Digitale Morgendämmerung
"Jedes Unternehmen ist ein Softwareunternehmen. Sie müssen anfangen, wie ein digitales Unternehmen zu denken und zu arbeiten", wurde Satya Nadella, CEO von Microsoft in Berlin, zitiert. Denn seine nicht ganz uneigennützige Aussage dämmert den Marktteilnehmern mehr und mehr. Das Thema zog sich dann auch leitmotivisch durch meine viertägige Kongress-Tournee durch Berlin.
Was mit einer gemischten Pop-up-Messe bei KPMG in neuen Räumlichkeiten begann, endete mit einer Gala beim Deutschen Immobilienpreis von Immowelt – dazwischen nichts weniger als der Innovationskongress des ZIA, ein Abend-Get-together von PT1 und die Jahrestagung Real Estate der immer regen "Handelsblatt"-Kollegen im luxuriös ausgestatteten Hotel de Rome.
Digitalisierung: Alte Zöpfe abschneiden
Die Digitalisierung ist fluide, sehr schnell und manchmal sprunghaft. Und sie ist das Gegenteil der althergebrachten Mieterakte. Aber in der Wirtschaft ist das Immobiliensegment noch immer am meisten unterdigitalisiert.
Digitalisierung sollte im Idealfall immer die besten Prozesse widerspiegeln. Und diese müssen aus der Zukunft abgeleitet werden – mitnichten aus der Vergangenheit. Doch welche alten Zöpfe schneiden wir ab?
Das Zukunftsforschungsinstitut hat im Auftrag des ZIA und in Zusammenarbeit mit dem Innovation Think Tank des Verbands eine Szenario-Analyse für die Rahmenbedingungen der deutschen Immobilienwirtschaft in den Jahren 2035 und 2050 vorgelegt. Sie enthält anregende Ausführungen zu den sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren in der Branche. In Erinnerung bleibt unter anderem das Wort "Zukünfte".
Forderung einer Gleisbreite für Daten
Robert Betz von KPMG kuratierte und moderierte einen ganztägigen zwanglosen Streifzug durch alt und neu bei Unternehmen der Immobilienbranche. Leider darf nicht namentlich aus dieser wirklich hochkarätigen Veranstaltung zitiert werden. Ich kann dennoch einige Tendenzen in diesen speziellen Reisebericht einfließen lassen.
Eine wiederkehrende Grundaussage ist der Mangel an Standardisierung der Daten – ein großes Innovationshindernis. Auf dem ZIA-Innovationskongress wird Dr. Uwe Forgber von Realcube sehr metaphorisch-passend die Forderung nach der Einführung einer einheitlichen Gleisbreite für Daten zumindest innerhalb Deutschlands erheben. Vielleicht ist aber das noch größere Problem, dass die Daten selbst in den allermeisten Fällen noch nicht als eigene Assets erkannt sind.
KI: Chatbots sind nicht der letzte Schrei
Künstliche Intelligenz ist nach wie vor ein Riesenthema. Es ist offensichtlich gekommen, um zu bleiben. Dennoch wird es an der eigentlichen Core-Software in der Branche nichts ändern. Der Gatekeeper ist und bleibt das ERP-System. So die allgemeine Grundhaltung.
Und es gilt mit Missverständnissen aufzuräumen: Ein Chatbot ist für sich genommen noch nicht intelligent. Immerhin kann er zum effizienteren Kostenmanagement, zu qualifizierteren Anfragen und zur besseren Informationsauswertung beitragen. Genau das sind allgemein betrachtet auch die Vorteile bei der Einführung etwa einer Mieter-App. Beides sind ja keine Innovationen der letzten Tage.
Aber die Beschreibung von Chatbot- und App-Einführung als der letzte Schrei der Branche zeigt, wie schwer es ist, bis Innovationen im geschäftlichen Alltag der Immobilienwirtschaft landen. Selbst die voll digitalisierte Vermietung vom Inserat bis zum fertigen Mietvertrag hat im Land noch kaum ein Unternehmen geschafft. Dennoch wächst die Anwendung künstlicher Intelligenz in der vorausschauenden Wartung, über die Verbrauchsoptimierung von Energie und Ressourcen. Bis hin zur Automatisierung und Effizienzsteigerung ist vieles schon denk- und einsetzbar.
ESG: Grüne Transformation – eine Revolution
80 Prozent der von Obsolenz bedrohten Büroflächen sind leider ungeeignet für eine direkte Umwandlung in Wohnungen. Künftig wird Energie komplett umsonst sein, wenn man sie zum richtigen Zeitpunkt abruft. Zwei Aussagen, die zeigen, welchen Einfluss Umbau- und Sanierungsprojekte auf die CO2-Reduktion haben können. Wenn Immobilien weniger Primärenergie verbrauchen, wenn das Low-Carb-Designprinzip angewandt wird und wenn der gesamte Lebenszyklus betrachtet wird.
Kaum einen Nutzen haben gelinde gesagt Marketingmassnahmen wie Green-Building-Zertifikate, Green Leases oder ein grüner Stromvertrag. Stand heute kann kein noch so energie- und CO2-effizienter Neubau die CO2-Emissionen der bereits verbauten Materialien ausgleichen! Deshalb lautet der größte ESG-Hebel für die Immobilien- und Wohnungswirtschaft, bestehende Gebäude zu sanieren und diese möglichst lange zu nutzen.
