EuGH-Vorlage zur Entwicklung und Vermittlung von Versicherungsprodukten
Sie lautet: "Liegt eine zu den zu Versicherungs- und Rückversicherungsumsätzen dazugehörige Dienstleistung vor, die von Versicherungsmaklern und -vertretern i.S. von Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL steuerfrei erbracht wird, wenn ein Steuerpflichtiger, der für eine Versicherungsgesellschaft eine Vermittlungstätigkeit ausübt, dieser Versicherungsgesellschaft zusätzlich auch das vermittelte Versicherungsprodukt zur Verfügung stellt?"
Hintergrund: Versicherungsvermittlung mit zusätzlichen Leistungen
Die Q-GmbH entwickelte in 2011 als sog. Assekuradeur ein Versicherungsprodukt, mit dem Schiffe und deren Crews gegen Piraterie bei der Durchfahrt durch den Golf von Aden versichert werden konnten. Aufgrund einer Lizenzvergabe ermöglichte sie den Versicherern, dieses Produkt zu vermarkten, und trat außerdem als Versicherungsvermittler auf. Nach einem mit verschiedenen Versicherungen geschlossenen Assekuradeur-Vertrag erbrachte die Q-GmbH folgende Leistungen:
- Recht zur Nutzung des Versicherungsprodukts durch Einräumung eines Nutzungsrechts ("Lizenz").
- Vermittlung dieser Versicherungsverträge über besondere Risiken ("Special Risks").
- Durchführung der Versicherungsverträge einschließlich Schadensregulierung und Anpassung des Versicherungsprodukts, Risikoeinwertung, Vertragsverwaltung, Krisenhotline, Schadensmanagement usw.
Der Versicherer hatte zur Deckung der laufenden Tätigkeiten eine monatliche Courtagevorauszahlung und zusätzlich eine Courtage für jede von dem Versicherer abgeschlossene Versicherung zu zahlen.
Die Q-GmbH vertrat die Auffassung, es liege eine einheitliche Leistung vor, die als Versicherungsvermittlung insgesamt nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfrei sei. Das FA ging dagegen von drei getrennten Leistungen aus. Nur die unmittelbare Versicherungsvermittlung (67 % der Gesamtvergütung) sei steuerfrei. Die Lizenzüberlassung (25 %) unterliege dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG und auf die weiteren Leistungen (8 %) zur Vertragsdurchführung (Schadensregulierung usw.) sei der Regelsteuersatz anzuwenden. Die dagegen erhobene Klage wurde vom FG mit der Begründung abgewiesen, es handele sich um eine einheitliche steuerpflichtige Leistung, und zwar nicht um die Vermittlung einer Versicherung, sondern um die Veräußerung der Expertise in dem Bereich der Special-Risk-Versicherungen in Form eines Versicherungsprodukts. Im Anschluss an dieses Urteil erließ das FA einen Änderungsbescheid, mit dem es die erbrachten Leistungen insgesamt als steuerpflichtig behandelte.
Die Q-GmbH legte gegen das FG-Urteil Revision ein, die beim BFH anhängig ist. Der BFH setzte das Verfahren aus und legte die Problematik dem EuGH vor.
Entscheidung: Verbindung von steuerpflichtiger Hauptleistung mit steuerfreier Nebenleistung
Der BFH geht – ebenso wie das FG – von einer einheitlichen Leistung aus. Der Hauptbestandteil besteht in der Lizenzgewährung zur Bereitstellung eines Versicherungsprodukts. Die weiteren Bestandteile (Versicherungsvermittlung und Vertragsdurchführung einschließlich Schadensregulierung) sind nur Nebenleistungen. Das ergibt sich bereits daraus, dass es ohne die Lizenzgewährung nicht zu einer Versicherungsvermittlungstätigkeit gekommen wäre und der Q-GmbH ein Vergütungsanspruch auch für den Fall zugesagt war, dass Dritte Versicherungen aufgrund der Lizenz vermittelten, ohne dass es dabei darauf ankam, ob derartige Vermittlungen später tatsächlich erfolgten.
Keine Steuerfreiheit nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils "Arthur Andersen"
Danach wären die Leistungen der Q-GmbH insgesamt steuerpflichtig. Denn ebenso wie für den Steuersatz kann auch über die Steuerfreiheit einheitlicher Leistungen nur einheitlich nach dem Hauptbestandteil entschieden werden. Der Hauptbestandteil besteht in der Lizenzgewährung zur Bereitstellung eines Versicherungsprodukts. Diese Leistung ist für sich genommen nicht nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL steuerfrei. Denn die Bereitstellung des Versicherungsprodukts gehört zur Sacharbeit der Versicherungsgesellschaft, die bei einer Auslagerung auf Dritte nicht nach dieser Bestimmung steuerfrei ist (EuGH-Urteil Arthur Andersen v. 3.3.2005, C-472/03, EU:C:2005:135, BFH/NV 2005, Beilage 3 S. 188, Rz 32 ff.). Dies gilt ebenso für die Nebenleistungen zur Vertragsdurchführung einschließlich Schadensregulierung.
Die Rechtslage ist jedoch zweifelhaft aufgrund des EuGH-Urteils "Aspiro"
Der BFH sieht es allerdings als zweifelhaft an, ob diese Auslegung unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils Aspiro v. 17.3.2016 , C-40/15 (EU:C:2016:172, BFH/NV 2016 S. 879) zutreffend ist und legt dem EuGH die Frage vor, welche Bedeutung Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL für die Steuerfreiheit einheitlicher Leistungen zukommt:
- Nach allgemeinen Grundsätzen ist über die Besteuerung einer einheitlichen Leistung einheitlich nach ihrem Hauptmerkmal zu entscheiden (EuGH-Urteil Stadion Amsterdam v. 18.01.2018, C-463/16, EU:C:2018:22, DStR 2018 S. 246). Demnach ist die einheitliche Leistung insgesamt entweder steuerfrei oder steuerpflichtig, wobei die Steuerfreiheit der einheitlichen Leistung voraussetzt, dass ihr Hauptbestandteil die Anforderungen des Befreiungstatbestandes erfüllt. Danach wäre von einer vollständigen Steuerpflicht der von der Q-GmbH erbrachten Leistung auszugehen, da der Hauptbestandteil ihrer Leistung in der Überlassung eines Versicherungsprodukts, nicht aber in der Versicherungsvermittlung besteht.
- Der BFH hat aber Zweifel, ob dies unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils Aspiro auch für die Steuerfreiheit nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL gilt. Dieses EuGH-Urteil könnte dahingehend zu verstehen sein, dass eine einheitliche Leistung auch dann steuerfrei ist, wenn – wie im Streitfall - lediglich eine Nebenleistung (hier: Versicherungsvermittlung) bei eigenständiger Betrachtung steuerfrei wäre. Denn in dem Fall Aspiro ging es lediglich um eine ausschließlich steuerpflichtige Tätigkeit. Hinweis: Klärung durch den EuGH
Von der bevorstehenden EuGH-Entscheidung dürfte die Klärung zu erwarten sein, ob die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze im Rahmen des Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL weiterhin Geltung haben können.
BFH Beschluss vom 05.09.2019 - V R 58/17 (veröffentlicht am 12.12.2019)
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