Vorsteuerabzug bei Steuerhinterziehung durch Umsatzsteuerkarusselle
Steuerhinterziehung bei der Umsatzsteuer
Die klagende Getränkegroßhändlerin machte für die Streitjahre 2009 und 2010 unter anderem Vorsteuern aus Rechnungen der P GmbH geltend. Die abgerechneten Getränkelieferungen wurden von der P GmbH tatsächlich an die Klägerin erbracht. Insoweit erfolgte keine Steuerhinterziehung.
Jedoch hatte die P GmbH die an die Klägerin gelieferten Getränke nachweislich unter Begehung mehrerer Umsatzsteuerhinterziehungen bezogen. Das Finanzamt versagte deshalb der Klägerin den Vorsteuerabzug auf (die tatsächlich bezogenen) Eingangsleistungen der P GmbH, weil "die Klägerin mit ihrem Unternehmen Teil einer Lieferkette gewesen sei, in der Umsatzsteuerhinterziehungen begangen worden seien". Die P GmbH habe unter Beteiligung des Ehemannes der Klägerin Vorsteuern aus dem Einkauf von verschiedenen Getränken hinterzogen, die anschließend unter anderem an die Klägerin weiterverkauft worden seien.
Rechtsprechung zur Vorsteuerversagung
Eine Vorsteuerversagung für oben genannte Fälle war in den Streitjahren 2009 und 2010 gesetzlich nicht vorsehen. Die nationale höchstrichterliche Rechtsprechung sieht, unter Rückgriff auf die EuGH-Rechtsprechung, z. B. EuGH, Urteil v. 18.5.2017, C-624/15 , eine solche Versagung gleichwohl dann für geboten an, "wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der betreffende Umsatz in eine vom Lieferer begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde" (vgl. z. B. BFH, Urteil v. 21.6.2018, V R 28/16).
Vorliegend haben weder die Klägerin mit der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs aus den Getränkelieferungen der P GmbH noch die P GmbH als Lieferer der Ware mit den hier streitigen Lieferungen eine Steuerhinterziehung begangen. Deshalb erscheint dem FG Berlin-Brandenburg im Ausgangsverfahren allein entscheidend, ob die streitigen Umsätze Teil einer "Lieferkette" gewesen sind, innerhalb derer eine Steuerhinterziehung stattgefunden hat. Der vom EuGH verwendete Begriff "Lieferkette" ist von diesem – soweit ersichtlich – bislang nicht näher definiert worden. Das FG Berlin-Brandenburg legt daher dem EuGH folgende Auslegungsfragen vor:
- Sind Art. 167 MwStSystRL und Art. 168 Buchst. a MwStSystRL dahingehend auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsanwendung entgegenstehen, nach der ein Vorsteuerabzug auch dann zu versagen ist, wenn auf einer vorhergehenden Umsatzstufe eine Umsatzsteuerhinterziehung begangen wurde und der Steuerpflichtige hiervon Kenntnis hatte oder hätte haben müssen, er mit dem an ihn erbrachten Umsatz aber weder an der Steuerhinterziehung beteiligt noch in diese einbezogen war und die begangene Steuerhinterziehung auch nicht gefördert oder begünstigt hat?
- Sind die materiellen und formellen Voraussetzungen für die Entstehung und Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt, ist gleichwohl eine Versagung des Vorsteuerabzugs unionsrechtlich geboten, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der betreffende Umsatz in eine vom Lieferer begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der "Lieferkette" bei einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde.
Das Klageverfahren war bis zur Bekanntgabe der Vorabentscheidung des EuGH über die vorgelegte Rechtsfrage auszusetzen.
Gesetzliche Regelung zu Umsatzsteuerkarussellen
Die oben genannte BFH- und EuGH-Rechtsprechung zur Umsatzsteuerhinterziehung durch sog. Umsatzsteuerkarusselle hat der Gesetzgeber gesetzlich umgesetzt durch § 25d UStG (Haftung für vorsätzlich nicht abgeführte Umsatzsteuer des Vorlieferanten zum 1.1.2002) – später ersetzt durch § 25f UStG (Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung bei Beteiligung an einer Steuerhinterziehung für Umsätze ab 1.1.2020).
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