Greentech Festival 2023: Zu Gast beim Establishment
Wenn zahlreiche Shuttles, Linienbusse und Taxis einen alten Hangar in Berlin-Tegel anfahren, dann nicht, weil der ehemalige Flughafen wieder in Betrieb genommen wurde, sondern weil es Zeit für ein beliebtes wie umstrittenes Tech-Event ist: Vom 14. bis 16. Juni fand das Greentech Festival statt, das bereits Ableger in Los Angeles, Singapur und London hat. Nachdem am ersten Abend bei den Green Awards innovative und herausragende Projekte für den Umwelt- und Ressourcenschutz ausgezeichnet wurden, folgten am 15. und 16. Juni die Konferenz und Ausstellung mit 15.000 Besucher:innen, 190 Aussteller:innen und 120 Speaker:innen. Was war los beim (laut Veranstalter) „größten Nachhaltigkeitsfestival Europas“?
Der Gründer und Unternehmer Marco Voigt versteht das Event als eine neutrale, globale Plattform, die Change Maker zusammenbringe, die wirkliche Veränderungen für mehr Klimaschutz herbeiführen wollen: „Es gibt Klimaziele, die wir alle gemeinsam erreichen müssen. Und das funktioniert nicht ohne Innovationen, ohne Technologien, ohne Pioniergeist.“ Gerade das Vertrauen in die Kraft der Technologie und der Appell an unternehmerisches Denken schien vor Ort besonders die Vertreter:innen großer Unternehmen zu verbinden. Beliebte, doch keinesfalls neue Botschaften: In der Technologie liegt die Lösung. Keine Nachhaltigkeit ohne Investments.
Klimapositiv statt Neutral. Oder: Worum es bei Nachhaltigkeit geht.
„Wenn Sie die Wissenschaft ernst nehmen, werden Sie im Wettbewerb einen Schritt voraus sein. Wir [Forschende] können keinen Widerspruch zwischen Nachhaltigkeit und profitablem Business erkennen“, meint Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, zu Beginn der Konferenz. Nachhaltigkeit sei kein Opfer, sondern der Pfad in eine bessere Zukunft. Bei einem Panel zu naturbasierten Lösungen plädiert der Arzt und Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen dafür, in Kreisläufen zu denken und Zusammenhänge zu verstehen. Das Festival-Motto sieht er kritisch: „Neutral ist doch kein Anreiz. Wir müssen etwas Positives erwirken und schaffen.“
Wie eng soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit verknüpft sein sollten, darüber sprachen die Speaker:innen bei dem Panel „Inklusive Klimaschutzmaßnahmen“. Solche inspirierenden und kritischen Diskussionen waren vor allem auf den kleineren Bühnen wie der Deep Dive Stage zu hören. So sprachen die Teilnehmer:innen bei dem Panel „Net-positive impact“ über Technologien, die CO2 aus der Luft filtern können, sowie über den strategischen Fahrplan, vor dem alle Unternehmen stehen (sollten): Vermeidung und Entnahme von CO2 first, Kompensation last.
Der Elefant im Raum: Das Greentech Festival und seine Partner
Auf dem Eventgelände waren ihre Logos und Schriftzüge nicht zu übersehen: Zu den Partnern und Ausstellern des Festivals zählen Audi, Lufthansa, Nespresso, EON und andere Konzerne, die einen wesentlichen Beitrag zum globalen Emissionsgeschehen leisten. Ebenfalls dabei: Der Shell-Konzern, der kürzlich seine Stromvertriebssparte Shell Energy eingestellt hat. Einen Widerspruch zu Nachhaltigkeitszielen kann der Gründer und Unternehmer Marco Voigt nicht erkennen: „Es ist völlig klar, dass in den Industrien die Produkte nicht von heute auf morgen alle in nachhaltiger Art und Weise gefertigt werden können. Aber die Unternehmensteile, die sich hier präsentieren sind die, wo Menschen die Dinge genauso verändern wollen und auch verändern.“
Die These ist so einfach wie unverfänglich: Nur wenn sich große Unternehmen und Staaten bewegen, tut sich etwas. Man brauche die großen Unternehmen, wenn man überhaupt einen Hebel und eine Chance haben wolle, betont Voigt. Auch deshalb verleihen hochrangige Politiker:innen dem Event einen staatstragenden Touch: Von Christian Lindner über Robert Habeck und Bettina Stark-Watzinger bis Franziska Giffey. Das alles könnte eine Plattform für Austausch und Veränderung bieten. Doch meldeten sich gerade auf LinkedIn viele Teilnehmende und Besucher:innen – dieses Jahr wie in den Jahren zuvor – zu Wort, die dem Event eins vorwerfen: Greenwashing.
