Verlustfeststellung bei (nacherklärten) Einkünften nach § 23 EStG
Hintergrund: Geltendmachung privater Veräußerungsverluste nach bestandskräftiger ESt-Festsetzung
Streitig war, ob nacherklärte Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften gesondert festgestellt werden können.
Die Eheleute hatten für 2007/2008 keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erklärt und waren bestandskräftig veranlagt worden. In 2014 reichten sie eine "Nachmeldung" ein, mit der sie (weitere) Einkünfte der Ehefrau aus Kapitalvermögen sowie Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften (mit Wertpapieren) erklärten.
Das FA berücksichtigte in den folgenden Änderungsbescheiden die Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften wegen groben Verschuldens am nachträglichen Bekanntwerden nicht. Den Antrag, verbleibende Verlustvorträge zum 31.12.2007/2008 nach § 10d Abs. 4 EStG festzustellen, lehnte es wegen Teilverjährung der ESt-Bescheide ab.
Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Eine Verlustfeststellung scheide nach § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG aus, da (wegen der Verlustausgleichsbeschränkung) die privaten Veräußerungsverluste den ESt-Festsetzungen nicht zugrunde gelegt worden seien. Die Verlustfeststellung ergebe sich auch nicht aus § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG, da die Änderung der ESt-Bescheide nicht lediglich wegen der fehlenden Auswirkung auf die Höhe der ESt unterbleibe, sondern auch wegen der verfahrensrechtlichen Unabänderbarkeit der Bescheide.
Entscheidung: Bindung an die ESt-Bescheide
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Eine Verlustfeststellung ist infolge der (insoweit) bestandskräftig gewordenen ESt-Bescheide, denen keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften zu Grunde liegen, ausgeschlossen, da weder die Voraussetzungen für eine Änderung nach den AO-Korrekturvorschriften noch die des § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG (Unterbleiben einer Bescheidänderung mangels steuerlicher Auswirkung) vorliegen.
Rechtliche Voraussetzungen
Nach § 10d Abs. 4 Satz 4 Halbsatz 1 EStG sind bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie den ESt-Festsetzungen des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, und des Veranlagungszeitraums, in dem ein Verlustrücktrag vorgenommen werden kann, zu Grunde gelegt wurden. Nach Halbsatz 2 gelten § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 351 Abs. 2 AO, § 42 FGO. Die Besteuerungsgrundlagen dürfen bei der Feststellung nur insoweit abweichend von § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt (§ 10d Abs. 4 Satz 5 EStG).
Anwendung von § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG auf private Veräußerungsgeschäfte
Das ergibt sich bereits aus der Verweisung in § 23 Abs. 3 Satz 8 Halbsatz 2 EStG. Hätte der Gesetzgeber die Bindung der Verlustfeststellung an die ESt-Festsetzung für den Bereich der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften einschränken wollen, hätte er dies im JStG 2010 deutlich machen müssen. Die Verlustfeststellung muss daher entfallen, wenn der ESt-Bescheid nicht mehr änderbar ist (BFH v. 12.7.2016, IX R 31/15, BStBl II 2018, 699, Rz 17). Eine erstmalige Verlustfeststellung für nachträglich erklärte Verluste soll nach Bestandskraft des ESt-Bescheids - zur Sicherung des Rechtsfriedens - nur noch zulässig sein, wenn auch der Steuerbescheid geändert werden kann.
Bestandskräftige Bescheide
Liegt – wie im Streitfall – ein bestandskräftiger ESt-Bescheid (ohne Berücksichtigung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften) für das Verlustentstehungsjahr vor, entfaltet dieser Bindungswirkung für die Verlustfeststellung. Der Erlass bzw. die Änderung des Verlustfeststellungsbescheids setzt dann voraus, dass der korrespondierende ESt-Bescheid verfahrensrechtlich geändert wird oder dass die Änderung allein wegen fehlender steuerlicher Auswirkung unterbleibt (BFH v. 22.1.2013, IX R 11/12, BFH/NV 2013, 1069, Rz 14).
Keine Ausnahme von der Bindungswirkung nach § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG
Die Vorschrift sieht eine Ausnahme von der Bindungswirkung der ESt-Festsetzung vor, wenn der ESt-Bescheid zwar dem Grunde nach (verfahrensrechtlich) korrigiert werden könnte, dies aber allein deshalb unterbleibt, weil sich die Höhe der Steuer nicht ändert. Dann soll auf die Korrektur des ESt-Bescheids verzichtet werden. Dabei kann sich die fehlende steuerliche Auswirkung zwar sowohl aus tatsächlichen Umständen als auch aus rechtlichen Gründen ergeben. Zu den rechtlichen Gründen gehören auch gesetzliche Verlustausgleichsbeschränkungen wie § 23 Abs. 3 Satz 7 EStG (BFH v. 20.7.2018, IX R 28/17, BFH/NV 2019, 110, Rz. 25). Im Streitfall fehlen allerdings die Änderungsvoraussetzungen für die ESt-Bescheide 2007/2008, so dass es bei der Bindungswirkung der ESt-Festsetzungen bleibt (BFH v. 13.1.2015. IX R 22/14, BStBl II 2015, 829, Rz 15). Dabei kann offen bleiben, ob eine Korrektur wegen groben Verschuldens am nachträglichen Bekanntwerden der Veräußerungsverluste ausgeschlossen ist. Denn der Änderung der ESt-Bescheide steht jedenfalls Festsetzungsverjährung entgegen. Diese war im Zeitpunkt der "Nachmeldung" der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Dezember 2014 bereits eingetreten. Eine Änderung der ESt-Bescheide kommt damit nicht mehr in Betracht. Denn die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der ESt-Bescheide 2007/2008 unterbleibt nicht allein mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer.
Hinweis: Trennung in ESt-Veranlagung und Verlustfeststellung
Die Entscheidung verdeutlicht die Abhängigkeit der nachträglichen Verlustfeststellung von der ESt-Festsetzung. Liegen die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Änderung des ESt-Bescheids nicht vor, ist § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG nicht anwendbar (BFH v. 11.10.2017, IX R 15/17, BFH/NV 2018, 433). Für eine Verlustfeststellung kann daher die Anfechtung des ESt-Bescheids auch dann angebracht sein, wenn sich der Verlust nicht steuermindernd auswirkt.
BFH Urteil vom 28.07.2021 - IX R 29/19 (veröffentlicht am 04.11.2021)
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