Nachhaltigkeitscongress 2024 – das Transformationsfestival?
Stärker als in den Vorjahren wollte sich der Nachhaltigkeitcongress als „Transformationsfestival“ präsentieren. Dies wurde nicht nur durch die Kommunikation im Vorfeld unterstrichen, sondern auch durch die Wahl des Veranstaltungsortes: die Zeche Zollverein in Essen, UNESCO-Welterbe und Symbol für den Strukturwandel einer ganzen Region. 150 Jahre wurde hier „geschuftet, und doch sitzen wir nun in dem Loch, das wir uns selbst gegraben haben“, eröffnete Co-Moderatorin Iris Braun (Share) bildhaft. Wie also wieder herauskommen und mit den vielfältigen realen und regulativen Nachhaltigkeitsherausforderungen umgehen? Braun erhoffte sich von den beiden Veranstaltungstagen viele Impulse, wie Unternehmen trotz Regulierung, mit Regulierung oder auch wegen der Regulierung nachhaltiger wirtschaften können. Dabei blieb sich die Veranstaltung auch an ihrem neuen und extravaganteren Veranstaltungsort inhaltlich treu: Im Mittelpunkt des Kongresses stand die Frage „wie Veränderungen praxisgerecht erfolgen können“, so Schirmherrin Mona Neubaur in ihrem Grußwort zur Veranstaltung.
Der „ehrbare Kaufmann“ als Leitbild nachhaltigen Wirtschaftens
Wenn alle Unternehmen nach dem Prinzip des ehrbaren Kaufmanns wirtschaften würden, bräuchten wir viel weniger Regulierung. Das sagte Dirk Kannacher (GLS Bank) in seiner Keynote, in der er – am Rande – darüber sprach, wie die Wirtschaft durch die EU-Taxonomie und Banken mitreguliert wird. Vor allem aber sprach er über Zukunftsbilder und Ängste in Unternehmen. Dazu zitierte er den Initiator der GLS Bank, Wilhelm Ernst Barkhoff: „Die Angst vor einer Zukunft, die wir fürchten, können wir nur überwinden durch Bilder einer Zukunft, die wir wollen.“ Dr. Monika Wünnemann (BDI) näherte sich dem Thema deutlich nüchterner. Sie sprach über das dichte Regelwerk aus CSRD, SFRD, LkSG und Co. und ließ es sich nicht nehmen, vor möglichen Wettbewerbsnachteilen für europäische Unternehmen zu warnen. Schließlich locken die USA mit Subventionen, die EU mit trockenen Auflagen.
Trotz dieser sehr unterschiedlichen Ausgangspunkte entwickelte sich die anschließende Podiumsdiskussion nicht wirklich zum Streitgespräch. Sollte Europa bei der Nachhaltigkeitstransformation vorangehen? Wünnemann antworte: Natürlich wolle man Vorbild sein –man dürfe die Wirtschaft aber nicht überfordern. Das hatte etwas von „wasch mich, aber mach mich nicht nass“, blieb jedoch unkommentiert. Nur einmal wurde es kontroverser: Die von Kannacher genannten Vorzeigeunternehmen könne man nicht mit der Breite der Wirtschaft vergleichen, so Wünnemann, denn „Stahlwerke und Autobauer haben ganz andere Herausforderungen“. Der GLS-Mann konterte, dass gerade die Automobilindustrie in den letzten Jahren die größten Gewinne eingefahren habe, das Geld aber lieber in Dividenden statt in neue Mobilität gesteckt habe.
Aus dem Maschinenraum des nachhaltigen Wirtschaftens
Ralf Lokay berichtete aus der Praxis des nachhaltigen Managements. Von der Übernahme des elterlichen Betriebs, über die erste EMAS-Zertifizierung und die ökologische Sanierung des Firmenstandorts bis hin zum Gewinn des Deutschen Nachhaltigkeitspreises. Der Geschäftsführer der gleichnamigen „Umweltdruckerei“ zeigte sich als Überzeugungstäter. Als solcher sprach er vielleicht eine etwas andere Sprache als Teile des Publikums, die eher wissen wollten, wie man die Berichterstattung mit minimalem Aufwand bewältigt.
Diesen riet Heike Adam (Theron Advisory Group) zu gesundem Pragmatismus: „Gehen Sie ins Weniger und machen Sie das gut.“ Damit meinte sie, dass Unternehmen die Wahlrechte bei der Wesentlichkeitsanalyse nutzen und lieber über weniger Themen berichten sollten, dies jedoch gewissenhaft. Wenn Aspekte im Nachhaltigkeitsbericht ausgeblendet würden, müsse dies allerdings sehr gut begründet werden, betonte der Wirtschaftsprüfer Andreas Vogl (PSP München). Schließlich bestehe auch für Wirtschaftsprüfer ein hohes Reputationsrisiko, weshalb sie sehr genau hinschauten, wie ein Bericht zustande gekommen sei.
Nachhaltigkeit jenseits von Compliance
Mit seiner Keynote erweiterte Steffen Erath das inhaltliche Feld des Kongresses um den Bereich der Innovationsentwicklung. Leichtfüßig verteilte Erath Seitenhiebe auf Triple Bottom Line („Mogelmaus“, bei der es letztendlich doch nur um Profit gehe) und Design Thinking („Wenn wir ehrlich sind, haben wir in der nördlichen Hemisphäre gar keine richtigen Probleme“). Stattdessen warb er für das Prinzip der „Planet Centered Innovation“, bei dem Innovationen von den planetaren Grenzen her gedacht werden. So eröffnen Nachhaltigkeitsherausforderungen neue Möglichkeiten, innovativ zu sein. Wenn die Menschen in den Unternehmen dabei die Chance bekommen, mitzugestalten, kann sich das auch positiv auf ihre persönliche Resilienz auswirken, betonte Carola von Peinen in der anschließenden Podiumsdiskussion zum „nachhaltigen“ Kulturwandel.
Insgesamt ist es dem Nachhaltigkeitscongress gelungen, eine Balance zwischen Compliance-Aspekten und Inspiration für nachhaltigeres Wirtschaften in der Praxis zu finden. Im Vergleich zur Vorjahresveranstaltung vermisst wurden jedoch Erfahrungsberichte aus dem Nachhaltigkeitsmanagement großer Unternehmen. Beiträge von Bayer, Lufthansa, ZF und anderen boten damals wertvolle Einblicke in das Nachhaltigkeitsmanagement unter schwierigen Bedingungen – das wäre auch in diesem Jahr spannend gewesen, denn die Bedingungen sind nicht einfacher geworden. Insofern dürfen wir gespannt sein, auf welche „Mission“ sich der Kongress im nächsten Jahr begibt und wie er sich dabei selbst transformiert.
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