Der Fall: Kinderpflegerin erkrankt an Covid-19
Die Klägerin ist seit April 2019 als Kinderpflegerin in der Städtischen Kindertageseinrichtung in O. beschäftigt, wobei sie in einer Gruppe mit 26 Kindern und einer weiteren Fachkraft arbeitet. Am 24.03.2021 fühlte sie sich matt und kraftlos, am 26.03.2021 verließ sie sodann ihre Arbeitsstelle vorzeitig, da zu der Kraftlosigkeit ein Schnupfen hinzukam. Am 31.03.2021 wurde die Klägerin sodann mittels PCR-Test positiv auf eine COVID-19-Infektion getestet. Seit der Genesung leidet die Klägerin nunmehr unter Kurzatmigkeit und eines Verlusts des Geschmacks- und Geruchssinns. Die Stadtverwaltung O. zeigte mit Unfallanzeige vom 05.05.2021 die COVID-19-Infektion der Klägerin bei der Beklagten an.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 31.08.2021 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 3101 bei der Klägerin ab. Zur Begründung gab sie an, dass weder eine Indexperson bekannt sei noch ein positives Testergebnis bei der Beklagten vorliege. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Erkrankung an COVID-19 als Berufskrankheit könnten damit nicht nachgewiesen werden.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 13.09.2021 Widerspruch unter Beifügung einer Bescheinigung des Landrats des Kreises W. vom 07.05.2021, mit der der Klägerin ein positives PCR-Testergebnis vom 31.03.2021 und damit eine nachgewiesene Immunisierung nach einer Infektion mit dem COVID-19-Erreger bescheinigt wurde. Des Weiteren führte sie zur Begründung ihres Widerspruchs aus, dass die Nennung einer Indexperson unmöglich sei. Zum Zeitpunkt ihrer Infektion sei die Anzahl der Kinder in der von ihr betreuten Gruppe bereits wegen Krankheiten vieler Kinder, die von ihren Eltern krank aus der Einrichtung haben abgeholt werden müssen, sehr begrenzt gewesen. Aufgrund des Unwohlseins der kranken Kinder sei es der Klägerin unmöglich gewesen, Abstand zu halten, da auch die schniefenden Nasen der Kinder haben geputzt werden müssen. Zudem sei in der Gruppe viel gehustet und geniest worden. Eine Testpflicht für die Kinder habe es zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben. Die Klägerin selbst habe sich während der Pandemie in ihrem privaten Bereich massiv eingeschränkt.
Der Widerspruch blieb erfolglos, so dass die Klägerin Klage zum SG erhob.
SG: Berufskrankheit liegt vor
Die Klägerin hat nach dem Urteil des SG Duisburg vom 13.6.2023 (Az. S 36 U 38/22) einen Anspruch auf Feststellung, dass ihre COVID-19-Infektion gem. § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII i.V.m. der Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV eine Berufskrankheit ist. Das Vorliegen einer BK 3101 ist bei der Klägerin zur Überzeugung der Kammer nachgewiesen, da die Klägerin im Zeitpunkt der Infektion in der Wohlfahrtspflege tätig war, sie aufgrund dieser Tätigkeit einer besonders erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen ist und diese Infektionsgefahr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu der COVID-19-Infektion der Klägerin geführt hat.
Bei den ausgeübten Verrichtungen der Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit als Kinderpflegerin bestand eine hohe und besondere Übertragungsgefahr. So hat die Klägerin glaubhaft angegeben, dass viele der betreuten Kinder Krankheitssymptome gezeigt haben und zudem die empfohlenen Schutzmaßnahmen nur sehr eingeschränkt eingehalten werden konnten. Auch die Schutzmaßnahme des Tragens einer medizinischen Maske wurde nicht konsequent eingehalten. Die Kinder selbst haben den Angaben der Klägerin zufolge keine Masken getragen. Die Erzieherinnen hingegen haben zwar teilweise eine Maske getragen, aber auch nicht durchgehend, da dies bei gewissen Tätigkeiten, wie bspw. beim gemeinsamen Frühstück, nicht möglich war. Die Klägerin hat zudem für das Gericht glaubhaft geschildert, dass sie ihre Maske auch bei Unterhaltungen mit den Kindern des Öfteren abgenommen hat, da für die Kinder auch die Mimik bei einer Unterhaltung wichtig sei.
Zudem konnten aufgrund der Art und Weise der von der Klägerin vorgenommenen Verrichtungen als Kinderpflegerin auch die gebotenen Abstandsregelungen nicht eingehalten werden. Dies sei zwar in der Regel versucht worden, aber bei gewissen Tätigkeiten schlicht nicht möglich. So wurden die Kinder trotz des Infektionsrisikos in den Arm genommen und gestreichelt und getröstet. Des Weiteren wurden Spiele mit den Kindern gespielt, bei denen die Einhaltung eines Abstands nicht möglich war. Bei den kranken Kindern habe die Klägerin auch die Nasen geputzt, wenn die Kinder selbst noch zu klein waren, um dies selbst zu tun.
Verglichen mit Personen, die berufliche Tätigkeiten ausüben, bei denen Masken getragen, die erforderlichen Abstände eingehalten und den Testpflichten nachgekommen wurde, hatte die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts damit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine besonders erhöhte Gefahr, sich mit COVID-19 zu infizieren.
Deswegen sei es auch nicht erforderlich, eine Indexperson nachzuweisen.
Wichtig für die Praxis
Immer mehr Entscheidungen werden sich in Zukunft mit Corona-Infektionen und der Frage der Anerkennung als Berufskrankheit beschäftigen. Ein von den Versicherungsträgern gerne verwendetes Ablehnungsargument ist das Nichtvorhandensein einer sog. Indexperson, also einer bereits infizierten Person, zu der der Betroffene im Vorhinein einen unmittelbaren Kontakt hatte. Das SG Duisburg macht nun mit seiner - lesenswerten - ausführlichen Urteilsbegründung deutlich, dass es dieser gar nicht bedarf, wenn die Gesamtumstände für eine berufsbedingte Infektion sprechen - wie es hier überdeutlich der Fall war!