"94 Prozent aller Spreadsheets enthalten ernsthafte Fehler!"
Haufe Online Redaktion: Herr Wallat, Hand auf’s Herz: Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Excel beschreiben? Fluch oder Segen?
René Wallat: Ich muss zugeben, dass ich Excel liebe. Deswegen habe ich auch das Unternehmen Nooxl gegründet. Excel ist für viele Menschen eine große Hilfe. Bei seiner Einführung Mitte der 1980er Jahre waren endlich komplexe Finanzmodelle für die Immobilienanalysten einfach erstellbar. Das ermöglichte damals einen deutlichen Aufschwung der Immobilienbranche. Somit gehört Excel zur PropTech-Welle 1.0.
Und heute?
Es gehört auch heute noch zu den wichtigsten Tools für Immobilienkalkulationen, Steuerberechnungen und andere Finanzmodelle. Trotz der inzwischen umfangreichen Immobilien-Software in den Unternehmen, da die Standardsoftware vielen agilen Aufgaben nicht gerecht werden kann. Selbst wenn die Standardsoftware am Anfang noch passt, entsteht oft recht schnell eine Lücke zwischen den aktuellen Anforderungen der Fachabteilungen und der starren Standardsoftware. Sobald diese Lücke zu groß ist, wird auf eine "Schatten-IT" mit Excel ausgewichen. Die IT-Abteilung hat keine Chance, in agilen Bereichen wie beispielsweise Unternehmensstrategie, -planung, Investitionsszenarien und Controlling mit der Anpassung der IT hinterherzukommen.
Nur durch Excel können viele Aufgaben im Unternehmen überhaupt bewältigt werden. 90 Prozent aller unternehmenskritischen Anwendungen bestehen aus Spreadsheets. Also ein Hoch auf Excel. Aber natürlich birgt eine unkontrollierte Schatten-IT auch zahlreiche Risiken.
Was genau ist das Problem an Excel?
Leider geht es mit Excel wie bei vielem: "Jählings neigt sich der Genuss zum Schmerz, wenn er nicht Maß gehalten hat" (Seneca).
Am Anfang sitzt meist ein einzelner kreativer Geist an einer kleinen Excel-Datei, um eine Aufgabe kurzfristig zu lösen. Viele kennen es: Am Ende entsteht daraus eine langlebige, unternehmenskritische Monster-Kalkulation mit dutzenden Nutzern, die sehr lange lädt. Manchmal überfordert einen schon die schiere Menge an Excel-Dateien, die entsteht, wenn über Jahre hinweg monatlich für alle Excel-Dateien eine neue Version oder mehrere Szenarien erstellt werden.
Der ein oder andere wird sich hier vermutlich angesprochen fühlen.
Sicherlich! Und versuchen Sie in so einer Struktur erst mal, einen Fehler rückwirkend zu beheben. Diese Fehler haben manchmal gravierende Auswirkungen und niemand kann mehr den Ursprung nachvollziehen. Laut einer Untersuchung der TU Delft enthalten 94 Prozent der Spreadsheets ernsthafte Fehler. Das gefürchtete Excel-Chaos ist entstanden. Häufig merken es die Unternehmen selbst nicht einmal, wann der Zustand kippt und die Produktivität. Es gibt leider keine gute, dateiübergreifende Automatisierung in Excel.
In meinen Jahren als Berater bei Deloitte habe ich kein Immobilienunternehmen ohne Excel-Einsatz an kritischen Stellen gesehen. Teilweise wurden hier Milliarden-Werte hin und her geschoben. Dies hat schon früh den Wunsch in mir geweckt, ein Mittel gegen das Excel-Chaos zu entwickeln.
Was wäre denn die Alternative?
Es gibt sogar mehrere. Sie hängen jeweils von dem Problem ab, das man mit Excel oder ähnlichen Tabellenkalkulationen zu lösen versucht.
Ein reines Verschieben der Excel-Dateien auf einen SharePoint-Server oder in die Cloud, wie Excel Online oder Google Sheets, kann bei der Dateiverwaltung helfen, was aber nur einen Teil der Probleme löst. Die Zahl der Dateien bleibt weiter hoch und es fehlt weiterhin ein dateiübergreifender Zugriff auf die Zelldaten.
