Balanceakt zwischen respektvollem Umgang und Arbeitsalltag
In Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen ist festgelegt, für welche Personen ein Arbeitnehmer im Trauerfall wie viel Zeit freinehmen darf. Ansonsten wird das Thema Trauer am Arbeitsplatz allerdings meist ausgespart.
Herr Welzel, Sie haben ein ungewöhnliches Thema für Ihre Unternehmensberatung gewählt. Wie kommt das?
Eigentlich bin ich gelernter Kaufmann. Im Zuge meiner Bank- und Beratungsgespräche passierte es, dass ein Kunde schwer erkrankte und verstarb. Meine Aufgabe danach war es, mit den Erben das Erbrechtliche abzurechnen. Von der fachlichen und rechtlichen Seite war das kein Problem. Doch in der Kommunikation fühlte ich mich unsicher und stieß an meine Grenzen.
Ich wendete mich an die Geschäftsleitung. Schnell wurde in Gesprächen klar, dass auch andere Kollegen mit solchen Situationen überfordert waren. Für das Geldinstitut hatte das sogar monitäre Folgen. Kunden brachen nach einem Todesfall die Geschäftskontakte mit der Bank ab.
So kam mir die Idee, ein Training zum Thema "Trauer am Arbeitsplatz" zu entwickeln und es Banken anzubieten. 85 % meiner Kunden sind Banken. Erst letzte Woche hatte ich ein Seminar mit 12 Bankvorständen.
Aber auch Personaler und Betriebsräte sind auf mein Angebot aufmerksam geworden. Sie sprachen mich an und sagten: "Was Sie da für den Berater-Kunden-Dialog schulen, könnten wir auch dringend für uns und unsere Mitarbeiter brauchen". Und so führen wir auch Trainings für Personaler und Betriebsräte in Unternehmen ab etwa 500 Mitarbeitern durch.
Warum sind Schulungen für Führungskräfte so wichtig?
Ich hätte früher nie gedacht, dass es beim Thema Trauer eine so hohe Betroffenheit bei Betriebsangehörigen gibt. Doch in jedem Unternehmen gibt es nicht bearbeitete Trauerfälle. Und so fließen öfter mal die Tränen, wenn wir eine Weile zusammengearbeitet haben.
Trauer am Arbeitsplatz hat viele Gesichter und Geschichten: Da hat eine Mitarbeiterin eine Fehlgeburt erlitten oder die Tochter eines Mitarbeiters begeht Selbstmord. Kindstod und Suizid sind besonders schwierige Situationen. Vorgesetzte und Kollegen wissen oft nicht, ob überhaupt oder wie sie die betroffene Person danach ansprechen sollen. Wir reden immer davon, dass Tod und Trauer Tabuthemen seien. Doch ich denke, es geht vor allem darum, dass wir nicht wissen, wie wir mit den Betroffenen darüber reden sollen.
Welche Bedürfnisse haben Trauernde? Wie kann man darauf am Arbeitsplatz Rücksicht nehmen?
Wichtig ist es, den Trauernden nicht alleine zu lassen, sondern wieder in den Arbeitsalltag einzubinden. Das sind oft die einfachen Dinge, wie gemeinsam einen Kaffee trinken gehen oder den Betroffenen beim Mittagessen nicht alleine in der Kantine am Tisch sitzen zu lassen. Schwierige Tage sind für Trauernde meist die Geburtstage der Verstorbenen, der Todestag oder Feiertage und da besonders Weihnachten.
Für manche Mitarbeiter ist es wichtig, regelmäßig arbeiten zu gehen, doch vielleicht funktionieren in den ersten Wochen nach einem Trauerfall nur halbe Arbeitstage. Hier ist das betriebliche Wiedereingliederungsmanagement gefragt.
Wer trauert, dessen Antennen sind sehr sensibel. Die Verletzlichkeit ist sehr hoch und dauert lange an. Verletzungen können auch später noch einmal aufbrechen. Falsches Verhalten von Vorgesetzten und Kollegen führt nicht selten zur Kündigung, oft zu einem Zeitpunkt, wo keiner mehr den Zusammenhang mit dem Todesfall erkennt.
Welche Handlungsspielräume haben Vorgesetzte, um betroffene Mitarbeiter zu unterstützen?
Stirbt ein Kollege, sollte man den anderen Betriebsangehörigen die Möglichkeit zum Trauern bieten. So kann man am Arbeitsplatz eine Kerze aufstellen oder ein Kondolenzbuch auslegen. Ein Team, dem die Freiheit gegeben wird, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, findet oft seine eigene Abschiedszeremonie, wie z. B. Zettel mit Abschiedsgrüßen. Außerdem halte ich es für das Beste, sich präventiv durch externe Fachleute bei der Trauerarbeit unterstützen zu lassen. Ein tolles Beispiel ist die Handwerkskammer Koblenz, die ihren Mitgliedern seit Jahren eine Hotline anbietet, wo schnell Hilfe aktiviert wird.
