Digitalisierte und automatisierte Steuerkanzlei

Den Einstieg in die Digitalisierung und Automatisierung Ihrer Steuerkanzlei finden Sie in vielen kleinen Schritten. Der erste Schritt dafür ist eine Digitalisierungs- und Automatisierungsstrategie, die Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern beschließen. Anschließend können Sie geeignete Maßnahmen umsetzen, für die ich Ihnen konkrete Anregungen liefere.

Digitalisierung – Automatisierung – was ist das eigentlich?

Alle reden von Digitalisierung und nur wenige wissen, was sich dahinter konkret verbirgt. Auch das Wort "Automatisierung" taucht im Zusammenhang mit der Digitalisierung oft auf. Ist damit aber nicht dasselbe gemeint wie Digitalisierung? Zeit für einen genaueren Blick: Digitalisierung meint ganz allgemein die Veränderungen von Prozessen, Objekten und Ereignissen, die bei einer zunehmenden Nutzung digitaler Geräte erfolgen. Außerdem steht der Begriff insgesamt für den Wandel hin zu digitalen Prozessen mittels Informations- und Kommunikationstechnik. Automatisierung bedeutet dahingegen die Übertragung von Funktionen des Produktionsprozesses, insbesondere Prozesssteuerungs- und -regelungsaufgaben, vom Menschen auf künstliche Systeme.

Erkennen Sie den Unterschied? Durch Digitalisierung lassen sich ehemals analoge Prozesse digital abbilden, das heißt aber noch nicht, dass sie dann auch automatisiert laufen. Die Digitalisierung ist in der Regel die Vorstufe zu einer Automatisierung. Das Ziel ist für mich ganz klar: Automatisierung ist wichtiger als Digitalisierung. Alle möglichen Prozesse einer Steuerkanzlei sollen so weit wie möglich automatisiert sein. Seit Beginn meiner Selbständigkeit stelle ich mir immer wieder dieselbe Frage. Sie lautet: "Wie geht alles schneller?" Antwort: Durch Automatisierung! Was nicht automatisiert ist, sollte zumindest digitalisiert sein. Somit greift beides ineinander. Digitalisierung und Automatisierung sind meistens untrennbar miteinander verbunden.

In vielen kleinen Schritten zum Erfolg

Große Veränderungen hat es schon immer gegeben, der Unterschied liegt in der zunehmenden Geschwindigkeit, in der sie ablaufen. Und genau das überfordert viele Menschen. Sie fühlen sich digital abgehängt und meinen, sie hätten den Anschluss verpasst. Aber warum erzähle ich Ihnen das? Weil auch viele Steuerkanzleien mit den aktuellen rasanten Entwicklungen nur schwer mitkommen. Viele haben noch nicht wirklich mit der Digitalisierung begonnen. Viele wissen wirklich nicht, wie und wo sie damit in ihrer eigenen Kanzlei starten sollen. Dabei geht es darum, mit kleinen Schritten den Einstieg in einen jahrelangen Prozess zu finden, der in Etappen zur digitalisierten und automatisierten Steuerkanzlei führt.

Eine Digitalisierungs- und Automatisierungsstrategie zu entwerfen ist Chefsache. Die Kanzleileitung hat die Aufgabe, eine solche Strategie auszuarbeiten und dann mit allen Mitarbeitern im Teamgespräch ausführlich zu besprechen. Die Mitarbeiter müssen über jedes Detail Bescheid wissen, da sie die Strategie später in die Praxis umsetzen müssen. Diese Strategie muss schriftlich in einem Projektplan niedergeschrieben werden, der beinhaltet, was bis wann von wem in welcher Qualität erledigt werden muss. Nutzen Sie jedes weitere Teamgespräch als Fortschrittskontrolle, damit der Projektplan eingehalten wird. Die Kanzleileitung und alle Mitarbeiter sollten gedanklich alle Weichen auf digital und automatisch stellen. Im Projektplan werden alle analogen Prozesse analysiert und dann möglichst in digitale Prozesse überführt.

Kanzleiorganisation

Im Projektplan könnte zum Beispiel stehen, dass zuerst damit begonnen wird, mehr per E-Mail zu kommunizieren und Informationen auszutauschen. Alle Mitarbeiter benötigen also ihre eigene E-Mail-Adresse. Dazu muss die EDV-Firma die technischen Voraussetzungen schaffen, beispielsweise einen neuen Server anschaffen. Weitere Veränderungen auf Basis eigener Mitarbeiter-Mailadressen könnten dann z.B. sein, dass alle Finanzbuchhaltungs- und Lohnauswertungen nur noch per E-Mail an die Kunden verschickt werden sollen. Das spart enorm Zeit, Porto, Toner, Papier, Umschläge, Wege zur Post usw. Weiterhin sollten Stellvertreterregelungen festgelegt werden, wer welche Mails in Abwesenheitszeiten von Kollegen bekommen oder nicht bekommen soll. Dann wird entschieden, dass intern nur noch per Mail kommuniziert werden soll, es sei denn, dass ein persönlicher Austausch schneller gehen würde usw. Sie sehen also, dass eine einzige Veränderung eine Menge Konsequenzen nach sich zieht. Insgesamt werden die Änderungen in aller Regel viel Geld sparen und Ihre Prozesse enorm beschleunigen. 

