Interview Kristin Tallbo - Lieferketten Sorgfaltspflichten

Die geplante EU-Omnibus-Verordnung soll Bürokratie abbauen. Doch sie könnte Dinge verkomplizieren statt sie zu vereinfachen, meint die schwedische Anwältin und Beraterin Kristin Tallbo. Ein Gespräch darüber, was man von Schweden lernen kann und wie man vor allem mittelständische Unternehmen wirklich entlastet.

Frau Tallbo, der Entwurf der Omnibus-Verordnung sieht vor, einige der EU-Nachhaltigkeitsrichtlinien zusammenzulegen und Erleichterungen für Unternehmen zu schaffen. So ist zum Beispiel geplant, die Sorgfaltspflichten auf direkte Lieferanten zu beschränken. Was sehen Sie dabei als Problem?

Dass der risikobasierte Ansatz aufgegeben wird. Nur dieser ermöglicht es Unternehmen, Prioritäten sinnvoll zu setzen, anstatt sich lediglich auf direkte Lieferanten zu konzentrieren. In Deutschland führte der fehlende Risikoansatz im LkSG dazu, dass viele Selbstbewertungsfragebögen an Lieferanten der ersten Stufe verschickt wurden, oft ohne Berücksichtigung des spezifischen Risikos. Unternehmen sollten die Einkaufskategorien und Lieferanten nach Risiko priorisieren und die gesamte Lieferkette betrachten – insbesondere bei der Gewinnung von Mineralien, die für die Energiewende entscheidend sind. Wer sich auf direkte Lieferanten beschränkt, übersieht leicht tieferliegende Risiken in der Lieferkette. Und mehr noch: Die Omnibus-Verordnung könnte dazu führen, dass für die Unternehmen alles komplizierter statt einfacher wird.

Warum sollten Erleichterungen die Sache erschweren?

Viele Unternehmen, vor allem größere, haben bereits einen risikobasierten Ansatz eingeführt. Die Verordnung könnte einschränkend wirken und Unternehmen daran hindern, von Zulieferern mit weniger als 500 Beschäftigten Informationen anzufordern, die über die freiwilligen europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung hinausgehen. Dies könnte die bisher geleistete Arbeit zunichtemachen.

Erstens ist die Schwelle von 500 Mitarbeitenden nicht mit der KMU-Schwelle von 250 vereinbar. Zweitens sorgen sich beispielsweise große Lebensmittelhändler mit vielen KMU-Lieferanten, dass sie diesen Lieferanten nicht mehr dieselben Fragen stellen können. Die Verordnung könnte als Ausrede dienen, um Antworten zu verweigern. Und diese Sorge ist berechtigt. Wenn kleinere Lieferanten ausgeschlossen werden, hilft man ihnen nicht. Da 99 Prozent der Unternehmen in der EU KMUs sind, müssen wir ihnen helfen, sich anzupassen, sonst verlieren wir sie. Klare Anforderungen und Unterstützung sind der richtige Weg.

Tallbo, Kristin

Schweden gilt als Vorreiter in der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung. 74 Prozent der öffentlichen Verträge gehen an kleine und mittlere Unternehmen (KMUs). Wie gelingt es, Nachhaltigkeitsanforderungen als Chance für KMUs zu gestalten?

Ein Erfolgsfaktor ist die Zentralisierung: Die Nationale Agentur für das öffentliche Beschaffungswesen stellt gestraffte Anforderungen, Risikoanalysen und eine Datenbank mit Kriterien zur Verfügung, die öffentliche Auftraggeber nutzen können. Dies vereinfacht den Prozess. Seit 2010 arbeiten die schwedischen Regionen auf nationaler Ebene in der nachhaltigen Beschaffung zusammen. Sie haben einen gemeinsamen Verhaltenskodex für Lieferanten und Vertragsklauseln zur Sorgfaltspflicht. Die 21 Regionen sind in acht Beschaffungsregionen unterteilt – und jede ist für die Ermittlung von Risiken, die Festlegung von Zielen und die Überwachung von Verträgen für bestimmte, priorisierte Einkaufskategorien zuständig. Sie tauschen untereinander Prüfberichte oder Zusammenfassungen davon aus, um Doppelarbeit zu vermeiden. Und auf nationaler Ebene koordiniert ein nationales Sekretariat die operativen Unterstützungsprozesse. 

