Interview: Sachspenden als Teil der Nachhaltigkeitsstrategie

Sachspenden sind ein vielversprechender Baustein in der Nachhaltigkeitsstrategie. Doch einen guten Willen beweisen und einfach spenden? So leicht ist es leider nicht. Im Interview erklärt Dr. Juliane Kronen, Gründerin des gemeinnützigen Sozialunternehmens innatura, welche steuerlichen und gesetzlichen Vorgaben Unternehmen beachten müssen.

Frau Kronen, wie werden Sachspenden aktuell steuerlich behandelt?

In Deutschland fällt auf Sachspenden unverändert Umsatzsteuer an. Zu spenden ist damit in der Regel viel teurer als die Entsorgung. Die Spenderunternehmen müssen die Produkte mit dem Entnahmewert aus dem Betriebsvermögen bewerten und auf diesen Wert Umsatzsteuer abführen, die durch die Zuwendungsbescheinigung nur teilweise kompensiert wird. Sie müssen also für eine Sachspende Geld mitbringen.

Ihr Unternehmen innatura vermittelt Sachspenden in den sozialen Sektor. Wie entstand diese Idee?

Ich habe vor innatura 16 Jahren bei der Boston Consulting Group gearbeitet. 2009 wurden uns 200.000 Flaschen fehletikettierte Markenshampoos als Spende angeboten. Allerdings mussten wir die Ware innerhalb von 48 Stunden abholen. Da es damals nicht gelang, in so kurzer Zeit eine so große Menge Shampoo an gemeinnützige Organisationen zu vermitteln, wurde die Ware schließlich vernichtet. Das war für mich der Initialmoment, das gemeinnützige Sozialunternehmen innatura zu gründen. Seit 2013 vermitteln wir fabrikneue Konsumgüter, die nicht mehr für den Markt bestimmt sind, in den sozialen Sektor und stiften sozialen und ökologischen Nutzen.

Sie wurden jüngst für Ihr Engagement mit dem BAUM Umwelt- und Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie „kleine und mittlere Unternehmen“ ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Der Verband feierte 2024 sein 40. Jubiläum und BAUM hat als erste Organisation in Deutschland das Thema Nachhaltigkeit konsequent in die Unternehmenswelt getragen. Diesen renommierten Preis im Jubiläumsjahr zu erhalten, ist eine ganz besondere Ehre. Auch wenn er natürliche Personen auszeichnet, würdigt der Preis natürlich die Leistung des gesamten innatura-Teams. Denn er zeichnet nicht nur unsere Idee aus, sondern auch die erzielte Wirkung: Seit Beginn der Geschäftstätigkeit 2013 konnten wir fabrikneue Waren im Wert von über 50 Millionen Euro in den sozialen Sektor vermitteln und unsere über 3.000 gemeinnützigen Kunden so über 40 Millionen Euro einsparen. So wurden auch über 5.000 Tonnen Abfall vermieden.

„Waren zu vernichten ist günstiger, als sie an Bedürftige abzugeben“

Welche gesetzlichen Änderungen braucht es, damit Spenden für Unternehmen attraktiver wird als Wegwerfen?

Zwei von drei Unternehmen, die bei uns anrufen und Sachspenden anbieten, entscheiden sich aufgrund der aktuellen Besteuerung am Ende doch für die Entsorgung, da ihnen die Spende zu teuer und/oder zu unsicher ist. Erst in einer Betriebsprüfung mit mehreren Jahren Abstand entscheidet sich, wie viel Umsatzsteuer man auf null Euro Einnahmen entrichten muss. Das ist in Zeiten von Kreislaufwirtschaftsgesetz, Ressourcenknappheit und Ringen um nachhaltigeres Wirtschaften ein Schiefstand und gehört abgeschafft.

Wir wären ja schon weiter, wenn Unternehmen eine echte Wahl zwischen Spende und Entsorgung hätten. Bei Entsorgung werden die Vorräte abgeschrieben – dieselbe steuerliche Behandlung fordern wir für Sachspenden. Diese Regelung gilt übrigens ausschließlich für verderbliche Lebensmittel in Deutschland (der sogenannte Bäckererlass). In Ländern wie Frankreich oder den USA erhalten Unternehmen für Spenden zusätzliche Steuergutschriften, damit das Spenden noch attraktiver als die Entsorgung ist. Wir wären mit der Gleichbehandlung schon glücklich.

Was müssen Unternehmen angesichts der aktuellen Gesetzeslage beachten?

