Global ESG Monitor 2024: Warnsignale für ESRS-Konformität

41 Prozent – das ist die durchschnittliche ESRS-Compliance der Nachhaltigkeitsberichte von einer Stichprobe aus 194 Unternehmen für das Jahr 2023. Eine alarmierend niedrige Ziffer, die aber viele Fortschritte unsichtbar macht – und einige Leuchtturm-Beispiele gibt es auch.

Die EU hat den Nachhaltigkeitsbericht als zentrale Informationsquelle zur Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen etabliert, um ihre Ziele für den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft zu erreichen. Über die Nachhaltigkeitsperformance der Unternehmen sollen dann wiederum die Stakeholder urteilen – sei es, indem sie den Green Deal durch Investitionen oder Kredite unterstützen, oder indem sie sicherstellen, dass Unternehmen ihren gesellschaftlichen und ökologischen Verpflichtungen nachkommen. 

Noch ist es für die Stakeholder jedoch schwer, dieser Verantwortung gerecht zu werden: Die Qualität der Berichterstattung ist noch nicht ausreichend, um ein fundiertes Urteil treffen zu können. Dies ist das Ergebnis des vierten Global ESG Monitors (GEM), der 2024 die Geschäfts- und separaten Nachhaltigkeitsberichte von insgesamt 194 Unternehmen aus DAX, MDAX und SDAX sowie einer internationalen Stichprobe analysiert hat. Jedes Unternehmen wurde in einer Dreifachauswertung anhand von bis zu 5.000 Variablen durch ein erfahrenes Analystenteam ausgewertet.

Unter den Top Scorern 2024 konnten sich die Deutsche Telekom AG und EDF SA mit 79 Punkten sowie Powszechny Zaklad Ubezpieczen SA mit 77 Punkten auszeichnen. 

Im Durchschnitt ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung noch unter der 50%-Marke 

Die durchschnittliche Berichtsqualität der 2024er Stichprobe liegt bei nur 45 von 100 Punkten – gerade einmal im zweitletzten Quartil. Und dieser Durchschnitt verschleiert eine wesentliche Erkenntnis: Die Qualitätsunterschiede zwischen den Berichten sind enorm. Der Best-in-Class-Wert liegt bei 79 Punkten, während der Last-in-Class-Wert nur 13 Punkte erreicht. Dies zeigt, wie unterschiedlich die Unternehmen mit der Qualität ihrer Berichterstattung umgehen.

Eine qualitativ mangelhafte Berichterstattung birgt für Unternehmen aber erhebliche Risiken: Sie kann ihre Resilienz und Reputation schwächen, den Zugang zu Kapital erschweren und die Anzahl von ad-hoc-Anfragen deutlich erhöhen.

CSRD und ESRS sollen das Problem lösen

Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und den zugehörigen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) soll sich diese Situation nun verbessern, indem verbindliche Richtlinien für die Nachhaltigkeitsberichterstattung eingeführt werden. Diese Vorgaben sollen entlang der gesamten Wertschöpfungskette angewendet und global weitergegeben werden. Damit soll das sogenannte Henne-Ei-Problem unzureichender Daten langfristig gelöst werden. Denn Unternehmen sind auf verlässliche Angaben aus vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsprozessen angewiesen, um ihre eigene Verantwortung korrekt messen, überwachen und berichten zu können.

Um die neuen Qualitätskriterien entsprechend zu berücksichtigen, wurde die Methodik des Global ESG Monitors erneut erheblich erweitert: Dabei wurden auch die Vorgaben von ESRS und IFRS erstmals integriert. Diese Datenpunkte können nun genutzt werden, um die ESRS-Compliance der Unternehmen zu bestimmen und ein Jahr vor der ersten verbindlichen Vorlage ESRS-konformer Berichte eine Art Nullmessung durchzuführen. Durchschnittlich liegt der ESRS-Compliance-Score bei 41 Prozent. Das beste Ergebnis wird mit 73 Prozent Erfüllungsgrad erzielt und das schlechteste mit 10 Prozent Erfüllungsgrad der gesetzlichen Vorgaben. Dies zeigt, es ist noch viel zu tun, damit die Ziele der EU erreicht werden können. Es bleibt zudem abzuwarten, wie aktivistische Investor:innen oder NGOs wie die Deutsche Umwelthilfe auf die Situation reagieren werden. 

Größe, Branche, Aktienindex: Wer ist am besten auf ESRS vorbereitet? 

Große Konzerne mit hohen Beschäftigtenzahlen sind tendenziell besser auf die ESRS vorbereitet. Die naheliegende Erklärung ist natürlich, dass diese Unternehmen einfach mehr Ressourcen und Strukturen für umfassende und detaillierte Berichterstattung haben. Auf die deutschen Aktienindizes lässt sich diese Beobachtung grob übertragen: Die DAX-Unternehmen sind im Durchschnitt 44 Prozent ESRS-konform, während die SDAX-Unternehmen es zu 37 Prozent schaffen. Die MDAX-Vertreter sind dem DAX mit 43 Prozent dicht auf den Fersen. 

