Nachhaltigkeit ist eine Frage der Genügsamkeit

Suffizienz ist eine unternehmerische Praxis, die auf Selbstbegrenzung und Qualität statt auf Wachstum setzt. Dies biete nicht nur ökologische Vorteile, sondern auch neue Freiräume für ein sinnerfülltes und nachhaltiges Wirtschaften, meinen Niko Paech und Christel Maurer. Ein Lob des Weniger.

Allmählich setzt sich Einsicht durch, dass es allein mit technischem Fortschritt, also „grünen“ Innovationen, nicht gelingt, die zeitgenössische Wohlstandsarchitektur von ökologischen Schäden zu entkoppeln. Folglich kann die menschliche Zivilisation nur überleben, wenn sie ihre materiellen Ansprüche an das anpasst, was bei global gerechter Verteilung innerhalb planetarer Grenzen verfügbar ist. Ein weiterer Grund, maßvollere Lebensstile zu akzeptieren, besteht darin, dass ein komplexes und global verflochtenes Wohlstandsmodell extrem verletzlich ist, wie vergangene und aktuelle Krisen zeigen. Im Gegensatz dazu würde eine resiliente Versorgungsform auf kürzeren Lieferketten, regionaler Produktion und Selbstversorgungskompetenzen basieren. Diese würde einen suffizienten Lebensstil voraussetzen.

Für suffiziente Daseinsformen spricht außerdem, dass die Wirkung des zeitgenössischen Wohlstandes ab einer Sättigungsgrenze ins Gegenteil umschlagen kann. Zunehmende Reizüberflutung und Überforderung kennzeichnen den Alltag moderner Gesellschaften. Während der Nullerjahre, also innerhalb nur eines einzigen Jahrzehnts, hat sich die Anzahl der Antidepressiva-Verschreibungen in Deutschland verdoppelt. Kein Wunder: Das Leben ist vollgestopft mit Terminen, Produkten, Dienstleistungen, Fortbewegung und Erlebniskonsum. Ein Übriges bewirkt die nicht endende Flut digitaler Signale, die pausenlos abgerufen werden müssen, um nichts zu verpassen. Dies alles kann niemand mehr verarbeiten, ohne in Stress zu geraten. Denn damit sich Objekte und Handlungen positiv auf die Lebensqualität auswirken, muss ihnen Zeit gewidmet werden – und die ist nicht vermehrbar, sondern inzwischen zum Engpassfaktor menschlichen Wohlbefindens geworden. Das moderne Dasein ähnelt einem Gefäß, das unter einem Dauerregen der Entfaltungsangebote langsam überläuft.

Suffizienz als Rückkehr zum „menschlichen Maß“

Erstmals in der Historie ist eine Wirtschaft vonnöten, die nicht darauf zielt, das Quantum an Gütern und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten permanent zu vermehren, sondern im Gegenteil einen sorgsamen Rückbau zu organisieren. Dabei kommt der Suffizienz, oft mit einer Rückkehr zum „menschlichen Maß“ (Schumacher 1973) oder dem Motto „All you need is less“ (Folkers/Paech 2020) assoziiert, eine tragende Bedeutung zu. Sie ist orientiert an der Leitfrage: Von welchen unnützen Dingen ließen sich überbordende Lebensstile, die Ökonomie und die Gesellschaft als Ganzes befreien? In einer bewussten Ignoranz gegenüber allem Überflüssigen liegt ein Schlüssel zur Lebenskunst des 21. Jahrhunderts. Suffizienz umfasst drei Ausprägungen, erstens die Selbstbegrenzung eines erreichten Versorgungsumfangs anstelle seiner weiteren Ausdehnung, zweitens die Reduktion eines bestimmten Anspruchsniveaus, ohne jedoch die betreffende Aktivität gänzlich zu tilgen, und drittens die vollständige Vermeidung einer Option.

Genügsame Praxis beflügelt inzwischen auch die Debatte um ein „beseeltes Unternehmertum“ (Maurer 2017), das die dominante betriebswirtschaftliche Zweck-Mittel-Relation umkehrt: Unternehmen entstehen nicht zwangsläufig als Mittel zum Zweck der Profitmaximierung, sondern um sinnstiftende Aktivitäten zu ermöglichen. Manche innovative Ideen, die sich am wirksamsten durch eine Unternehmensgründung umsetzen lassen, werden um ihrer selbst willen verfolgt – einfach weil deren Initiatoren einer Berufung folgen und in ihrem Tun eine besondere Erfüllung finden. Diese intrinsische Motivation, positiv in die Gesellschaft hineinzuwirken und Probleme zu lösen, eröffnet Spielräume für unternehmerische Suffizienz, die sich auf unterschiedliche Strategietypen (Maurer 2024) erstrecken.

Freiraum statt Verzicht

Kapazitätsbegrenzende Suffizienzstrategien zielen zum Beispiel auf eine Limitierung oder Reduktion des Outputs, um damit eine hohe Produktqualität zu sichern, aber auch um zeitliche und inhaltliche Gestaltungsfreiräume zu eröffnen. Dies wirkt sich positiv auf das Betriebsklima, die Mitarbeitermotivation und die Kundenbetreuung aus. Ähnliches gilt für Unternehmen, die davon absehen, die Anzahl ihrer Mitarbeitenden über eine bestimmte Größe wachsen zu lassen. In manchen Fällen begrenzen Firmen ihr Distributionssystem auf einen geografischen Aktionsradius oder beschränken sich auf jene Wertschöpfung, die gänzlich ohne fossile Mobilität auskommt. Darüber hinaus befördern Unternehmen genügsamere Konsummuster aufseiten der Verbraucher. Suffizienzstrategien, die monetäre Ansprüche begrenzen, können darin bestehen, die Gewinnerwartung der Anteilseigner zu limitieren. Auch ein genügsameres Anspruchsniveau im Hinblick auf Gewinn oder den entnommenen Unternehmerlohn sind anzutreffen.

Suffizienz ist kein Verzicht, sondern verbindet ökologische Verantwortung mit neuen Freiräumen, um sinnstiftend und selbstbestimmt zu wirtschaften. Wenn sich diese Tendenz nicht nur im Konsum, sondern im Unternehmensbereich zumindest teilweise etablieren kann, weichen düstere Prognosen einem Lichtblick.

Literatur:

  • Folkers, M./Paech, N. (2020): All you need is less, München, Oekom.
  • Maurer, C. (2017): Beseelte UnternehmerInnen, Basel, Zytglogge.
  • Maurer, C. (2024): A Taxonomy of Corporate Sufficiency Strategies – Exploring Driving Factors for Sufficiency in Business, in: Gossen, N. & Niessen, L. (Eds.): Sufficiency in Business, Bielefeld, Transcript.
  • Schumacher, E. F. (1973): Small is beautiful. A Study of Economics as if People Mattered, London, Hutchinson, Random House (deutsche Übersetzung bei oekom 2013).

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Was Suffizienz in Unternehmen bedeutet und welchen unternehmerischen Nutzen sie bringt, darüber sprechen Christel Maurer und Niko Paech am 6. September auf dem Kongress SINN|MACHT|GEWINN.


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