenden § 4 Nr. 21 und § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG von der Umsatzsteuer befreit. Nach § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG sind umsatzsteuerfrei nur unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Leistungen privater Schulen und anderer allgemein bildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn sie als Ersatzschulen staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt oder wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Gem. § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG erstreckt sich die Umsatzsteuerbefreiung auch auf die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Unterrichtsleistungen selbständiger Lehrer an Hochschulen sowie an öffentlichen allgemein bildenden oder berufsbildenden Schulen oder an privaten Schulen und anderen allgemein bildenden oder berufsbildenden Einrichtungen mit staatlich anerkannter Zielsetzung. Nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG werden zudem die Vorträge, Kurse und andere Veranstaltungen wissenschaftlicher und belehrender Art, die von den dort abschließend genannten Einrichtungen durchgeführt werden, von der Umsatzsteuer befreit, wenn die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden.

Die Koalitionsfraktionen hatten im Gesetzgebungsverfahren zum JStG 2013 die Neufassung des § 4 Nr. 21 UStG abgelehnt; dies insbesondere weil es derzeit unionsrechtlich nicht möglich ist, im nationalen Recht für privat-gewerbliche Fortbildungsanbieter eine Option zu Steuerpflicht (wie für die Umsätze nach § 9 UStG) zu schaffen, wie es sie im niederländischen Recht gibt. Man hatte sich aber darauf verständigt, die Gesetzesänderung im Licht des vorliegenden EuGH-Urteils erneut zu prüfen.

Eindeutig ist das Urteil insoweit, als es eine Steuerbefreiung z. B. gewerblicher Seminaranbieter nicht grundsätzlich ausschließt. Der EuGH gibt jedoch keine konkrete Antwort darauf, nach welchen Kriterien die Zielsetzung einer privaten Bildungseinrichtung mit der einer öffentlichen Bildungseinrichtung vergleichbar ist, so dass auch Bildungsleistungen privater Einrichtungen zu befreien wären. Der Gesetzentwurf für das JStG 2013 sah insoweit vor, dass ein Unternehmer für die Anerkennung als Bildungseinrichtung nicht mehr bestimmte sachliche bzw. organisatorische Voraussetzungen erfüllen muss. Vielmehr wäre nach der Planung des Gesetzentwurfs nach § 4 Nr. 21 Satz 2 UStG-E eine mit einer öffentlichen Bildungseinrichtung vergleichbare Zielsetzung privatrechtlicher Einrichtungen bereits dann gegeben, wenn die Leistungen dieser Einrichtung geeignet sind, dem Teilnehmer spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Damit hebt der Gesetzentwurf offensichtlich darauf ab, dass die Befreiung immer dann in Betracht kommt, wenn die Einrichtung (privat oder öffentlich) nicht lediglich Leistungen anbietet, die der Freizeitgestaltung dienen.

Ob diese Abgrenzung mit dem vorliegenden Urteil vereinbar ist, könnte zweifelhaft sein. Der EuGH hat entschieden, dass eine Gleichbehandlung privater Einrichtungen und öffentlicher Einrichtungen voraussetzt, dass die privaten Einrichtungen eine vergleichbare Zielsetzung wie die genannten Einrichtungen des öffentlichen Rechts haben. Es kommt somit für den EuGH offenbar auf die Verhältnisse der Einrichtung selbst an und nicht auf den Zweck, der mit den angebotenen Bildungsleistungen verfolgt wird (Bildung einerseits und Freizeitgestaltung andererseits). Somit könnte es z. B. entscheidend sein, ob eine private Einrichtung einen öffentlichen oder damit vergleichbaren Bildungsauftrag erfüllt bzw. von ihrer Struktur und Organisation her mit einer öffentlichen Einrichtung vergleichbar ist. Es ist somit vorläufig abzuwarten, ob und inwieweit mit Blick auf das vorliegende Urteil die Planungen im Entwurf des JStG 2013 für eine Reform der Steuerbefreiung von Bildungsleistungen in der neuen Legislaturperiode wieder aufgegriffen werden.

Zur 2. Vorlagefrage schien sich aus der vom vorlegenden Gericht zitierten EuGH-Rechtsprechung (Urteil v. 14.12.2006, C-401/05 (VDP Dental Laboratory)) bereits eindeutig zu ergeben, dass sich ein Unternehmer nicht einerseits auf eine unionsrechtswidrige Steuerbefreiung berufen und gleichzeitig den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen kann. In den Schlussanträgen vom 7.9.2006 zu diesem Urteil hatte die Generalanwältin Kokott ausgeführt (Rz. 95): „Wenn keine Möglichkeit besteht, das nationale Recht konform mit Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie auszulegen, kann sich der Einzelne unmittelbar auf die Richtlinie berufen, um den Anspruch auf Vorsteuerabzug zu erlangen. Sowohl Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e als auch Art. 17 Abs. 1 und 2 der 6. EG-Richtlinie sind hierfür hinreichend bestimmt. Allerdings scheidet eine ‚asymmetrische Berufung‘ auf die Richtlinie aus, d. h. der Steuerpflichtige kann grundsätzlich nicht gestützt auf die Richtlinie den Abzug der Vorsteuer geltend machen, ohne dass die Ausgangsumsätze versteuert werden“. Dies hat der EuGH vorliegend bestätigt.

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