Erfahrung zählt: Ältere Beschäftigte als Gewinn für die Arbeitswelt
Der demografische Wandel stellt uns auch im Arbeitsleben vor Herausforderungen, die mittlerweile für viele zur Realität geworden sind. Der Renteneintritt der sogenannten "Baby Boomer" und der generelle Rückgang an Nachwuchs verschärfen den Fachkräftemangel. Damit die Rente noch finanzierbar ist, wurde das offizielle Renteneintrittsalter auf 67 Jahre abgehoben, das reale Renteneintrittsalter lag 2022 im Durchschnitt bei 64,4 Jahren – ein Plus von ca. 2 Jahren im Vergleich zu der Jahrtausendwende. In den letzten 10 Jahren hat daher auch die Erwerbstätigkeit der 60- bis 64- Jährigen zugenommen wie bei keiner weiteren Gruppe auf dem Arbeitsmarkt: Von 47 % im Jahr 2012 stieg sie auf 63 % im Jahr 2022. Und auch der Anteil der 65- bis 69-Jährigen ist gestiegen und lag 2022 bei 19 %.
Wir stehen vor der Herausforderung, ältere Menschen in das Arbeitsleben zu integrieren. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass Arbeitnehmer während ihres gesamten Berufslebens gesund und fit bleiben. Nur so können Menschen auch im höheren Alter aktiv im Beruf bleiben. Dies erfordert ein Umdenken in vielen Branchen und eine veränderte Lebensplanung für die Individuen.
Altern ist ein biologischer Prozess, der weder aufzuhalten noch umzukehren ist. Diese Prozesse sind individuell und werden von äußeren Faktoren wie Lebensstil und Umwelt sowie von unserer Genetik bestimmt. Lange Zeit wurde das Altern nur mit Abbau, Verfall und Defiziten in Verbindung gebracht. Tatsächlich nehmen körperliche Ressourcen im Alter ab: Unsere maximale Belastbarkeit ist geringer als in jungen Jahren und das generelle Leistungsvermögen sinkt. Schwere körperliche Arbeiten sind für ältere Menschen oft nicht mehr zu bewältigen, da die physiologische Leistungsfähigkeit ihre Grenzen hat und respektiert werden muss. Dennoch ist das Bild des Alterns als reiner Verfall einseitig und möglicherweise stark überzeichnet. Zunehmend beschäftigen sich aktuellen Forschungen mit den Stärken des Alters, insbesondere wenn es darum geht, diese ins Arbeitsleben zu integrieren (z.B. „Arbeit bis 67“, Überlegungen aus arbeitsmedizinischer Sicht von Dr. Gunda Maintz, Direktorin und Professorin der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Leiterin des Fachbereiches „Betrieblicher Arbeitsschutz).
Erfahrungswissen als Schatz
Ältere Menschen verfügen über einen großen Erfahrungsschatz – alleine bedingt durch die Anzahl der Lebensjahre haben sie sich oftmals eine Fülle von Kenntnissen, Fertigkeiten und Wissen aneignen können. Dieser Erfahrungsschatz – oder die sogenannten kristallinen Fähigkeiten –entpuppen sich als wahre Schatzkiste, wenn es um Routinetätigkeiten geht. Dadurch gelingen viele Abläufe „wie von selbst“, so dass etwaige körperliche Leistungseinbußen durch vorhandene Erfahrung kompensiert werden können. Vorrausetzung hierfür ist allerdings, dass ältere Menschen ausreichend Handlungsspielraum bekommen, um physische Leistungseinbußen auch ausgleichen zu können.
Während die Physis mit dem Alter nachlässt, können sich mentale Fähigkeiten im Alter sogar noch vermehren. Tatsächliche Leistungsabfälle am Arbeitsplatz sind daher nicht grundsätzlich altersbedingt und eher ein multifaktorielles Geschehen.
Gelassenheit des Alters statt jugendlichem Heißsporn
Wenn Schwierigkeiten auftreten, die nicht mit der Standardlösung bewältigt werden können, hilft oft die gesammelte Erfahrung weiter. Ältere Menschen können auf bereits etablierte Lösungsstrategien zurückgreifen und damit möglicherweise kompetenter als Jüngere zu einem guten Resultat kommen.
Zudem nehmen im Alter soziale Kompetenzen und Selbstmanagement-Fähigkeiten zu. Ältere Menschen sind oft besser vernetzt als jüngere, was sich positiv auf den Aufbau und die Pflege von Netzwerken auswirkt. Auch das Verarbeiten und Regulieren von Emotionen gelingt im Alter besser als in jungen Jahren. Der Ausdruck „jugendlichen Heißsporn“ und der Gelassenheit des Alters haben also ihre Berechtigung.
Dazu kommt, dass ältere Menschen besser mit Ambivalenzen und mehrdeutigen Situationen umgehen können als jüngere. So verfügen ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen häufiger über die Kompetenz, komplexe Sachverhalte zu lösen, den Überblick zu behalten und mit konfliktreichen Situationen umzugehen. Im Arbeitsleben zeigt sich, dass ältere Menschen über eine höhere intrinsische Motivation verfügen. Während jüngere Menschen auf viele weitere Themen wie Familiengründung, Wohnungsbau, Vermögensaufbau und Karriereoptionen fokussiert sind, stellen ältere Beschäftigte möglicherweise die Selbstverwirklichung im Arbeitsprozess in den Vordergrund. Hier liegt der Grundstein für eine höhere Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz im Alter. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Generativität: das Bestreben, etwas zu schaffen, das der nachkommenden Generation zugutekommt – sowohl privat als auch im Arbeitsleben.
Unverändert bleiben im Alter übrigens die Kreativität und die objektive Innovationsfähigkeit, so dass das Arbeiten in diesem beruflichen Feld eben auch in höherem Lebensalter gut möglich ist. Wie aber sieht es mit Lernprozessen aus? Hier hat sich gezeigt, dass Lernen im Alter durchaus möglich und wichtig ist. Auch bei älteren Menschen wachsen entsprechende Hirnregionen an und es sind positive Effekte sichtbar. Allerdings scheint dies etwas mehr Zeit und mehr Übung zu brauchen als in jungen Jahren.
Da Ältere leichter ablenkbar sind (präziser gesagt: mehr Aufmerksamkeit auch auf irrelevante Informationen legen) als junge Menschen, empfiehlt es sich, auch eine entsprechende Lernumgebung zu schaffen. Je sinnvoller ein Lernziel erachtet wird, je mehr positive Emotionen damit verknüpft sind, umso leichter wird es auch erreicht. Dies scheint sowohl für Jung und Alt zu gelten.
Trotz Einbußen im Alter ist das hohe Lebensalter nicht nur eine Zeit des Zerfalls und Abbaus, sondern auch eine Phase der Stabilität und der Erfahrungsfülle. Wenn beide Aspekte berücksichtigt werden, kann es gelingen, Arbeitsplätze für ältere Menschen so zu gestalten, dass ihre Ressourcen optimal genutzt und vorhandene Defizite ausgeglichen werden.
Die Vorstellung, dass ältere Menschen den Arbeitsmarkt bereichern können und ein Verbleib im Berufsleben gewinnbringend ist, fordert uns dazu auf, Möglichkeiten für eine altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung auszuloten.
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