Es kommt selten vor, dass Lieferanten aufgrund von Abweichungen gesperrt werden, da die Regionen und das nationale Sekretariat mit ihnen zusammen Lücken schließen. Und selbst wenn die Verträge keine Weitergabe von Informationen über die Regionen hinaus vorsehen, können andere öffentliche Auftraggeber die Lieferanten fragen, ob sie geprüft wurden und ob sie die Prüfberichte einsehen können. Oft stimmen die Lieferanten zu, weil es für sie einfacher ist. Es geht um gesunden Menschenverstand und einen effizienten Einsatz von Ressourcen. Aber vor allem Zusammenarbeit ist der Schlüssel zum Erfolg.

Wie unterscheidet sich das von Deutschland?

In Deutschland ist die öffentliche Beschaffung durch die föderale Struktur und Größe des Landes komplexer. In Schweden arbeiten zentrale Einkaufsstellen wie Adda, die für Kommunen und Regionen tätig sind, und das nationale Sekretariat der Regionen, eng zusammen. So können sie Ressourcen und Wissen teilen, ohne Wettbewerb untereinander.

Lieferketten-Sorgfalt auf die schwedische Art

Welche rechtlichen Besonderheiten gibt es in Schweden?

In Schweden gibt es kein nationales Lieferkettengesetz wie das LkSG in Deutschland. Unternehmen haben keine rechtlichen Verpflichtungen, solange die CSDDD nicht in schwedisches Recht umgesetzt ist. Es gibt einen nationalen Aktionsplan für Menschenrechte, der auf den UN-Leitprinzipien basiert, aber dies sind nur weiche Leitlinien.

Die Gesetzgebung zum öffentlichen Beschaffungswesen verpflichtet öffentliche Auftraggeber, von Lieferanten zu verlangen, dass sie Verträge gemäß der grundlegenden ILO-Übereinkommen erfüllen, wenn dies aufgrund des Risikos notwendig ist. Aber selbst, wenn die Anforderungen notwendig sind, dürfen sie nicht unverhältnismäßig sein.

Sie haben eine Due-Diligence-Anleitung für Lieferanten der schwedischen Regionen und Adda erstellt. Welche wesentlichen Punkte sehen Sie in Bezug auf Unterstützung?

Wichtig ist zentrale Unterstützung – nicht nur für kleine, sondern auch für große Unternehmen. Idealerweise sollte die EU diese Hilfe koordinieren, statt dass jedes Land eigene Leitlinien entwickelt. Denn das führt zu mehr Komplexität: Unternehmen müssen dann verschiedene Plattformen durchsuchen, was den Prozess erschwert.

Es gibt schon viele Leitfäden, etwa die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte oder die OECD- Leitlinien für die Sorgfaltspflicht bei verantwortungsvollem Geschäftsgebaren. Unser Leitfaden kombiniert diese mit zusätzlichen Aspekten wie der Perspektive von Kindern oder der Geschlechterperspektive. Der Mehrwert des Leitfadens liegt in den bereitgestellten Vorlagen.

Was heißt das genau?

Statt nur Texte anzubieten, die Unternehmen selbst interpretieren und umsetzen müssen, erhalten sie konkrete Werkzeuge. Die Vorlagen, anpassbar nach Branche und Unternehmensgröße, erleichtern den Einstieg. Vorlagen für Menschenrechts-, Umwelt- und Unternehmensethikrichtlinien, Entscheidungsfindungsprozesse kleiner Gremien, Abbildungen der Lieferkette, Risikobewertungen, Aktionspläne, Beschwerdeverfahren und Abhilfemaßnahmen sind bereits verfügbar. Weitere für Anweisungen oder Governance-Dokumente werden hinzukommen. Unternehmen brauchen praktische Unterstützung statt theoretischer Anleitung.

„Wahllos verschickte Fragebögen sind kaum effektiv“

Sie haben bis Ende vergangenen Jahres als Social-Sustainability-Spezialistin für Vattenfall gearbeitet – kennen also auch die Unternehmensseite. Kann man durch solche Vorlagen wirklich vermeiden, dass Unternehmen verallgemeinerte Fragebögen an ihre Lieferanten versenden?

Meine Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Unternehmen ist: Ein gut durchdachtes Vorqualifikationsprozess als Teil einer Ausschreibung schafft deutlich mehr Anreize Fragen zu beantworten. Wahllos verschickte Fragebögen sind dagegen kaum effektiv.

Unternehmen – aber auch öffentliche Auftraggeber – sollten den Grad der Präqualifikation anhand von drei Kriterien festlegen. Erstens: nach dem Risikoniveau der zu beschaffenden Ware. Zweitens: nach Größe der Lieferanten. Drittens: nach Nachhaltigkeitsreife der Branche. In unserem Leitfaden ergeben sich daraus drei Stufen von Präqualifikationsfragen – für unreife, mäßig reife und reife Branchen. Alle konzentrieren sich auf die Sorgfaltspflicht, aber die Tiefe der Fragen wird vorher festgelegt.

