Übertragung eines Miteigentumsanteils als Lieferung

Die Veräußerung des Miteigentumsanteils an einer Sache kann Gegenstand einer Lieferung sein (Änderung der Rechtsprechung).

Hintergrund

Der Kunsthändler K ersteigerte in 2008 bei einer Auktion in München ein künstlerisch wertvolles Buch für 131.000 EUR. Ebenfalls in 2008 verkaufte er einen Anteil von 50 % daran an eine in London ansässige Galerie für 65.500 EUR. Der Galerist holte das Buch in München ab und transportierte es im Handgepäck nach London. K behandelte die Veräußerung als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung. Im März 2010 verkaufte die Galerie das Buch an eine amerikanische Sammlung. Erst im Anschluss daran, im Mai 2010, verkaufte K auch die bei ihm verbliebene hälftige Beteiligung für 240.000 an die Galerie.

Das FA vertrat die Auffassung, bei der Veräußerung der Miteigentumsanteile handele es sich nicht um Lieferungen, sondern um sonstige Leistungen. Die im Streitjahr 2008 erbrachte Leistung sei nach § 3a Abs. 1 UStG a.F. (Sitzortprinzip) an dem Ort ausgeführt worden, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibe und damit im Inland steuerbar und steuerpflichtig. Bei der zweiten Veräußerung liege der Ort dagegen - nach der Neuregelung durch § 3a Abs. 2 UStG in der Fassung ab 2010 (Empfängerortprinzip) - in London, sodass diese nicht mehr im Inland steuerbar sei.

Das FG gab der Klage statt. Es qualifizierte die Veräußerung des Miteigentumsanteils in 2008 ebenso wie K als Lieferung. Diese sah es als steuerfrei an, da der Miteigentumsanteil unstreitig nach Großbritannien verbracht wurde.

Entscheidung

Die bisherige Rechtsprechung der Umsatzsteuersenate (V. und XI. Senat, zuletzt Urteil v. 27.4.1994, XI R 91-92/92, BStBl II 1994, 826), ebenso die Finanzverwaltung (Abschn. 3.5 Abs. 3 Nr. 2 UStAE) sowie Teile des Schrifttums sind der Auffassung, dass es sich bei der Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem Gegenstand um eine sonstige Leistung handele. An dieser Rechtsprechung hält der BFH nicht mehr fest. Er geht jetzt davon aus, dass bei der Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem Gegenstand eine Lieferung vorliegt.

Die Beurteilung als sonstige Leistung wäre mit dem Unionsrecht nicht vereinbar. Danach können auch "Gebäudeteile" Gegenstand einer Lieferung sein (Art. 12 Abs. 1 Buchst. a, Art. 135 Abs. 1 Buchst. j, Art. 137 Abs. 1 Buchst b MwStSystRL). Das setzt voraus, dass bei einem Gegenstand gleichzeitig mehrere Lieferungen bewirkt werden können. Dementsprechend hat der EuGH sowohl die Einräumung eines Besitzrechts an einem bebauten Grundstück als auch die eng damit verbundene Übertragung des "Resteigentums" an einen anderen Erwerber jeweils als Lieferung beurteilt (EuGH v. 15.12.2005, C-63/04 Centralan Property Ltd.). Die Aufspaltung der Verfügungsmacht entspricht der Rechtsposition eines Miteigentümers, über seinen Miteigentumsanteil frei zu verfügen. Miteigentum nach Bruchteilen ist seinem Wesen nach dem Alleineigentum gleichartig, sodass der Miteigentümer dieselbe Rechtsposition hat wie ein Eigentümer. Das wird dadurch bestätigt, dass das Miteigentum als Bruchteil an einem körperlichen Gegenstand - ebenso wie das Volleigentum als dessen wesensgleiches Minus - im Wirtschaftsleben wie ein körperlicher Gegenstand behandelt wird.

Im Streitfall übertrug K der Galerie die Befugnis, über das Buch wie ein Miteigentümer zu verfügen. Das ergibt sich insbesondere daraus, dass dem Betreiber der Galerie nicht nur der Besitz eingeräumt wurde, sondern auch gestattet war, das Buch zu begutachten und kunsthistorisch zu erforschen. Bereits bei der Veräußerung des Miteigentumsanteils war der Weiterverkauf durch die Galerie beabsichtigt, obwohl ihr der restliche Hälfteanteil von K erst danach übertragen wurde.

Bei der Veräußerung des hälftigen Miteigentumsanteils handelt es sich um eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung. Dem steht nicht entgegen, dass K den Beleg- und Buchnachweis nicht erbracht hat. Denn das Buch wurde unstreitig von dem Galeristen direkt von München nach London verbracht.

Hinweis

Da der XI. Senat der Rechtsprechungsänderung durch den V. Senat zugestimmt hat, konnte der V. Senat die bisherige Rechtsprechung aufgeben, ohne dass eine Anrufung des Großen Senats erforderlich war. Mit der Rechtsprechungsänderung schließt sich der BFH der ganz überwiegend im Schrifttum vertretenen Auffassung an, dass ein Miteigentumsanteil Gegenstand einer Lieferung (nicht einer sonstigen Leistung) sein kann.

BFH, Urteil v. 18.2.2016, V R 53/14, veröffentlicht am 6.4.2016

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