Unbeobachteter tödlicher Sturz eines Lkw-Fahrers als Arbeitsunfall


Tödlicher Sturz eines Lkw-Fahrers als Arbeitsunfall

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat den tödlichen Sturz eines Lkw-Fahrers im Rahmen einer Klage seiner beiden Söhne auf Gewährung von Halbwaisenrente als Arbeitsunfall anerkannt. Grundlage dafür war vor allem ein pathologisches Gutachten.

Danach war der Versicherte - auf Grund des erheblichen Ausmaßes und des Verteilungsmusters der Verletzungen - mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu ebener Erde, sondern aus größerer Höhe gestürzt.

Der Fall: Schwere Verletzungen ohne erkennbare Ursache

Der 1957 geborene Stuttgarter Lkw-Fahrer war im April 2018 mit schweren Kopfverletzungen an seinem Lkw liegend aufgefunden worden, als er bei einem Unternehmen im Landkreis Ludwigsburg auf die Beladung wartete. Niemand hatte den Unfall gesehen. Bei der Aufnahme in das Krankenhaus Marbach gab der Versicherte noch an, plötzlich unter Kopfschmerzen und Schwindel gelitten zu haben. Für den konkreten Unfallhergang bestand Amnesie. Er verstarb Anfang Mai 2018 im Klinikum Ludwigsburg an einem Hirninfarkt auf Grund eines schweren Schädel-Hirn-Traumas.

Die beiden 1999 und 2001 geborenen Söhne, die zusammen mit ihrer Mutter, der geschiedenen Ehefrau des Versicherten, wohnen, beantragten Halbwaisenrenten. Diese Anträge lehnte die zuständige Berufsgenossenschaft ab: Ein Arbeitsunfall stehe nicht fest. Ein Sturz aus der Fahrerkabine sei nicht bewiesen. Weiterhin sprächen die Angaben des Versicherten bei der Aufnahme ins Krankenhaus, er habe Kopfschmerzen und Schwindel verspürt, für eine innere Ursache. Ein Sturz zu ebener Erde aus innerer Ursache sei aber nicht versichert.

LSG: Auswertung verschiedener Gutachten führt zu anderer Schlussfolgerung

Nachdem das Stuttgarter Sozialgericht diese Ansicht bestätigt hatte, holte das Landessozialgericht im sich anschließenden Berufungsverfahren ein pathologisches Gutachten ein und zog die Akten der Staatsanwaltschaft bei.

Der Sachverständige schloss aus dem Ausmaß und dem Muster der Schädelverletzungen auf einen Sturz aus größerer Höhe. In den Ermittlungsakten fand sich die Aussage der erstbehandelnden Ärztin in Ludwigsburg, die unmittelbar nach dem Unfall auf Grund der Verletzungen ebenfalls einen Sturz aus größerer Höhe oder aber eine gewalttätige Einwirkung angenommen - und deshalb die Polizei informiert - hatte. Eine Verursachung durch einen Dritten hatte die Staatsanwaltschaft dann aber ausgeschlossen. Letztlich ergab sich aus Angaben der Kollegen, dass der Versicherte neben - und nicht etwa vor - seinem Lkw, also unterhalb der Fahrertür, aufgefunden worden war. Auf der Grundlage dieser Indizien konnte sich das LSG von einem Sturz aus der Fahrerkabine und damit von einem Arbeitsunfall überzeugen (Urteil vom 27.06.2022, Az. L 1 U 377/21).

Die Angaben des Versicherten bei der Aufnahme ins Krankenhaus sprächen nicht ausschlaggebend gegen diese Annahme, weil sie wegen der schweren Verletzungen und der Amnesie nicht unbedingt richtig waren und ohnehin unklar ließen, ob der Versicherte vor oder nach dem Sturz Kopfschmerzen und Schwindel verspürt hatte.

Wichtig für die Praxis

So ein Fall ist natürlich selten, dafür aber umso berichtenswerter: Wenn sich aus den vorgefundenen Umständen nicht eindeutig ein Hergang ergibt, so ist zu ermitteln, wie es zu einer Verletzung kommen konnte. Dabei sind alle verfügbaren Beweismittel beizuziehen - bis hin zu polizeilichen Ermittlungen. Das LSG Baden-Württemberg zeigt hier geradezu vorbildlich auf, wie vorzugehen ist, um ggfs. ausloten zu können, ob ein Arbeitsunfall vorliegt.