Wirtschaftliches Eigentum bei Ausübung eines Vorkaufsrechts
Hintergrund: Neue Vereinbarung nach Ausübung eines Vorkaufsrechts
Die Grundstückseigentümerin (A) schloss im Januar 2006 mit einer KG einen notariell beurkundeten Kaufvertrag über ein aus mehreren Einheiten bestehendes Grundstück. Der Übergang von Nutzen und Lasten sollte vertraglich zum Januar 2006 erfolgen. Das FA führte daher zunächst Zurechnungsfortschreibungen auf die KG auf den 1.1.2007 durch.
Allerdings stand der X ein Vorkaufsrecht zu, das sie im April 2006 ausgeübte. Im Juli 2006 wurde zugunsten der X eine Vormerkung eingetragen. Die KG klagte erfolglos gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts. Das Urteil wurde im April 2010 rechtskräftig.
X erwarb sodann im September 2010 das Grundstück aufgrund eines ergänzenden Vertrags mit A zur Abwicklung des Vorkaufsrechts. Für den Übergang von Besitz, Nutzen und Lasten wurde - abweichend vom ursprünglich zwischen der A und der KG geschlossenen Vertrag – der September 2010 vereinbart, da die KG bis dahin das Grundstück in Besitz hatte.
Nach Kenntnis von der rechtskräftigen Ausübung des Vorkaufsrechts rechnete das FA mit EW-Bescheiden vom November/Dezember 2010 die wirtschaftlichen Einheiten der X zu und erließ entsprechende GrSt-Messbescheide (Neuveranlagung auf den 1.1.2007). X sei als Vorkaufsberechtigte in alle vertraglichen Verpflichtungen zwischen der A und der KG eingetreten. Das gelte auch für die Vereinbarung des Übergangs von Besitz, Nutzen und Lasten zum Januar 2006.
X wandte ein, sie sei nicht bereits in 2006, sondern erst im September 2010 (aufgrund des Vertrags mit A) wirtschaftliche Eigentümerin geworden.
Das FG wies die Klage ab. X habe aufgrund der rechtskräftigen Ausübung des Vorkaufsrechts (rückwirkend) das Verwertungsrecht durch Nutzung oder Veräußerung des Grundbesitzes zugestanden.
Entscheidung: Wirksamkeit der abweichenden Vereinbarung
Der BFH widerspricht dem FG. Das FG-Urteil und die angefochtenen Bescheide wurden aufgehoben. Der Grundbesitz war der X nicht bereits zum 1.1.2007 zuzurechnen.
Wirtschaftliches Eigentum an einem Grundstück
Der Erwerber eines Grundstücks erlangt wirtschaftliches Eigentum regelmäßig ab dem Zeitpunkt, ab dem er nach dem Willen der Vertragspartner wirtschaftlich über das Grundstück verfügen kann. Damit sind die Sachherrschaft und das Nutzungsrecht die wesentlichen Merkmale des wirtschaftlichen Eigentums. Abzustellen ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse. Danach kann wirtschaftliches Eigentum auch dann anzunehmen sein, wenn einzelne Merkmale nicht in vollem Umfang vorliegen (z.B. BFH v. 12.12.2007, X R 17/05, BStBl II 2008, 579). Der Besitz des Erwerbers bzw. dessen Recht, die Nutzungen zu ziehen – vor allem im Vorstadium eines geplanten zivilrechtlichen Eigentumserwerbs – sind jedoch unerlässlich.
Wirtschaftliches Eigentum bei Ausübung eines Vorkaufsrechts
Mit der Ausübung eines Vorkaufsrechts kommt der Kauf zwischen dem Berechtigten (X) und dem Verpflichteten (A) unter den Bestimmungen zustande, die der Verpflichtete mit dem Dritten (KG) vereinbart hat (§ 464 Abs. 2 BGB). Allerdings können Grundstückseigentümer (A) und Vorkaufsberechtigter (X) vereinbaren, dass für das Kaufverhältnis zwischen diesen beiden Personen andere Bestimmungen als für den ursprünglich mit dem Dritten geschlossenen Vertrag gelten sollen. Insbesondere können (wenn Besitz, Nutzen und Lasten bereits vor der Ausübung des Vorkaufsrechts auf den Dritten übergegangen sind) der Eigentümer und der Vorkaufsberechtigte den Übergang abweichend von dem ursprünglichen Kaufvertrag auf einen späteren Zeitpunkt festlegen.
Abweichende Vereinbarung über den Übergang von Nutzen und Lasten
Hiervon ausgehend ist X nicht bereits im Januar 2006 oder zum Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts (April 2006) wirtschaftliche Eigentümerin geworden. Denn mit der Ausübung des Vorkaufsrechts im April 2006 kam zwischen A und X ein neuer Kaufvertrag zu den Bedingungen des Vertrags zwischen der A und der KG zustande. Allerdings regelten die Vertragsparteien in dem Vertrag vom September 2010 ausdrücklich in Abweichung vom ursprünglichen Vertrag, dass der Übergang von Besitz, Nutzen und Lasten auf die X (ungeachtet des Zeitpunkts der Ausübung des Vorkaufsrechts) erst später (im September 2010) erfolgen sollte. Daher wurde X erst zu diesem Zeitpunkt wirtschaftliche Eigentümerin.
Kein wirtschaftliches Eigentum aufgrund der Vormerkung
Dass sich X ihre Rechtsstellung durch Eintragung einer Eigentumsübertragungsvormerkung sichern ließ, ist für den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums unerheblich. Die Vormerkung allein verschaffte ihr nicht die Stellung einer wirtschaftlichen Eigentümerin. Die Wirkung einer Vormerkung ist vielmehr darauf beschränkt, dass Verfügungen, die nach der Eintragung der Vormerkung erfolgen, insoweit unwirksam sind, als sie den durch die Vormerkung gesicherten Anspruch vereiteln oder beeinträchtigen (§ 883 Abs. 2 BGB).
Hinweis: Abweichende Vereinbarungen zwischen Eigentümer und Vorkaufsberechtigtem
Der BFH stellt klar, dass der Grundstückseigentümer und der Vorkaufsberechtigte an den ursprünglichen Kaufvertrag zwischen dem Eigentümer und dem Dritten nicht gebunden sind. Sie können übereinstimmend abweichende Vereinbarungen treffen. Im Streitfall haben A und X den Übergang von Sachherrschaft und Nutzungsrecht (und damit verbunden des wirtschaftlichen Eigentums) wirksam auf einen späteren Zeitpunkt vereinbart. Der BFH konnte daher offen lassen, wie die ursprünglichen Rechtsbeziehungen zwischen X, der KG und A ohne die abweichende spätere Vereinbarung zwischen A und X abzuwickeln gewesen wären.
BFH Urteil vom 23.02.2021 - II R 44/17 (veröffentlicht am 01.07.2021)
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