Wenn Führungskräfte und Vorgesetzte authentisch reagieren und ihre Hilflosigkeit, Schwäche oder Betroffenheit äußern, kommt das bei den Betroffenen meistens sehr gut an. „Lieber Kollege Müller, ich weiß gar nicht, was ich in deiner Situation sagen soll. Ich bin hilflos." Leider erleben Betroffene oft das Gegenteil, wo dann gut gemeinte und aufmunternde Ratschläge kommen, wie „Kopf hoch, das wird schon wieder“, “Fahren Sie doch mal drei Wochen zur Kur“ oder einer 31-jährigen Mitarbeiterin nach einer Fehlgeburt gesagt wird: „Du hast doch schon ein Kind, das ist doch nicht so schlimm.“
Wie wichtig ist die Unterstützung von Seiten der Geschäftsleitung?
Springen mehrere Mitarbeiter vom Firmendach in den Tod und ist die einzige Reaktion darauf, einen Zaun auf dem Dach zu errichten, dann ist das ein falsches Signal. Wertschätzendes und empathisches Vorgehen ist gefragt. Das hat Wirkung bei den Mitarbeitern im Betrieb. Sie erfahren, dass sie in schwierigen Situationen zur Geschäftsleitung gehen können und unterstützt werden.
Wer als Unternehmer nicht auf den Tod eines Mitarbeiters reagiert, verspielt das Vertrauen seiner Mitarbeiter und das Ansehen im gesellschaftlichen Umfeld. Das war z. B. der Fall, als bei einer Fremdfirma ein Mitarbeiter vom Gerüst fiel und noch an der Unfallstelle verstarb. 10 Kollegen waren dabei und haben das schreckliche Geschehen miterlebt. Doch die Firma schwieg auf allen Ebenen. Die Empörung darüber entlud sich wenige Tage später in der lokalen Zeitung.
Wo siedelt man den Themenbereich Sterben, Tod und Trauer an?
Am besten ganz oben in der Geschäftsführung. Empfehlenswert ist es, wenn neben der Geschäftsführung der Personalbereich, der Betriebsrat, bei großen Unternehmen auch der Werksarzt und alle anderen eingebunden werden, die im betrieblichen Eingliederungsmanagement tätig sind. Wer als Unternehmensverantwortlicher das Notfallmanagement präventiv um das Thema Trauer erweitert, ist gut für die Zukunft gewappnet.
Bisher hat dieser Themenbereich aber in kaum einem Unternehmen seinen Platz gefunden. Dabei hat Trauer am Arbeitsplatz auch sehr viel mit Arbeitsschutz zu tun. Wer trauert, ist oft unkonzentriert und weniger leistungsfähig. Was bedeutet das für Industrieunternehmen, die mit gefährlichen Stoffen arbeiten? Was kann in solch einem Fall in der Produktion passieren?
Wie bekommt man die Balance zwischen persönlicher Fürsorge und aktuellen Arbeitsanforderungen hin?
Fürsorge hat auch Grenzen. Oft gehen Helfer kaputt, weil sie sich selbst zu wenig schützen. Deshalb ist es wichtig, sich perfekt auf diese Gespräche vorzubereiten und den richtigen Rahmen zu gestalten. Nur so ist es gewährleistet, in aller Ruhe empathisch sein zu können und trotzdem den Arbeitsalltag nicht aus den Augen zu verlieren.
Nach einem Gespräch hilft ein Reinigungsprozess, die Trauer loszulassen und Platz für neue Energie zu schaffen. In minimalistischer Form kann das bedeuten, den Besprechungsraum sehr gut zu lüften und sich Gesicht und Hände waschen. Sind die beteiligten Gesprächspartner emotional stärker berührt, empfiehlt es sich externe Hilfen in Anspruch zu nehmen. Einer unserer Kunden bezahlt z. B. für seine Mitarbeiter die ersten fünf Stunden bei einem Therapeuten. Die Mitarbeiter fühlen sich wertgeschätzt, was sich im Betriebsklima deutlich niederschlägt.
Herr Welzel, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Bettina Brucker M. A., Freie Journalistin und Autorin.
Trauer am Arbeitsplatz - Unterstützung bei existentiellen Krisen von Mitarbeitern
Ulrich Welzel bietet Trainings, Workshops, Vorträge und Webinare zum Thema " Trauma am Arbeitsplatz" an.
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