Spagat zwischen Energieeffizienz und Bezahlbarkeit
Im Projekt "Hildegardring/Schättlisberg" erweitert die Baugenossenschaft Überlingen (BGÜ) ein Bestandsquartier um 180 neue Wohnungen, die alle Voraussetzungen für Gebäude der Zukunft erfüllen sollen: Gebaut werden sie im KfW-40-Plus-Standard (nach neuem Gebäudeenergiegesetz EE 40) – dabei sollen sie trotz der höheren Baukosten bezahlbar bleiben. Verwendet werden dafür recyclingfähige Hochleistungsdämmstoffe des ortsansässigen Projektpartners Puren. Das Heizsystem ist so ausgelegt, dass es von den Bewohnern einfach zu bedienen ist.
Geheizt wird mit Nahwärme, woran bereits das vorhandene Quartier angeschlossen ist. Beliefert wird es von den Stadtwerken am See, die in der Bodenseeregion aktiv sind. Bei dem eingesetzten sogenannten Drei-Leiter-System wird der warme Rücklauf des Bestandsquartiers als Vorlauf für das Neubauquartier genutzt. Als Wärmequellen dienen Solarthermie, Holzhackschnitzel und ein Blockheizkraftwerk sowie ein Gaskessel für die Spitzen- und Notfall-Versorgung. Das Holz für die Hackschnitzel soll ausschließlich aus lokalen Wäldern kommen.
Mieterstrom aus der quartierseigenen PV-Anlage
Der Strom soll zumindest teilweise durch eine quartierseigene Photovoltaikanlage (PV-Anlage) geliefert und in einem Mieterstrommodell genutzt werden. Batteriespeicher sollen den Eigenanteil deutlich anheben.
Das Projekt will die Baugenossenschaft zügig umsetzen. Der erste Bauabschnitt wurde in 2021 fertiggestellt und ans Nahwärmenetz angeschlossen. Die ersten Wohnungen sind bereits bezugsfertig. Jeweils um ein Jahr versetzt folgen dann die Bauabschnitte zwei und drei. Geplant ist auch die Sanierung des Bestandsquartiers. Dafür wurde eine Machbarkeitsstudie erstellt, jedoch noch keine Entscheidung getroffen.
Das Projekt wird als Leuchtturm innerhalb des Programms "Solares Bauen/Energieeffiziente Stadt" der Bundesregierung gefördert. Dabei dienen einzelne Stadtquartiere als Reallabore, um Konzepte zur Energie- und Wärmewende zu erforschen und umzusetzen. Auch die Stadt Stuttgart hat ein Quartier in dem Projekt untergebracht, das zum "Stadtquartier 2050" zusammengefasst wurde – um Klimaneutralität zu erreichen.
Das Ziel heißt Klimaneutralität
Zählt man beide Städte zusammen, werden mit einer Gesamtinvestition von 190 Millionen Euro mehr als 960 Wohneinheiten gebaut oder saniert. Dazu gehört auch die Konversion eines ehemaligen Krankenhausareals mit Sanierung, Teilabriss und Neubebauung in Stuttgart und eben die Randgebietssanierung mit Baufelderweiterung in Überlingen. Beide Quartiere werden so geplant, dass sie hinsichtlich Wärme und Strom als klimaneutral gelten. Bewertungsgröße ist die CO2-Emission in der Jahresbilanz.
Den Spagat zwischen einem teuren energetischem Standard und dem Mangel an sozialverträglichem Wohnraum sollen die Quartiere außerdem stemmen. Die Lösung soll in integrierten, generationenübergreifenden, sozial durchmischten und ökologischen Wohnquartieren mit tendenziell niedrigeren Energiekosten liegen.
Interview: "Klimaziele von 2045 schon heute erreichen"
Dieter Ressel, Geschäftsführender Vorstand, und Andreas Huther, Nebenamtlicher Vorstand der Baugenossenschaft Überlingen, erklären im Gespräch mit Autor Frank Urbansky, welche Ziele sie mit dem Quartier "Hildegardring/Schättlisberg" verfolgen.
Was gab den Ausschlag für eine nachhaltige Baumethode?
Die Baugenossenschaft denkt langfristig – Gebäude, die heute gebaut werden, müssen bestenfalls nicht mehr saniert werden, da sie die von der Bundesregierung geforderten Energieziele für 2045 bereits heute schon erreichen. Dadurch werden in der Zukunft notwendige Gebäudeertüchtigungen vermieden und damit Rohstoffe und Ressourcen gespart.
Wie werden die Arbeiten dafür überwacht und zertifiziert?
Als Teil eines interkommunalen, BMBF/BMWi-Forschungsvorhabens erfolgt eine projektbegleitende Überwachung durch den Projektträger Jülich in Zusammenarbeit mit den Fraunhofer-Instituten IBP und FIT. Für die eingesetzten Produkte und Technologien erfolgt eine Ökobilanzierung in Anlehnung an ISO 14040/44.
Welche Baumaterialien und Methoden kommen zum Einsatz?
Bei den verwendeten Baumaterialien wurden bevorzugt regionale Produzenten berücksichtigt, um unnötige Logistik zu vermeiden. Darüber hinaus wurde konsequent recyclingfähigen Baustoffen der Vorzug gewährt.
Das Recycling der kompletten Gebäude ist mitgedacht?
Wesentliche Teile der Gebäudekonstruktion lassen sich recyceln oder anderweitig in den Stoffkreislauf zurückführen. So existieren zum Beispiel für die verwendeten Gebäudedämmstoffe aus Polyurethan-Hartschaum schon heute großindustrielle Anlagen für deren stoffliche Wiederverwertung.
Wie viel mehr wird das kosten verglichen mit einer konventionellen Bauweise?
Die Mehrinvestitionen zur Erreichung der übergeordneten Projektziele Klimaneutralität, soziale Ausgewogenheit und Bezahlbarkeit beziffern sich, bezogen auf die Bauweise, auf weniger als fünf Prozent.
Lassen sich auch die Energieeinsparungen abschätzen?
Eine erste wissenschaftliche Vorstudie der Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) konnte unter Berücksichtigung prognostizierter CO2-Preise und erwarteter Inflationsannahmen errechnen, dass die erwartete Energieeinsparung die Mehrinvestitionen deutlich überwiegen wird.
Ein nachhaltiger Betrieb geht aber nur, wenn alle mitspielen.
Neben technologischen Arbeitspaketen wird das Projekt sozialwissenschaftlich begleitet. Im Rahmen desse werden die Bewohner im Bestandsquartier und im Neubaubereich systematisch durch Fachveranstaltungen, Fokusgruppen und Individualgespräche eingebunden. Eine von der FIT-Projektgruppe speziell für dieses Projekt entwickelte Quartiers-App umfasst eine Verbraucherschulung, die mittels eines Bonussystems einen bewussten Energieverbrauch unterstützt.
Das Projekt und seine Partner Das Projekt in Überlingen ist unterteilt in ein Neubaugebiet in der Anna-Zentgrafstraße und die Sanierung der Bestandsgebäude am Hildegardring. Die Projektpartner sind: Baugenossenschaft Überlingen |
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