Soziale Nachhaltigkeit und digitale Transformation
Die digitale Transformation steht mittlerweile auf der Agenda der meisten Unternehmen. Mit dem fortschreitenden Klimawandel ist auch das Streben nach Nachhaltigkeit bereits in der Unternehmenswelt angekommen. Beide Megatrends müssen nicht nur in der Unternehmensstrategie, sondern auch in einem nachhaltigen Geschäftsmodell abgebildet sein. Wo kommt die soziale Nachhaltigkeit ins Spiel, warum ist sie in Geschäftsmodellen wichtig?
In der Abbildung unten wird Nachhaltigkeit mit einem holistischen Ansatz als Modell dargestellt, wobei soziale Nachhaltigkeit das Bindeglied zwischen der ökonomischen und der ökologischen Nachhaltigkeit ist. Der Mensch ist der einzige gemeinsame Nenner in den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit und damit das Bindeglied zwischen Natur und Wirtschaft. Die Natur schützt sich im Grunde genommen selbst. Unter ökologischer Nachhaltigkeit verstehen wir, eine lebenswerte und intakte Umwelt auch in Zukunft zu ermöglichen. Die Vereinten Nationen haben das Recht auf ein Leben in einer sauberen und gesunden Umwelt als grundlegendes Menschenrecht im Oktober 2021 in Genf anerkannt (ZEIT online 2021). Auch gibt es verfassungsrechtliche Bemühungen von Ferdinand von Schirach, sechs neue Grundrechte – etwa auf eine gesunde Umwelt oder auf digitale Selbstbestimmung – in dem EU-weiten Grundgesetz zu verankern.
Ganzheitliche Nachhaltigkeit ist also nur mit Menschen zu erreichen und soziale Nachhaltigkeit ist daher auch in nachhaltigen Geschäftsmodellen unverzichtbar.
Soziale Nachhaltigkeit verbindet Ökologie und Ökonomie
Die dritte, in der Vergangenheit oft vernachlässigte Dimension der Nachhaltigkeit, nämlich soziale Nachhaltigkeit, wurde bisher im Unternehmensumfeld in der Praxis oft unter Corporate Social Responsibility (CSR) berücksichtigt. Die soziale Nachhaltigkeit und Begriffe wie CSR, Consumer Social Responsibility (CnSR) (Arli/Tjiptono 2018) und Corporate Citizenship sind verwandte Begriffe. Sie sind in der englisch- oder deutschsprachigen Managementliteratur nicht einheitlich definiert und werden auch in der Praxis unterschiedlich verwendet. Deshalb besteht ein Bedarf, diese Begriffe voneinander abzugrenzen und einheitlich zu definieren.
Wie in der Abbildung zu sehen ist, umfasst die soziale Nachhaltigkeit die Begriffe CSR, CnSR (Arli/Tjiptono 2018) und Corporate Citizenship (CC). Deshalb wird die soziale Nachhaltigkeit als dritte Dimension der Nachhaltigkeit als Dachbegriff (Synonym) für CSR, CC und CnSR in diesem Beitrag verwendet.
Wissenschaftler sind herzlich eingeladen, in diesem Bereich weiter zu forschen und zu diskutieren, die genannten Begriffe gegeneinander abzugrenzen und zu vereinheitlichen. Vor allem in der Praxis würden Entscheider und alle Stakeholder (Kunden, Investoren, NGOs) davon profitieren, einen vernünftigen Benchmark bei der Entscheidungsfindung zur Verfügung zu haben.
CnSR – Consumer Social Responsibility
Der Begriff CnSR – Consumer Social Responsibility (soziale Verantwortung der Verbraucher) – ist in der Abbildung als Teilbereich der sozialen Nachhaltigkeit dargestellt. CnSR kann als die sozial bewusste oder moralisch motivierte Entscheidung einzelner Verbraucher definiert werden, Produkte zu kaufen, die ihren ethischen Vorstellungen entsprechen (Schmidt 2016, S. 19 f.).
NGOs unterstützen Sozialunternehmer, die sich beispielsweise für FairTrade einsetzen, bei der Aufgabe, den Verbrauchern ihre soziale Verantwortung bewusst zu machen. Allerdings fehlt es an Maßnahmen wie der Einführung einheitlicher Siegel (oder Labels) zur ganzheitlichen Abbildung von Nachhaltigkeit für den Verbraucher. Denn Verbraucher benötigen für ihre Kaufentscheidungen weitere Aufklärung und Informationen, um nachhaltig agieren zu können.
Die Rolle der Kunden bei der Aktivierung von CSR
CnSR und CSR stehen letztendlich in einer wechselseitigen Beziehung zueinander, da Verbraucher durch ihre Ansprüche und Entscheidungen eine wichtige Rolle bei der Aktivierung von CSR spielen. Der Bereich CnSR in der Nachhaltigkeitsdebatte im Unternehmensumfeld ist allerdings noch zu wenig erforscht und weitere Studien zu diesem Bereich und zu seiner Rolle für die Entwicklung von CSR wären wünschenswert.
„Was sollen wir nun machen?“, fragen Manager und Unternehmer. Brauchen wir einen Nachhaltigkeitsmanager? Worauf muss ich in unserer digitalen Transformation vor allem achten? Was sind die Nachhaltigkeitsvorgaben?
