Sind die Vorschriften über die Einheitsbewertung noch verfassungsgemäß?
Hintergrund
Einheitswerte werden nach § 19 Abs. 1 BewG für inländischen Grundbesitz (Betriebe der Land- und Forstwirtschaft, Betriebsgrundstücke und andere Grundstücke) festgestellt. Sie bilden zusammen mit den Steuermesszahlen und den von den Gemeinden festgelegten Hebesätzen die Grundlage für die Bemessung der Grundsteuer. Maßgebend für die Feststellung der Einheitswerte sind in den alten Bundesländern und in West-Berlin die Wertverhältnisse für den Grundbesitz im Hauptfeststellungszeitpunkt 1.1.1964.
Der BFH hat die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens trotz der verfassungsrechtlichen Zweifel, die sich aus dem lange zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunkt und den darauf beruhenden Wertverzerrungen ergeben, bislang stets als verfassungsgemäß beurteilt – und zwar auch noch für Feststellungszeitpunkte bis zum 1.1.2007 (z.B. BFH, Urteil v. 30.6.2010, II R 60/08, BstBl II 2010 S. 897). Allerdings hat der BFH in der zitierten Entscheidung darauf hingewiesen, dass das weitere Unterbleiben einer allgemeinen Neubewertung des Grundvermögens mit verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht vereinbar ist. Nachdem eine allgemeine Neubewertung zwischenzeitlich nicht erfolgt ist, hat der BFH seine Ankündigung wahr gemacht: Er hält die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens (spätestens) ab dem Feststellungszeitpunkt 1.1.2009 für verfassungswidrig und hat die Frage dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt.
Im Streitfall hatte K im Jahr 2008 im Wege der Zwangsversteigerung Teileigentum (Ladenlokal) an einem im ehemaligen Westteil von Berlin gelegenen Mehrfamilienhaus erworben. Das Finanzamt rechnete das Objekt dem K zu und wies in dem Bescheid darauf hin, dass der Einheitswert wie bisher 21.576 € betrage. Diesen Einheitswert hatte das Finanzamt auf den 1.1.1994 gegenüber dem Voreigentümer festgestellt. K war der Ansicht, dass dieser Einheitswert ihm gegenüber keine Bindungswirkung entfalten könne, weil die Einheitsbewertung des Grundvermögens wegen des lange zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunkts verfassungswidrig sei. Das Finanzgericht wies die Klage des K, mit dem dieser die ersatzlose Aufhebung des Einheitswerts beantragt hatte, ab.
Entscheidung
Der BFH folgte der Auffassung des K. Er geht ebenfalls von der Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewertung des Grundvermögens aus und legte die Sache dem BVerfG zur Entscheidung vor.
In dem Vorlagebeschluss führte der BFH aus, dass die fortdauernde Maßgeblichkeit der veralteten Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt 1.1.1964 spätestens seit dem Feststellungszeitpunkt 1.1.2009 nicht mehr mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung des Steuerrechts vereinbar sei und deshalb gegen Art. 3 Abs.1 GG verstoße. Durch den Verzicht des Gesetzgebers auf spätere weitere Hauptfeststellungen sei es zu erheblichen Wertverzerrungen bei den Einheitswerten gekommen. Diese Wertverzerrungen würden auch nicht dadurch kompensiert, dass bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eine Wertfortschreibung gemäß § 22 BewG vorzunehmen sei.
Die Hauptursache für die erheblichen Wertverzerrungen sieht der BFH in dem Umstand, dass die seit 1964 eingetretene rasante städtebauliche Entwicklung besonders im großstädtischen Bereich, die Fortentwicklung des Bauwesens nach Bauweise, Konstruktion und Objektgröße sowie andere tiefgreifende Veränderungen im Immobilienmarkt keinen angemessenen Niederschlag im Einheitswert finden würden. So könnten z.B. heute maßgebliche wertbildende Faktoren wie Energieeffizienz oder das Vorhandensein von Solaranlagen, Wärmepumpen, Lärmschutz oder Anschlüssen an Hochgeschwindigkeitsdatennetze zwangsläufig nicht im Einheitswert abgebildet werden, weil die „Merkmale für die Beurteilung der baulichen Ausstattung bei Gebäuden“ (vgl. Anlage 13 zu Abschnitt 38 der Richtlinien für die Bewertung des Grundvermögens) auf die Verhältnisse und den Ausstattungsstandard im Hauptfeststellungszeitpunkt fixiert seien und seit 1966 im Wesentlichen unverändert angewendet würden.
Hinweis
1. Bis das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung des Grundvermögens entschieden haben wird, sind die Finanzämter nicht gehindert, Einheitswertbescheide , Grundsteuermessbescheide und Grundsteuerbescheide nach bisher geltendem Recht zu erlassen. Auch die Beitreibung von Grundsteuer ist weiterhin möglich. Allerdings werden die Finanzämter die entsprechenden Bescheide für vorläufig zu erklären haben.
2. Die Entscheidung des BFH darf nicht dahingehend verstanden werden, dass dieser die sich aus der Einheitsbewertung ergebende Grundsteuerbelastung insgesamt für zu niedrig erachtet. Vielmehr geht es ihm allein um eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung der Grundsteuerbelastung. Insoweit ist der BFH der Auffassung, dass nur durch eine neue Hauptfeststellung gewährleistet werden kann, dass die einzelnen wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens innerhalb der jeweiligen Gemeinde im Verhältnis zueinander realitätsgerecht bewertet werden.
3. Dem Erfordernis einer neuen Hauptfeststellung kann nicht entgegen gehalten werden (wie es der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen getan hat), dass sich die Hauptfeststellung auf das gesamte Bundesgebiet erstrecken müsste und die Länder im Beitrittsgebiet zu deren Durchführung nicht der Lage seien. Auch im Beitrittsgebiet ist nach Ansicht des BFH eine erneute Hauptfeststellung verfassungsrechtlich geboten. Da dort die Wertverhältnisse auf den 1.1.1935 festgeschrieben sind (§ 129 BewG), wiegen die hiergegen bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken noch schwerer als im alten Bundesgebiet. Die in § 129 ff. BewG getroffenen Regelungen können – so der BFH – wegen der inzwischen verstrichenen Zeit nicht mehr mit Übergangsschwierigkeiten nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands gerechtfertigt werden. Damit gibt der BFH seine früher vertretene Auffassung (so noch im Beschluss v. 12.1.2006, II B 56/05, BFH/NV 2006 S. 919) ausdrücklich auf.
Beschluss v. 22.10.2014, II R 16/13, veröffentlicht am 3.12.2014
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