Wesentlichkeit oft nur einseitig evaluiert

Wie lang der Weg für manche Unternehmen der 2024er Stichprobe noch ist, zeigt sich auch beim Reporting über die Wesentlichkeitsanalyse – dem Herzstück des Nachhaltigkeitsreports. Seit 2020 untersucht der Global ESG Monitor regelmäßig, wie Unternehmen über ihre Wesentlichkeitsanalysen berichten. Mittlerweile geben fast alle Unternehmen (96 Prozent) in ihrem Bericht an, eine Wesentlichkeitsanalyse durchgeführt zu haben. 

Mit den ESRS-Vorgaben wird diese Analyse jedoch anspruchsvoller, da sie künftig zwei Perspektiven umfassen muss: die Impact-Perspektive (Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft) und die Risiko-Chancen-Perspektive (finanzielle Wesentlichkeit für das Unternehmen). Dies wird als doppelte Wesentlichkeitsanalyse bezeichnet.

Derzeit geben 59 Prozent der Unternehmen schon an, eine solche doppelte Wesentlichkeitsanalyse durchgeführt zu haben. Damit soll das Thema ESG wieder um die klassische Definition von Nachhaltigkeit erweitert werden, die im Triple Bottom Line-Ansatz die Dimensionen People, Planet und Profit gleichwertig miteinander verbindet. Im Reporting schon gut verankert ist die Auswirkungsperspektive (Impact). Wie diese evaluiert wird, wird bereits von 60 Prozent der Unternehmen ausführlich beschrieben. Ein Schwachpunkt ist jedoch die Klarheit in der Bestimmung der finanziellen Wesentlichkeit: Nur 30 Prozent der Unternehmen erläutern diesen Aspekt ausreichend.  

Klare Prioritäten und offene Fragen bei den wesentlichen Themen 

Die drei Themen Klima, Governance und Belegschaft wurden dabei von fast allen Unternehmen als wesentlich eingestuft, wobei die Belegschaft mit 99 Prozent knapp hinter den anderen beiden Themen liegt. Danach klafft eine große Lücke und das Feld verläuft sich: Ressourcenverbrauch und Arbeitnehmer:innen in der Wertschöpfungskette liegen noch bei jeweils um die 65 Prozent und dann geht es mit Verbraucher:innen und Endnutzer:innen erst wieder bei 44 Prozent weiter. 

Auffällig: Obwohl das Klima von allen Unternehmen als wesentlich eingestuft wird, befinden sich vier Themen mit starker klimatischer Interdependenz auf den letzten vier Plätzen: Wasser und maritime Ressourcen, Biodiversität und Ökosysteme, Betroffene Gemeinschaften und Umweltverschmutzung.

Die Achillesfersen der Berichterstattung im GEM 2024

So wird beispielsweise die Beurteilung der Vollständigkeit der wesentlichen Themenlisten der Unternehmen dadurch erschwert, dass nur 13 Prozent der Unternehmen erklären, warum bestimmte Themen als nicht wesentlich eingestuft wurden. Laut ESRS-Standard müssen Unternehmen künftig nur im Fall des Themas Klima eine Erklärung für dessen Nicht-Wesentlichkeit abgeben, während dies für andere Themen weiterhin optional bleibt.

Diese Freiwilligkeit birgt Risiken, insbesondere wenn der Prozess der Wesentlichkeitsanalyse Lücken aufweist oder Stakeholder gegenteilige Annahmen und Erwartungen haben, die von den Unternehmen nicht adressiert werden. In unserer Stichprobe gibt es mehrere solcher Fälle, die ohne Kontext verwundern können:

  • Warum hat eine Bank mit mehr als 100.000 Mitarbeitenden kein Thema aus dem Bereich Mitarbeitende als wesentlich eingestuft?
  • Warum haben Unternehmen aus den Branchen Chemie, Pharma oder Maschinenbau Umweltverschmutzung nicht als wesentlich eingestuft?

Möglicherweise werden die sektorspezifischen ESRS-Standards, die sich derzeit noch in verschiedenen Entwurfs- und Recherchestadien befinden, den Unternehmen künftig mehr Orientierung bieten. Allerdings zeigen unsere Analyseergebnisse sowie unser eigener Stakeholder-Engagement-Prozess, dass die klassischen Brancheneinstufungen den vielfältigen und oft komplexen Geschäftsmodellen der Unternehmen nicht immer gerecht werden. Die spezifischen Herausforderungen der Unternehmen erfordern weiterhin eine differenzierte Herangehensweise, um eine präzise und vollständige Nachhaltigkeitsberichterstattung zu gewährleisten.

Themen werden angerissen, aber selten performancegerecht vertieft

Ein Beispiel hierfür ist das Stakeholder Engagement der Unternehmen. Zwar berichten 90 Prozent über ihre Aktivitäten in diesem Bereich, doch zentrale Prozesse und Faktoren wie die Identifizierung relevanter Stakeholder (nur 46 Prozent der Unternehmen) oder die Repräsentativität der ausgewählten Gruppen sind oft nicht ausreichend nachvollziehbar.