Beispiel Finanzbuchhaltung

Es gibt einen großen Bereich, in dem die Digitalisierung und Automatisierung in den nächsten Jahren massive Veränderungen mit sich bringen wird. Es ist unser größtes Geschäftsfeld – der Bereich Finanzbuchhaltung. Dort ist der aktuelle Platzhirsch der gute alte Pendelordner. Ich kann mich noch an ein Seminar erinnern, das den einheitlichen Pendelordner als das Maß aller Dinge angepriesen hatte. Das war im Jahr 2002. Seitdem wurden Programme entwickelt, die eingescannte Belege oder PDF-Dateien gut lesen können (OCR-Erkennung). Es wurden schon enorme Fortschritte erzielt, aber der große Durchbruch wird innerhalb der nächsten Jahre kommen. Zurzeit werden selbstlernende Buchungsautomaten entwickelt, die schon bald die meisten Belege selbständig erkennen und richtig verbuchen können. Wenn sich das etabliert hat, läuft die Finanzbuchhaltung zu 90–95 % voll automatisch durch. Mitarbeiter klären dann nur noch die letzten 5 %, die die Maschine noch nicht selbständig verarbeiten kann. Aber durch künstliche Intelligenz werden auch diese letzten Prozente wahrscheinlich irgendwann ganz verschwinden.

Einen "Störfaktor" habe ich bisher noch nicht erwähnt: Es ist der Kunde – denn er ist meistens noch analog unterwegs und muss im Prozess der Digitalisierung mitgenommen werden. Sie geben zum Beispiel als konkretes Ziel aus: "Der Pendelordner wird abgeschafft!" Dafür müssen Sie in der Prozesskette zurück an die Quelle, den Kunden. Dort müssen Sie dafür sorgen, dass kein Papier entsteht, sondern eine Datei, die Sie im späteren Prozess digital weiterleiten und weiterbearbeiten können. Dazu sollten Sie Ihre Kunden animieren, alle Lieferanten und Vertragspartner anzuschreiben und zu verlangen, dass sie alle Rechnungen in Zukunft nur noch zum Beispiel als PDF-Datei per E-Mail senden.

Und nun denken Sie wahrscheinlich, dass das heutzutage kein Problem sein sollte. Doch weit gefehlt. Ich habe selbst alle meine Lieferanten angeschrieben und um eine Rechnungszusendung per Mail gebeten. Ich nenne keine Namen, aber es war eine Zumutung. Das zeigt, wie wenig (auch in großen Unternehmen in Deutschland) die Digitalisierung angekommen ist.

In der Zukunft wird der papierlose Prozess in Kurzform wie folgt laufen: Ein Beleg entsteht immer als Datei; er wird elektronisch zum Kunden gesandt oder aus einem Internetportal geholt; der Kunde lädt den Beleg zur Steuerkanzlei hoch oder die Kanzlei holt ihn sich beim Kunden vom Server; der Beleg wird vollautomatisch in der Steuersoftware der Kanzlei verarbeitet, archiviert und verbucht; Buchhaltungsauswertungen werden vollautomatisch zum Kunden gemailt; Umsatzsteuer-Voranmeldung wird vollautomatisch zum Finanzamt gesendet.

Win-Win-Situation durch Digitalisierung

Es gibt Hunderte von kleinen und großen Möglichkeiten, alle Prozesse Ihrer Kanzlei zu digitalisieren. Aber auch die Digitalisierung hat ihre Grenzen – nämlich dort, wo sie eine deutliche Mehrarbeit für den Kunden bedeutet. Zum Beispiel haben viele Kanzleien für sich beschlossen, dass alle zukünftigen und die meisten Bestandskunden ihre Belege digital einreichen müssen. Das ist nicht verkehrt. Es gibt jedoch Kunden, die von ihrer Kanzlei regelrecht genötigt wurden, deutlich mehr Vorbereitungsarbeit zu leisten, damit die Kanzlei es mundgerecht serviert bekam. Dazu kenne ich mehr als einen Fall. Der "Dank" für den Kunden ist dann meistens, dass die Kanzlei sogar noch die Honorare erhöht, was die Kunden oft veranlasst, die Kanzlei zu wechseln. Hier ist die Grenze der Digitalisierung erreicht. Durch Digitalisierung muss eine Win-Win-Situation entstehen. Wenn dies nicht der Fall ist, wird der Kunde die Digitalisierungsmaßnahme verständlicherweise ablehnen.

Feiern Sie also jeden kleinen Schritt in Richtung Digitalisierung und Automatisierung und passen Sie sich in Zukunft permanent an die Realität und den Stand der Technik an. Und das lebenslang. Dann werden Sie zu den Gewinnern gehören!

Dipl.-Betriebswirt (FH) Patrik Luzius ist Steuerberater mit eigener Kanzlei. Zusätzlich hat er die Akademie für Steuerkanzleioptimierung (AFS) gegründet, in der er durch sein KanzleiOptimierungsProgramm (KOP) in einem umfassenden Online-Videokurs und Live-Workshops anderen Steuerkanzleien hilft, sich optimal aufzustellen.

Der Beitrag entstammt seinem bei Schäffer-Poeschel erschienenen Buch "Die erfolgreiche Steuerkanzlei – Wie Sie Ihre Kanzlei sicher durch den Wandel steuern".

www.patrikluzius.com