Arbeits- und Gesundheitsschutz über die Betriebs- und Ländergrenzen hinaus
Das Interview führte Bettina Brucker M. A., Freie Journalistin und Autorin.
Herr Professor Siegemund, die Globalisierung eröffnet neue Arbeitsmärkte und bringt neue Herausforderungen mit sich. Wie unterscheiden sich die internationalen Trends beim Arbeits- und Gesundheitsschutz von der Entwicklung in deutschen Unternehmen?
Der Arbeitsschutz hat international an Bedeutung gewonnen und dieser Trend geht weiter. Doch die regionalen Rahmenbedingungen unterscheiden sich in mehreren Bereichen.
Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel: Unternehmen, die auch in den neuen EU-Ländern wie Polen, Tschechien, Rumänien oder Ungarn aktiv sind, kümmern sich dort nicht nur um den Arbeitsschutz. In diesen Ländern ist die Gesundheitsversorgung zum Teil nicht mit der unseren vergleichbar. Deshalb bieten sie den Mitarbeitern Zusatzversicherungen und Gesundheitsschutz über ein Prepaid-Card-System an. Damit sind nicht nur die Beschäftigten abgesichert, sondern auch deren Familienangehörige.
In Deutschland spielt diese Paketdienstleistung bisher kaum eine Rolle. Wenn allerdings in Zukunft die Krankenversicherungen vereinheitlich werden, wird das Prepaid-Card-System auch bei uns interessant werden. Denn die Vereinheitlichung wird dazu führen, dass – auch wenn das alle bestreiten – eine Zweiklassengesellschaft entsteht. Wer es sich finanziell leisten kann, wird Zusatzversicherungen abschließen. Solche Angebote können dann auch Unternehmen ihren Mitarbeitern machen.
Der Arbeitsschutz unterscheidet sich von Land zu Land aber auch in der Überwachung der Arbeitsplätze. So treten beispielsweise bei Schweißarbeiten – egal wo auf der Welt sich der Arbeitsplatz befindet – dieselben Belastungen auf. Trotzdem fallen Untersuchungsergebnisse dazu unterschiedlich aus, weil die Methoden und Messverfahren nicht einheitlich festgelegt sind. Und es gibt weltweit auch keine einheitliche Vorschrift, wer sich die Arbeitsplätze anschaut oder welche Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden müssen.
In der Europäischen Union (EU) gibt es seit 1989 Rahmenrichtlinien zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Sie geben Auskunft zu Zertifizierungen, Fristen für Begehungen, Qualifikation von Personal usw. In anderen Ländern gibt es dazu gar nichts. In einigen Ländern werden die Unternehmen durch ein qualifiziertes Assistenzsystem betreut. Dieses Nurse-System gibt es zum Beispiel in Australien. In vielen Ländern gibt es Betriebsärzte, in Italien und Deutschland kümmern sich Fachärzte für Arbeitsmedizin um den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Sie sehen, auch die Anforderungen an das Personal sind international sehr unterschiedlich.
Was kann die Politik für den Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Unternehmen bewirken?
Die Politik spielt vor allem eine Rolle, wenn es um grundlegende Schutzgedanken geht. International betrachtet muss man jedoch berücksichtigen, dass etwa in Indien andere politische Probleme zu bewältigen sind als in einem Land wie der Schweiz oder Deutschland.
Wenn der Kunde beim Kauf eines Produktes nur auf den Euro schaut, wird weiterhin vor allem Billigware über den Ladentisch gehen. Wenn der Kunde jedoch darauf Wert legt, dass das Produkt unter gesunden Bedingungen hergestellt wurde, dann wird sich in der Richtung schneller etwas ändern, als das die Politik jemals erreichen kann. Hier sehe ich übrigens auch die Medien in der Pflicht, sowohl über Missstände als auch über positive Beispiele zu berichten.
Und wenn ich den Arbeitsschutz einmal mit dem Umweltschutz vergleichen darf, dann erkennt man, wie wichtig es ist, solche Themen in der Schule zu behandeln. Wenn ich zu Hause etwas in die falsche Tonne werfe, machen mich meine Kinder sofort darauf aufmerksam. Sie sind mit der Mülltrennung groß geworden, die ist für sie selbstverständlich. Wenn wir bereits Jugendliche an den Arbeits- und Gesundheitsschutz heranführen, wird er in Zukunft viel selbstverständlicher sein.
Wo sehen Sie persönlich die größte Herausforderung für Unternehmen in Sachen Arbeits- und Gesundheitsschutz innerhalb der nächsten 10 Jahre?
Bestimmte Erkrankungen, ob Rückenbeschwerden oder psychische Leiden, nehmen in den letzten Jahren deutlich zu. Das belegen verschiedene Untersuchungen und Statistiken. Auch die immer älter werdende Belegschaft ist ein wichtiges Thema.
Oft werden die Problembereiche allerdings nur innerhalb des Unternehmens betrachtet. Doch ein guter Bürostuhl hilft nur wenig, wenn der Mitarbeiter zu Hause auf der falschen Matratze schläft. Stressabbau am Arbeitsplatz kann nur Entlastung bringen, wenn die Belastung nicht in erster Linie durch familiäre Probleme ausgelöst wird.
Arbeits- und Gesundheitsschutz darf nicht nur aufs Unternehmen bezogen, sondern muss ganzheitlich betrachtet werden. Die Unternehmen müssen sich als Plattformen verstehen, die das Gesundheitsbewusstsein fördern, die alle erreichen und deren Maßnahmen und Angebote auch in den privaten Bereich ausstrahlen.
Die B·A·D GmbH veranstaltet im September das erste International OHS Executive Meeting mit hochkarätigen Experten als Referenten. Es soll der Beginn eines regelmäßigen Austauschs von Führungskräften sein. Verraten Sie uns, was hinter dem B·A·D - Beitrag „One-Stop-Shopping“ steckt?
Für einen reibungslosen Ablauf ist es immer von Vorteil, wenn man bei wichtigen Fragen nur einen Ansprechpartner hat, ob in der Produktion, im Vertrieb oder im Management. So sollte es auch sein, wenn es um den Arbeits- und Gesundheitsschutz im Unternehmen geht.
Beim Arbeits- und Gesundheitsschutz treffen unterschiedliche Fachrichtungen aufeinander. Den Verantwortlichen in den Unternehmen ist es wichtig, dass Information und Beratung dazu aus einer Hand kommen. Im internationalen Geschäft bedeutet das zudem eine länderübergreifende Betreuung.
Als Dienstleister können wir die Gesetze und Bedingungen nicht überall gleichmachen, doch wir können ein Unternehmen dabei unterstützen, dass das konzerneigene Arbeitsschutzmanagementsystem von der Ukraine bis Deutschland den größtmöglichen gemeinsamen Nenner hat und dass der Mensch am Arbeitsplatz dabei immer im Mittelpunkt steht.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Siegemund.
Bettina Brucker M. A., Freie Journalistin und Autorin
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