Die grüne Transformation ist eine Revolution. Doch sie führt nicht zu Wachstum. Es geht allein darum, die Veränderung möglichst kostengünstig zu bewältigen. Es gilt, mehrere Revenue- und Value-Streams zu aktivieren.
PropTechs: "Walking Dead" oder doch nicht?
In einer ganz schwierigen Lage sind viele PropTechs. 40 Prozent der jungen Unternehmen seien heute schon "Walking Dead". Deshalb wird von einigen Podien dringend dazu aufgerufen, dass die Immobilienbranche als Investor und als Auftraggeber zugleich zur Verfügung stehen soll. Denn gleichzeitig Teilhaber und Nutzer einer Technologie zu sein, bietet einen hohen geschäftlichen Lernerfolg und beschleunigt im Idealfall den Return on Investment. Geschäftsmodelle dafür gibt es.
Die aktuelle PropTech-Landschaft verzeichnet schon mehr als 1.000 Unternehmen. Die Professionals der Branche können mit ihnen Nachverdichtungspotenziale aufspüren, sich den Traum von der Traumwohnung erfüllen oder doch leerstehende Büros wirtschaftlich machbar zu dringend gebrauchten Wohnungen oder Seniorenheimen umbauen. KI-basierte Immobilienbewertung, Digitalvermittlung für Großtransaktion und Verwaltung von Bestandsimmobilien – wer hier Bedarf hat, findet viele Lösungen am Markt.
Auch das ZIA-Innovationsradar spürt regelmäßig neue Lösungen auf. Im Jahr 2024 fokussiert sich das Radar auf Themen wie Neues Planen & Bauen, CO2-Reduktion über Kreislaufwirtschaft und Bezahlbares Wohnen bis hin zur Digitalisierung & Data Management. Eine Fachjury zeichnete die Herausragenden auf dem Innovationskongress aus.
Kooperationen – und Begegnungen mit der Hausband
Die Kooperationen in der Branche nehmen scheinbar zu. Es geht dabei um vertikale wie horizontale Zusammenarbeit mit Unternehmen, die das Gleiche genauso gut können und etwas anderes vielleicht besser als man selbst. SAP, Planon und KPMG sind zum Beispiel miteinander verbandelt. Selbst Siemens öffnet seine digitale Plattform zur Unternehmenssteuerung nun für interessierte Partnerunternehmen.
Software-Architektur der nächsten Generation verspricht den Integrationsaufwand und die Komplexität der digitalen Kooperation deutlich zu verringern. Low-Code- und sogar No-Code-Programmierung sind Schlagworte, die es nun unbedingt in das unternehmerische Handeln der Immobilienbranche einzubeziehen gilt. Kooperationen anbahnen können Begegnungen. Deshalb waren auch die Abendveranstaltungen von großer Wichtigkeit: Bei PT1 gab es anregende Kontakte mit Vordenkern zur grünen Transformation – und Livemusik von der Hausband.
Ähnliches – bloß in groß – gab es bei Immowelt mit einer imposanten Gala und 500 geladenen Gästen zum Deutschen Immobilienpreis.
Vernetzte und ganzheitliche Kommunikation
Für die Immobilienwirtschaft gilt in puncto Digitalisierung immer noch weitgehend: im Privaten "hui", im Unternehmen "pfui". Bei Handelsunternehmen oder Versicherungen telefoniert niemand mehr. Getrackt wird und kann alles werden was nicht niet- und nagelfest ist. Personen und Assets lassen sich digital auswertbar verfolgen.
Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) steht dem Prozess jedoch hinderlich gegenüber. Na ja, bei genauer Betrachtung sind die größeren Herausforderungen die unzureichende Datenmenge und -qualität und Bedenken wegen der Cybersicherheit. Hinzu kommen ein hoher Implementierungsaufwand und die oft mühsame Gewährleistung von Transparenz und Nachvollziehbarkeit.
Fast am meisten stört dabei der immer eklatanter werdende Fachkräftebedarf. Manuelle Prozesse, die sich wiederholen, sollen automatisiert und digitalisiert werden. Die Mitarbeiter sind der Schlüssel für eine gelingende Digitalisierung. Sie müssen vernetzter und ganzheitlicher denken. Und sie müssen das kundenzentrierte Denken strikt leben. Veränderungen müssen ihnen erklärt werden – immer wieder.
Bei den Superspreadern greift das Duzen um sich
Doch leider ist "die konjunkturelle Lage so schlimm, wie man sie fühlt und denkt. Wir brauchen antizyklische Investitionen. Ein massiver fiskalischer Impuls ist nötig", forderte Dr. Klaus Bauknecht Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG zur Eröffnung der Handelsblatt Jahrestagung Real Estate. Wann das passieren wird, liegt in den Händen einer neu zu bildenden Regierung in Deutschland.
Und ganz zum Schluss eine Sache, die nicht bloß dämmert, sondern bereits hoch am Himmel steht: Auf allen Tagungen, Treffen und Kongressen greift das Duzen fast pandemieartig um sich. Ich mache da jetzt einfach, wo es passt, den Superspreader – denn mittlerweile bin ich ja auch zumeist schon der Ältere …
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