Die Zahl psychischer Erkrankungen ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Medien sprechen bereits von der Volkskrankheit "Burnout". Doch was die meisten nicht wissen, ist, dass dieser Begriff so in den Diagnosekatalogen der Ärzte überhaupt nicht anzutreffen ist. Ist es nun ein Erschöpfungszustand oder eine Form der Depression? Arbeitsmediziner Uwe Gerecke kennt die Antworten.

aufe Online-Redaktion: Inwiefern unterscheidet sich das Krankheitsbild "Burnout" von einer Depression?

Uwe Gerecke: Rein medizinisch betrachtet, kommt die Diagnose "Burnout" in der Statistik der Mediziner nicht vor. Burnout ist ein Begriff aus der Arbeitspsychologie. Es ist ein Zustand emotionaler Erschöpfung, die Entwicklung von innerer Leere begleitet von Unruhe und Anspannung, einem Gefühl verringerter Effektivität, gesunkener Motivation und der Entwicklung dysfunktionaler Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Arbeit. Von Burnout spricht man meist, wenn die Veränderungen im Arbeitskontext auffallen, es sehr engagierte Menschen trifft, man die Veränderungen vor allem für eine Reaktion auf andauernden Stress hält, man betonen will, dass sich jemand übernommen hat und man das Wort "Depression" vermeiden möchte. Tatsächlich liegt in vielen Fällen eine depressive Erkrankung vor!

 

Haufe Online-Redaktion: Was denken Sie, wiegt schwerer – eine Depression oder ein Burnout?

Gerecke: Aktuell leiden fünf Prozent der Bevölkerung unter einer Depression und statistisch gesehen erkrankt jeder Sechste im Laufe seines Lebens daran. Was die Angelegenheit – letztlich auch die frühzeitige Behandlung – so schwierig macht, ist, dass der Begriff "Depression" negativ besetzt ist und in den Betroffenen Schuldgefühle hervorruft. Statt offen damit umzugehen, bleibt es ein Tabuthema. Im Gegensatz dazu, fällt es den meisten leichter, die Diagnose "Burnout" zu akzeptieren. Zum einen, weil es auch ein Zeichen dafür ist, dass man sehr engagiert war und für eine Sache "gebrannt" hat. Andererseits haben viele Prominente – wie zum Beispiel Tim Mälzer, Miriam Meckel oder Sven Hannawald – die sich öffentlich dazu bekannt haben, den Begriff des Burnouts erst "salonfähig" gemacht.    

 

Haufe Online-Redaktion: Wollen Sie damit andeuten, dass ein Burnout leichter zu behandeln ist?

Gerecke: Nein, im Grunde handelt es sich dabei auch um eine psychische Erkrankung, die auch dieselben Behandlungsmethoden erfordert. Eine qualifizierte Diagnostik hilft weiter. Wichtig ist zuallererst Ruhe und Entspannung, das Überdenken der eigenen Einstellung und der Arbeitssituation. Es gilt, einen Ausgleich zum beruflichen Stress zu finden, um wieder zur inneren Balance zu gelangen.

  

Haufe Online-Redaktion: Gibt es Personen, die besonders gefährdet sind, an einem Burnout zu erkranken?

Gerecke: Ja. Betroffen sind fast immer Personen mit Mehrfachbelastungen, Tätigkeiten mit hohem Zeit-, Kosten- und Termindruck bei gleichzeitig "schlechtem Arbeitsklima", Berufe mit emotionalen Anforderungen wie soziale und pflegerische Berufe oder Berufe, die in der gesellschaftlichen Kritik stehen, wie zum Beispiel pädagogische Berufe. Das Risiko zu erkranken ist erhöht für Menschen mit schlechtem Stressmanagement, hoher Erwartungshaltung an sich selbst, die einen ausgeprägten Wunsch nach Anerkennung zeigen, Menschen, die sich für alles verantwortlich fühlen, alles kontrollieren wollen, nicht "Nein" sagen können, es allen recht machen wollen und sich für unverzichtbar halten.

 

Haufe Online-Redaktion: Psychische Erkrankungen entstehen letztlich immer auch in einem Umfeld. Welche Arbeitsbedingungen können einen Burnout begünstigen? 

Gerecke: Burnout heute entsteht mehr aus dem Druck, die Ansprüche anderer erfüllen zu können, aus Konkurrenzdruck, Leistungsdruck, fehlender Wertschätzung und gesellschaftlicher Unsicherheit. Ein schlechtes Teamklima, in dem der Einzelne nicht genug soziale Unterstützung erhält oder vom Vorgesetzten ungerecht behandelt wird. Weitere Faktoren sind ein geringer Entscheidungs- und Handlungsspielraum, Angst vor Arbeitsplatzverlust, eine hohe Anstrengungsbereitschaft gepaart mit erheblichem Zeitdruck, Arbeitsverdichtung und rascher Umstrukturierung.

 

Haufe Online-Redaktion: Was sind erste Anzeichen für ein Burnout?  

Gerecke: Körperlicher und mentaler Energieverlust, Konzentrationsprobleme, Verlust der Motivation, Leistungseinbrüche, Dünnhäutigkeit und sozialer Rückzug. Betroffene können gereizt und aggressiv wirken oder im Gegenteil in sich versunken vor sich hinstarren, Traurigkeit und Niedergeschlagenheit ausdrücken.

 

Haufe Online-Redaktion: Was können Vorgesetzte tun, wenn sie solche Auffälligkeiten im Sozialverhalten bei ihren Mitarbeitern beobachten?

Gerecke: Das A und O ist Kommunikation. Sie sollten die Betroffenen offen ansprechen, Auffälligkeiten benennen, den anderen ermutigen, von sich zu sprechen und Unterstützung anbieten. Marginalisierung und Stigmatisierung sind hingegen der falsche Weg. Zu den Aufgaben einer Führungskraft gehört es aber nicht, eine Diagnose zu stellen oder eine Therapieaufgabe zu übernehmen. Das gehört in professionelle Hände. Insgesamt kann letztlich mehr Achtsamkeit im Umgang miteinander einen großen Unterschied bewirken. Wenn jeder darauf achtet, wie es dem anderen geht, können Betroffene früher die Hilfe bekommen, die sie benötigen.

 

Das Interview führte Nicole Schrehardt.

 

Dr. med. Uwe Gerecke

ist Präsidiumsmitglied des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) sowie Facharzt für Arbeitsmedizin, Umweltmedizin, Sportmedizin, Notfallmedizin und Suchtmedizin.

Schlagworte zum Thema:  Psychische Belastung, Burnout