Ähnlich verhält es sich im Bereich Klima: Zwar geben 73 Prozent der Unternehmen Zahlen zu ihren Scope-3-Emissionen an, doch eine Vergleichbarkeit dieser Daten ist kaum möglich. Der Grund dafür liegt in der uneinheitlichen Berücksichtigung der 15 Scope-3-Kategorien, die verschiedene Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette abdecken. Die Auswahl der erfassten Kategorien erscheint häufig willkürlich: Nur etwa die Hälfte der Unternehmen berücksichtigt Geschäftsreisen, lediglich 36 Prozent erfassen das Pendeln ihrer Mitarbeitenden, und nur 48 Prozent beziehen den Ausstoß aus eingekauften Gütern und Dienstleistungen ein. Diese mangelnde Transparenz und Konsistenz erschwert eine zuverlässige Bewertung der Klimaleistung von Unternehmen untereinander.

Ein drittes Beispiel kommt aus dem Bereich Governance, genauer gesagt der Berichterstattung zu Antikorruption. Unternehmen haben die Möglichkeit, die Gesamtzahl und Art der bestätigten Korruptions- oder Bestechungsfälle zu melden oder anzugeben, dass keine Vorfälle vorlagen. Doch knapp die Hälfte der Unternehmen (49 Prozent) macht diesbezüglich keine Angaben. Auch bei den Details zur Bearbeitung von Verdachtsfällen zeigt sich ein unzureichendes Bild: Nur 28 Prozent der Unternehmen führten interne Untersuchungen durch, 15 Prozent ließen Verdachtsfälle vom Risiko- oder Ethikausschuss prüfen, und lediglich 11 Prozent berichteten, dass der Vorstand involviert war. Externe Prüfungen oder Audits wurden in nur 13 Prozent der Fälle durchgeführt, während nur 1 Prozent der Unternehmen angab, dass keine Maßnahmen erforderlich waren.

Die Liste ließe sich fortführen, zeigt aber bereits in dieser Kürze, woran es der Berichterstattung noch fehlt: Es mangelt an Tiefe und Nachvollziehbarkeit in der Darstellung entscheidender Themen, die für eine fundierte Bewertung der Nachhaltigkeits-Performance unerlässlich sind. 

Fazit

Der Global ESG Monitor 2024 bildet einen Querschnitt durch das deutsche und europäische Nachhaltigkeits-Reporting. Auch im Jahr, bevor die ersten Unternehmen verbindlich einen ESRS-konformen Bericht vorlegen müssen, zeigt er, wie viel noch zu tun ist und wie uneinheitlich die Qualität der Berichterstattung angelegt ist. Und das nicht nur im Vergleich der Unternehmen untereinander, sondern auch im Längsschnitt innerhalb der einzelnen Berichte. So finden sich auch bei den besseren Berichten Bereiche, die noch nicht ausreichend transparent sind. 

Die Unternehmen werden mit der CSRD stark in die Pflicht genommen. Die EU braucht sie als Partner zur erfolgreichen Umsetzung des Green Deal, der jedes Jahr mehrere Hundert Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen vorsieht. Dafür fordert die EU richtigerweise mehr Rechenschaft der Unternehmen über den Kontext ihrer Zahlen und Strategien für mehr Nachhaltigkeit ein. 

ESRS-konforme Nachhaltigkeitsberichte sind kein Selbstzweck. Sie sollen ein verlässliches Instrument für Investor:innen, Verbraucher:innen und wirtschaftliche oder zivilgesellschaftliche Partner sein. Der GEM 2024 zeigt ganz klar, dass das schon für nächste Berichtsgeneration keine reine Utopie ist – auch wenn viele Unternehmen noch weiter von der Ziellinie entfernt sind, als sie sich das wünschen dürften.

Hier finden Sie den Global ESG Monitor 2024!
 

Die Methodik des GEM

Jedes Unternehmen wird anhand von bis zu 1.030 Fragen mit rund 5.000 Variablen durch ein erfahrenes, internationales Analysten-Team ausgewertet. Der genaue Umfang der Analyse hängt vom Unternehmen und den als wesentlich angezeigten Themen ab. 

Die Analyse erfolgt in der Datenerfassungsplattform GEM Assay™, die das Analyse-Team systematisch durch die Bewertung führt und ihre Performance trackt. Alle Analysefragen sind klar formuliert und wurden in einer Pre-Test-Phase getestet. 

Jedes Unternehmen wird dreimal analysiert. Anhand von Seitenzahlen dokumentieren die Analysten die Stellen im Bericht, an denen die gewünschten Informationen gefunden wurden. Im Rahmen einer dritten Analyse überprüft und korrigiert ein Audit-Team etwaige Bewertungsunterschiede. Fragen und Anregungen zur Methodik gerne per Mail an methodology@globalesgmonitor.com



Schlagworte zum Thema:  ESRS, CSRD, Nachhaltigkeitsberichterstattung