Unternehmen müssen ihre Sachspenden zwingend nach dem Entnahmewert aus dem Betriebsvermögen bewerten, diesen als Umsatz verbuchen, die entsprechende Umsatzsteuerzahllast ermitteln. Sie erhalten darüber auf Wunsch eine Zuwendungsbescheinigung. Wir konnten für nicht einwandfreie oder nicht mehr marktfähige Produkte im Laufe der Jahre Regelungen in Zusammenarbeit mit Landesfinanzministerien und dem Bundesfinanzministerium erwirken, die eine niedrigere Bewertung und damit eine geringere Umsatzsteuer-Zahllast erlauben. Und für bestimmte Anlässe können Unternehmen aufgrund sogenannter Billigkeitsregelungen zeitlich begrenzt umsatzsteuerfrei spenden (Corona, Ukraine-Krieg, humanitäre Katastrophen).

Die beste Alternative zur hohen Steuerlast wäre es, die Waren zu einem niedrigen Preis zu verkaufen. Welche Ansätze gibt es noch?

Der Verkauf zum symbolischen Preis wird auch von den Finanzbehörden häufig vorgeschlagen. Dennoch ist dieser mit dem gemeinnützigen Status der Empfängerorganisation häufig nicht vereinbar. Ein Kauf macht die Arbeit dem Drittmarkt vergleichbar, innatura würde zum Beispiel seine Anerkennung als Zweckbetrieb verlieren. Das Deutsche Rote Kreuz, das in vielen seiner Arbeitsfelder von Kleiderspenden abhängt, will nicht in den Altkleiderhandel einsteigen. Die Spende soll ein bewusster, solidarischer Akt sein, um gesellschaftliche Verantwortung zu zeigen. Das sehen auch unsere Spenderunternehmen so.

Sachspenden als Bestandteil der Nachhaltigkeitsstrategie

Inwiefern würden Sie Unternehmen trotz der Hürden die Integration von Sachspenden in ihre Nachhaltigkeitsstrategie empfehlen?

Trotz der finanziellen Mehrbelastung entscheiden sich die über 250 Unternehmen, die mit uns zusammenarbeiten, für eine Spende – unter anderem um ihr gesellschaftliches Engagement glaubwürdig zu kommunizieren. Als integraler Bestandteil ihrer Nachhaltigkeitsstrategie zahlen gespendete Produkte positiv auf die Abfallbilanz und damit das „E“ in den ESG-Kriterien ein. Der gestiftete gesellschaftliche Nutzen trägt zum „G“ bei. Das Engagement der eigenen Mitarbeiter mehrt das „S“. Immer mehr Kunden fordern von Unternehmen Nachhaltigkeit ein. Sachspenden sind also ein Baustein einer Nachhaltigkeitsstrategie, der konkret messbare Wirkung hat und vielfältigen Nutzen entsprechend der zukünftigen Berichtspflichten bringt.

Die EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie gilt als Hürde für generelle Steuerbefreiungen. Welche Handlungsspielräume sehen Sie dennoch für Deutschland?

Wir haben mehrfach gefordert, einen entsprechenden EU-Beschluss anzuwenden, ohne dass er bereits in nationales Recht umgesetzt ist. Das EU-Parlament hat 2021 empfohlen, die „gesellschaftliche Bedeutung einer Transaktion“ auch bei dem angewandten Umsatzsteuersatz zu beachten. Konsequenterweise setzte Spanien den Steuersatz für Grundlebensmittel ab Sommer 2022 für zwei Jahre befristet auf null Prozent. Auch Österreich belegt seit August 2024 Sachspenden mit diesem Steuersatz, der die Spende zwar weiter steuerbar macht, aber jegliche Zahllast vermeidet und dennoch die EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie respektiert.

Was empfehlen Sie Nachhaltigkeitsmanager:innen und Entscheidungstragenden in Unternehmen, die sich mit Sachspenden beschäftigen?

Prüfen Sie, wie Sie Angebote wie das von innatura zu einem Baustein der Nachhaltigkeitsstrategie und Transformation zu mehr Nachhaltigkeit machen können. Zeigen Sie, dass Sie Verantwortung für Ihre Ressourcen bis zum Ende übernehmen und dass Ihnen glaubwürdiges gesellschaftliches Engagement wichtiger als reine Kostenbetrachtungen ist. Informieren Sie sich, was für eine erste Spende notwendig ist und wir schauen gemeinsam, wie Spenden statt Entsorgen zum neuen „Normal“ für Sie werden kann.

Wie sehen Sie die Zukunft beim Thema Sachspenden?

Wir wollen, dass Sachspenden ein ganz selbstverständlicher Bestandteil nachhaltigen Wirtschaftens werden. Sowohl für Spenderunternehmen als auch für soziale Organisation, die ihre Arbeit unter wachsendem Budgetdruck absichern müssen. Wir wollen Unternehmen nicht nur überzeugen, die Produkte zu spenden, die sie ansonsten entsorgen würden. Sie sollen auch planbar Verantwortung für einen Teil des Bedarfes im sozialen Sektor übernehmen.


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