Gericht muss Härtegründe bei Kündigungswiderspruch besonders sorgfältig prüfen
Hintergrund: Senioren widersprechen Kündigung
Die Erben des Vermieters einer Wohnung verlangen von den Mietern die Räumung einer Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses. Der Vermieter hatte das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs gekündigt. Er benötige die Wohnung für die vierköpfige Familie seines Sohnes, der im Obergeschoss wohnt. Der Sohn wolle seine Wohnung mit der Wohnung im Erdgeschoss zusammenlegen, um zur Beseitigung der bislang beengten Wohnverhältnisse mehr Wohnraum für seine Familie zu schaffen.
Die Mieter, ein Ehepaar, das seit 1997 in der Wohnung lebt, widersprachen der Kündigung. Sie könnten eine Fortsetzung des Mietverhältnisses aufgrund persönlicher Härte verlangen. Der 87-jährige Mieter habe zahlreiche gesundheitliche Einschränkungen und leide an beginnender Demenz. Diese drohe sich zu verschlimmern, wenn er aus seiner gewohnten Umgebung gerissen würde. Bei einem Verlust der bisherigen Wohnung sei ein Umzug in ein Altenheim nicht zu umgehen. Seine noch rüstige 78-jährige Frau lehne es aber ab, selbst in ein Altenheim zu ziehen oder nicht mehr mit ihrem Mann zusammenzuleben.
Die Räumungsklage der Vermieter hatte vor Amts- und Landgericht Erfolg.
Entscheidung: Gericht muss genau hinschauen
Der BGH hebt das Urteil des Landgerichts auf und verweist den Rechtsstreit dorthin zurück.
Der Mieter kann einer an sich an sich gerechtfertigten ordentlichen Kündigung widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Das ergibt sich aus § 574 Abs. 1 BGB. Dabei müssen sich die Konsequenzen, die für den Mieter mit einem Umzug verbunden wären, deutlich von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten abheben, um als tauglicher Härtegrund in Betracht zu kommen.
Bei der Prüfung von Härtegründen muss das Gericht den Sachverhalt sorgfältig feststellen und die Interessen von Vermieter und Mieter gewichten. Selbst wenn das Gericht die vorgetragenen Härtegründe als wahr unterstellt, darf dies nicht dazu führen, dass es sich kein tiefgehendes eigenständiges Bild von den Interessen des Mieters macht.
Gericht hat Härtegründe nicht genau genug geprüft
Im vorliegenden Fall hat das Landgericht die vorgebrachten Härtegründe nicht sorgfältig genug geprüft. Es hat lediglich die von den Mietern vorgebrachten Gründe als wahr angenommen und kam zum Ergebnis, dass diese keinesfalls Vorrang vor den Interessen der Vermieter haben. Das Landgericht hat sich nicht damit auseinandergesetzt, inwieweit der Erhalt der Wohnung für die Mieter existenzielle Bedeutung hat.
Gerade wenn schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen drohen oder bei Lebensgefahr sind die Gerichte gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen und den daraus resultierenden Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen.
Wenn ein Mieter wie hier solch schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen eines Wohnungswechsels geltend macht, muss sich das Gericht ein genaues, nicht nur oberflächliches Bild machen, welche gesundheitlichen Folgen ein Umzug für den Mieter hätte. Gegebenenfalls muss es einen Sachverständigen zu Hilfe nehmen. Erst dann ist das Gericht in der Lage, die Konsequenzen, die für den Mieter mit dem Umzug verbunden sind, im Rahmen der notwendigen erforderlichen Abwägung sachgerecht zu gewichten.
Das Landgericht muss nun die Tatsachen feststellen, um eine solch sorgfältige Abwägung treffen zu können.
(BGH, Urteil v. 15.3.2017, VIII ZR 270/15)
§ 574 Abs. 1 Satz 1 BGB
Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushaltes eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.
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