Während wenige ambitionierte Start-ups in einem kleinen Zelt am Rande des Geländes auf ihre Begegnungen warteten, standen die PR- und Marketing-Teams großer Konzerne in üppigen Lounges im kühlen Hangar bereit. Prominente ließen sich bei den Awards auf dem „grünen“ Teppich ablichten. Finanzminister Christian Lindner posierte mit Nico Rosberg in einem Rimac Nevera, dem „leistungsstärksten E-Auto der Welt“. Überhaupt erinnerten die ausgestellten E-Autos zahlreicher Hersteller sowie die „GTF Driving Experience“ eher an eine Automobilmesse als an ein Nachhaltigkeitsevent. E-Mobilität hin oder her.
Nachhaltigkeit bedeutet Entschlossenheit
Schon im Vorfeld des Festivals kündigte der Gründer und frühere Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg „spannende Gespräche“ mit der Letzten Generation an, deren Protestformen er allerdings ablehnt. Bei der abschließenden Panel-Diskussion sprachen Aimée van Baalen, Sprecherin der Letzten Generation, Katharina van Bronswijk, Sprecherin der Psychologists and Psychotherapists for Future, sowie die Rechtsanwältin Roya Sangi über die Proteste der Klimaaktivist:innen. Der Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin hatte seine Teilnahme kurz zuvor abgesagt.
Eine kontroverse Diskussion kam bei dem Panel nicht zustande – wie so oft in dieser Woche. Es fehlten die Meinungsverschiedenheiten, es fehlte schlichtweg die Würze. Der Gründer Marco Voigt lud die Aktivistin van Baalen später zu einem Rundgang auf dem Festival ein, damit sie sich selbst ein Bild von den Ausstellern machen könne. Und zum Abschluss fragte der Journalist und Moderator Christian Krug die Teilnehmer:innen und das Publikum, ob sie für Ihre Überzeugungen ins Gefängnis gehen würden. Das Stimmungsbild: gemischt.
Überzeugungen zählen nur dann, wenn sie etwas bewirken. Besonders im Bereich der Nachhaltigkeit werden Unternehmen inzwischen genau an ihren Versprechen gemessen. Ein Blick zurück zum Beginn der Konferenz offenbart ein grundlegendes Problem: Nico Rosberg erinnerte an ein Versprechen, welches die CEOs der 10 größten Unternehmen beim Greentech Festival 2022 gegeben haben. Ein Jahr später wollten sie konkrete Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt haben. Was ist daraus geworden? Über die Fortschritte berichteten in kurzen Videobotschaften: zwei CEOs.
Fazit: Mission Impossible to Net Zero?
Die nachhaltige Transformation geht nur in Zusammenarbeit aller, das stimmt. Dafür braucht es visionäres Denken, entschlossenes Handeln, die nötigen Ressourcen und auch die richtigen Bilder, um diese Reise zu dokumentieren. Das Greentech Festival entwirft ein klares Bild: Die große Bühne gehört den großen Konzernen mit üppigen Budgets, unabhängig ihrer Ambitionen und ihres Handelns. Auf den Nebenschauplätzen stehen entschlossene Start-ups und Kleinunternehmen, die ihre Strategien, ihre Geschäftsmodelle und Technologien radikal an den Herausforderungen des Klimawandels ausrichten. Auf einen lösungsorientierten Austausch auf einer neutralen Plattform – das bestätigen zahlreiche Teilnehmende – wartete man hier vergeblich.
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