Woran würden Sie die Nachhaltigkeitsreife der Branche festmachen?

Hier gibt es große Unterschiede. Branchen mit direktem Verbraucherkontakt – Mode, Lebensmittel, Elektronik – stehen seit Jahren unter öffentlichem Druck. Sie haben Multi-Stakeholder-Initiativen entwickelt, weil Medien sie genau beobachten. Fast-Fashion-Unternehmen wie H&M sind nicht perfekt, aber bei Nachhaltigkeit weiter als viele Industrien, die kaum beachtet werden. Branchen ohne öffentlichen Druck hinken hinterher. Ihre Nachhaltigkeitsstandards sind schwächer. Denken Sie an Unternehmen, die den öffentlichen Gesundheitssektor mit medizinischen Produkten versorgen. Sie standen lange nicht im Fokus der Medien, mit wenigen Ausnahmen wie dem Skandal um Plastikhandschuhe aus Malaysia. Wer denkt schon an Sorgfaltspflichten bei Röntgengeräten?

Welche Rolle spielt die Größe des Unternehmens dabei?

Große Firmen haben mehr Ressourcen – eigene Beschaffungsabteilungen, Nachhaltigkeits- oder Umweltexperten. Kleine Unternehmen hingegen oft nicht. Die Sorgfaltspflichten müssen daher an die Kapazitäten angepasst werden. Bei Selbständigen oder Kleinstunternehmen geht es darum, sich zu überlegen, wie sie Sorgfaltspflichten erfüllen können. Dafür ist der Beschaffungsgegenstand wichtig. Man muss ich überlegen, ist es eine Dienstleistung oder ein Produkt, das man kauft. Und was von beiden soll die Sorgfaltspflicht betreffen? Häufig ist es sinnvoller, Umweltanforderungen direkt an das Produkt zu stellen, statt den Dienstleister in die Pflicht zu nehmen – besonders, wenn es sich um ein kleines Unternehmen handelt.

Nehmen wir das Thema besonders gefährdete Gruppen und wie Lieferanten mit ihnen umgehen müssen. Wie könnte man da nach Unternehmensgröße differenzieren?

Lieferanten der schwedischen Regionen müssen bei der Beschaffung besonders schutzbedürftige Gruppen berücksichtigen und sinnvolle Konsultationen mit den Rechteinhabenden führen. Sie müssen Abhilfe schaffen – und bewerten, ob die Betroffenen mit dem Ergebnis zufrieden sind. Menschenrechtsverteidiger werden ausdrücklich erwähnt, weil sie besonders gefährdet sind. Solche Anforderungen sollte man kleineren Unternehmen in risikoarmen Beschaffungskategorien nicht auferlegen. Für sie könnten Richtlinien ausreichen, dass sie eine verantwortliche Person in einer Führungsposition benennen und eine Risikobewertung durchführen sollen.

Sorgfaltspflichten, die stärken statt überfordern

Ohne einen angemessenen rechtlichen Rahmen könnten viele Unterstützungsangebote für Unternehmen verpuffen. Wie sollten sinnvolle Sorgfaltspflichten in der EU gestaltet sein, damit sie KMUs stärken, anstatt sie zu überfordern?

Zwei Punkte sind entscheidend: Erstens sollte die Omnibus-Verordnung nicht auf direkte Lieferanten beschränkt sein. Zweitens sollte es keine Einschränkungen hinsichtlich der Informationen geben, die von Lieferanten verlangt werden können. Die CSDDD enthält bereits gute Abschnitte zur Unterstützung von KMU. Es sollte jedoch nicht nur um KMU gehen, sondern um alle Unternehmen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, da die Risiko- und Nachhaltigkeitsreife nicht unbedingt mit der Größe zusammenhängt. Daher würde ich die Schwellenwerte lockern und den Schwerpunkt auf die gemeinsame Verantwortung legen.

Das Problem dabei ist nur, dass Juristen und auch viele Unternehmen lieber klare Vorgaben wollen, oder?

Die Sorgfaltspflicht ist nicht schwarz oder weiß. Wenn man die Sorgfaltspflicht in Tabellen zwängt, wird sie zur reinen Verwaltung. Das wird der Realität nicht gerecht, in der sich die Umstände ständig ändern – aufgrund von Handelskriegen oder neuen Gesetzen in Ländern wie China. Diese Dynamik ist faszinierend und macht den Spaß an der Arbeit aus. Denn Mehrdeutigkeit schafft Raum für Kreativität.


Schlagworte zum Thema:  Lieferkette, Due Diligence
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