In der Praxis wird noch häufig die soziale Nachhaltigkeit über CSR-Abteilungen berücksichtigt, die zum Teil über eine direkte Anbindung an die Unternehmensführung verfügen. Heutzutage veröffentlichen praktisch alle Unternehmen einen Jahresbericht über ihre CSR- und Nachhaltigkeitsmaßnahmen, oft als Teil des allgemeinen Jahresberichts. Die in den letzten Jahren entwickelten Berichtsstandards sehen hier insbesondere für börsennotierte Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten eine Berichtspflicht vor (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2017). Unternehmen werden durch Standards für ihr CSR-Konzept und durch die Leitlinien für Nachhaltigkeitsberichte unterstützt. Für die Einbindung von sozialen Nachhaltigkeitszielen in Geschäftsmodelle gibt es in den Standards jedoch keine Informationen. Deshalb werden im nächsten Abschnitt insbesondere sozial nachhaltige Geschäftsmodellinnovationen thematisiert.
Wie tief ist CSR im Unternehmen verankert?
Eine wichtige Frage ist, wie CSR wirklich im Unternehmen verankert wird: Geht es nur um die Außendarstellung oder geht es um ein echtes Umdenken? Wird an der Oberfläche gekratzt oder das Geschäftsmodell umgestellt?
So kann beispielsweise ein Automobilhersteller zwar durch eine grünere Wertschöpfungskette Kosten einsparen, Reputationsgewinne erzielen oder die Identifikation der Mitarbeiter erhöhen. Um mit Veränderungen im System – wie der stark steigenden Nachfrage nach Elektromobilität, autonomem Fahren oder neuen Märkten wie z. B. Carsharing – umzugehen, bedarf es einer Neuausrichtung des Geschäftsmodells.
Ursprünglich ging es bei Corporate Social Responsibility oft nur um einen reaktiven Ansatz zum Schutz der Reputation. Inzwischen hat sich das Verständnis von CSR sowohl in der Managementliteratur als auch in der Praxis weiterentwickelt und umfasst sowohl die ökologische als auch die soziale Nachhaltigkeit (Triple-Bottom-Line-Ansatz). CSR entwickelt sich zu einer etablierten Managementdisziplin, in der das Unternehmen im nächsthöheren Konzept als Corporate Citizenship7 – also als politischer Akteur im CC-Ansatz – betrachtet wird (Crane et al. 2016, S. 67 ff.).
Deswegen sind Unternehmen mit bestehenden CSR-Ansätzen von den sich schnell verändernden Märkten und gesellschaftlichen Anforderungen überfordert. Deshalb muss hier hinterfragt werden, ob das vorherrschende CSR-Paradigma ausreicht und vor allem, wie es sich weiterentwickeln soll, damit sich Unternehmen im Wandel der Zeit behaupten können.
An genau dieser Stelle wird die Verbindung zwischen ganzheitlicher Nachhaltigkeit und Geschäftsmodellen deutlich. Ob ein Unternehmen seine Ziele erreichen kann, wird maßgeblich davon abhängen, ob es ihm gelingt, sich an Veränderungen im Gesamtsystem anzupassen und die Geschäftsmodelle neu zu denken.
Was sind soziale nachhaltige Geschäftsmodelle nun also?
Unter dem Begriff »(soziale) nachhaltige Geschäftsmodelle« verstehen wir im Folgenden den ganzheitlichen Ansatz: soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit, aus menschlicher Sicht betrachtet (siehe auch Nextpreneurs-Ansatz in Abschnitt 3.1). Der Begriff des (sozial) nachhaltigen Geschäftsmodells umfasst im weiteren Sinne alle verwandten Begriffe wie Social Business, Purpose-Driven Business, Sustainable Business etc. (Sozial) nachhaltige Geschäftsmodelle und Unternehmen mit einem menschenzentrierten Ansatz haben eine positive Auswirkung nicht nur auf die Gesellschaft, sondern auch auf Wirtschaft und Natur.
Sozial nachhaltige Geschäftsmodelle sind menschenzentriert (human-centred) gestaltet, weil wir Menschen sind und menschlich handeln, das heißt, wir betrachten Menschen als Wesen, die gerne im Einklang mit ihren Werten handeln, die ein bestimmtes (beschränktes) Wissen haben, Emotionen, Einschränkungen usw. Es ist wichtig, zukünftige Unternehmen von der menschlichen Seite aus zu betrachten, denn für die Zukunft der Wirtschaft ist der Mensch Lösung und Verursacher zugleich und ein digitaler und nachhaltiger Geschäftsmodellierungsansatz ist dafür unverzichtbar.
In der digitalen Transformation wird die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle als eine der wichtigen Aufgaben von Unternehmen angesehen. Hinzu kommen die Nachhaltigkeitsforderungen von Kunden und die Regulierungsseite. Unter diesem externen Druck entwickeln Unternehmen meistens kundenorientierte innovative Geschäftsmodelle, allerdings rücken dabei wichtige Stakeholder – vor allem Mitarbeitende, Zulieferer und Geschäftspartner – oft in den Hintergrund. Genau deshalb muss die vernachlässigte menschliche bzw. Stakeholder-Dimension der Nachhaltigkeit mit einer ganzheitlichen Betrachtung in die neuen Geschäftsmodelle eingearbeitet werden.
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Dieser Artikel ist ein Ausschnitt aus dem Buch Soziale Nachhaltigkeit und digitale Transformation, das 2022 bei Schäffer-Poeschel erschienen ist. Hier geht es zum Buch.
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