Bei Aufgaben, die über die Zeit konstant bleiben, sollte man versuchen, Excel über Standardsoftware abzulösen. Es gibt dafür fast immer eine geeignete immobilienwirtschaftliche Software. Property Management, Buchhaltung, Rechnungsworkflow oder Dokumentenmanagement beispielsweise lassen sich so ideal abdecken. Kompliziert wird es wieder dadurch, dass jedes Immobilienunternehmen individuell ist und sich die Geschäftsprozesse unterscheiden.
Alternativ zur Standardsoftware bietet sich über sogenannte Low-Code-Plattformen eine eingeschränkte Individualentwicklung an. Jedoch muss das zu lösende Problem muss zur eingesetzten Low-Code-Software passen. Dann kann man aber mit einer Vielzahl vorgefertigter Bausteine und wenigen Programmierkenntnissen relativ schnell eine Ablösung für Excel bauen. Eine Vielzahl von Low-Code-Plattformen ermöglichen beispielsweise die einfache Verwaltung von Adressen mit integrierter Kartendarstellung, Projektmanagement oder überschaubare Planungsaufgaben. Bei diesen Alternativen sollte man auf die DSGVO achten.
Das klingt erst mal praktisch.
Jein, denn bei umfangreichen Kalkulationen in Excel sind diese Low-Code-Anbieter keine Alternative, da sie entweder keine leistungsfähigen Formeln anbieten oder diese komplett neu programmiert werden müssten. Für diese Finanzmodelle sind spezielle Excel-Transformationsplattformen eine komfortable Lösung. Diese wandeln Excel-Dateien direkt in echte datenbankbasierte Unternehmensanwendungen um.
Unsere eigene Nooxl Software generiert zum Beispiel Web-Apps, die performanter als Excel sind und weiterhin mit Excel durch den Anwender angepasst werden können. Viele wichtige Bausteine wie Unternehmensschnittstellen, User- und Formelmanagement, Änderungsverfolgung sowie Automatisierung erweitern die grundlegende Excel-Funktionalität. Damit wird dann aus Excel mit den Apps zumindest Proptech 2.0.
Jeder dieser Wege kann das Excel-Chaos reduzieren. Etwas Excel wird es aber immer geben.
Stichwort Big Data und Co.: Wie sieht die Zukunft für Unternehmen in der Immobilienwirtschaft in Bezug auf digitale Technologien aus?
Meiner Erfahrung nach ist die Immobilienwirtschaft kein Vorreiter beim Einsatz neuer Technologien. Hier sind immer noch die Themen mobiles Arbeiten und Cloud aktuell. Big Data wird frühestens mittelfristig eine echte Aufgabe für die meisten Unternehmen. Aber umso wichtiger ist es, dafür die Grundlagen zu schaffen und die eigenen Datenmanagement-Prozesse im Griff zu haben.
Die Herausforderungen beim Datenmanagement werden sich mit Big Data auch noch erweitern. Teilweise wissen Unternehmen heute nicht, welche Daten sie haben und ob sie der Datenqualität vertrauen können. Sie sollten lernen, wie sie ihre Daten für neue Zwecke nutzen und dabei wachsende Compliance-Anforderungen erfüllen können. Am Ende müssen Mitarbeiter Daten verknüpfen, umwandeln und analysieren können.
Was sind Ihre Tipps für die Immobilienwirtschaft im Hinblick auf die Digitalisierung?
Digitalisierung im Wesentlichen als IT-Aufgabe zu verstehen, sehe ich als häufigen Fehler in Immobilienunternehmen. Digitalisierung ist für mich eine strategische Ausrichtung des gesamten Unternehmens und muss vom oberen Management getragen werden. Hier wird ein visionärer Übersetzer zwischen Immobilienwirtschaft und Technologie benötigt.
Es ist immer wieder spannend, wenn man den Stand der Digitalisierung sowie die Visionen dazu im Unternehmen aufnimmt. Gerne nutze ich dafür Fragestellungen aus der Digitalisierungsstudie des ZIA, um den Reifegrad und die gewählte Rolle bei der Digitalisierung zu ermitteln. Die meisten Unternehmen sehen sich leider eher in der Rolle des "Fast Follower" statt des "First Mover" beim Einsatz neuer Technologien. Ich würde empfehlen, ab und zu mal etwas Ungewohntes als "First Mover" auszuprobieren, damit man diese Erfahrungen aus erster Hand in seine Digitalisierungspläne einbauen kann und sich die Mitarbeiter langsam auf den künftigen Wandel einstellen können.
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