Immobilienmarkt: Standortanalyse mit (IT-)System
Die Standort- und Marktanalyse (StoMA) hat sich in den vergangenen 20 Jahren stark verändert. Früher war es mühsam, an aussagefähige Daten zu Immobilienstandorten zu kommen, heute sind sie im Überfluss vorhanden. Die Recherche war Domäne von Geografen in Marktforschungsinstituten, heute kann das jeder mit Internetanschluss. Und während die Bedienung eines Geoinformationssystems fortgeschrittene IT-Kenntnisse verlangte, sind die Webanwendungen nun so einfach zu bedienen, dass sich auch Laien mit ein paar Klicks einen Standortbericht zusammenstellen können.
So scheint es zumindest, wenn man den Werbeversprechen der Anbieter von Standortanalysesystemen (StAS) Glauben schenkt. Ob diese Programme tatsächlich so einfach verlässliche Standortanalysen produzieren, hat die Studie "Die Effektivität von Standortanalysesystemen" der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) untersucht. Sie wurde von 35 Studierenden erstellt und von mir und zwei Mitarbeitenden betreut.
StAS: Usabilty und Standort-Datenqualität
Zu Beginn wurde eine Definition erarbeitet. Danach ist ein StAS eine Software, die User bei der Analyse und Bewertung eines Standorts sowie bei Standort- und Nutzungswahlentscheidungen unterstützt. Die Studie fokussiert auf die Gebrauchstauglichkeit (Usability). Die ist dann gegeben, wenn mit einer Software das angestrebte Ziel erreicht wird, und zwar effektiv, effizient und zur Zufriedenheit der Menschen, die sie anwenden.
Diese sogenannten Maße der Gebrauchstauglichkeit sind für Softwares aller Art in der ISO Norm 9241 verankert. Erweitert wurde die Palette um einen Indikator für die Entscheidungsunterstützung. Dies geht über die Norm hinaus, entspricht aber dem Stand der Forschung zu Entscheidungsunterstützungssystemen. Schließlich wurden die Usability-Maße noch um die Datenqualität ergänzt, denn anders als bei vielen anderen Programmen sind die Daten bei einem StAS integraler Bestandteil. Kosten wurden nicht berücksichtigt, weil die Preisgestaltung zu individuell ist. Ferner blieben technische Kriterien wie Performanz und Datensicherheit außen vor.
Da eine Standortanalyse in der Praxis sehr unterschiedliche Ziele verfolgen kann, musste das Forschungsteam für aussagefähige Ergebnisse weitere Einschränkungen vornehmen und hat sich etwa bei Projektentwicklungen auf das Ziel "optimale Nutzung für einen gegebenen Standort" beschränkt. Der Verwendungszweck "optimaler Standort für gegebene Nutzung", wie er zum Beispiel bei der Expansion von Handelsunternehmen dominiert, wurde nicht untersucht. Ferner wurde das Hauptaugenmerk auf Standortdaten gerichtet, nicht auf Marktdaten.
StoMA-Anbieter: 16 vollständig geeignete Programme
Bei der Erhebung im April 2021 wurden 92 Anbieter von Markt- und Standortanalysen identifiziert. Die meisten entsprachen nicht unseren Auswahlkriterien, etwa weil sie nur die Dienstleistung, aber keine Software anbieten oder weil die Software auf eine Nutzungsart beschränkt und damit nicht universell einsetzbar ist. 16 Anbieter blieben übrig, von denen zwölf ihre Software für einen Test zur Verfügung stellten. Man kann sie grob in drei Gruppen teilen:
- Immobilienmarktforschungsinstitute wie Bulwiengesa und Analyse & Konzepte sind die traditionellen Anbieter von Standortanalysen. Die Programme, die sie entwickelt haben, stellen sie nun auch ihren Kunden zur Verfügung. Ihr Fokus liegt auf den Datenbeständen, die sie zum Teil seit Jahrzehnten aufgebaut haben.
- PropTechs wie Immobilienscout24 und 21st Real Estate sind Innovatoren, die die Standortanalyse mit neuen Ideen bereichern. Die Herangehensweisen sind sehr unterschiedlich – bei manchen liegt der Fokus auf innovativen Softwarekomponenten, bei anderen auf intelligenter Datenanalyse oder einzigartigen Daten.
- Die dritte Gruppe bilden Anbieter, die ihr StAS aus einer andersartigen Haupttätigkeit heraus entwickelt haben. Dazu gehört beispielsweise das Bewertungsunternehmen Sprengnetter. Sie ergänzen das Spektrum vor allem durch ihren Zugang zu proprietären Datenbeständen.
Für die Untersuchung hat das Team mehrere Instrumente entwickelt. Zunächst wurde auf Basis der Fachliteratur ein Anforderungskatalog erstellt. Die Erfüllung der Anforderungen wurde mittels Checkliste und Scoringbogen geprüft. Ferner wurden mit jeder Software zwei Standortanalysen für reale Grundstücke erstellt. Dabei ging es um Aspekte wie die Leichtigkeit der Benutzung oder das Auftreten von Fehlermeldungen. Schließlich haben erfahrene Angestellte von Projektentwicklern die Programme unter die Lupe genommen. Jedes Testinstrument enthielt Kriterien zu den fünf Bewertungsdimensionen (Effizienz, Effektivität, Zufriedenheit, Entscheidungsunterstützung und Datenqualität). Die Gesamtbeurteilung beruht auf einer breiten Basis von Fakten und Eindrücken.
Ergebnisse der 12 Anbieter (anonymisiert) in den 5 Bewertungsdimensionen
Bewertungsdimension | A | B | C | D | E | F | G | H | I | J | K | L |
Effizienz | 3,68 | 3,09 | 3,36 | 3,23 | 2,77 | 2,77 | 3,05 | 4,05 | 2,14 | 3,91 | 2,32 | 3,50 |
Effektivität | 3,91 | 3,50 | 3,67 | 3,13 | 3,28 | 3,30 | 3,83 | 4,02 | 4,13 | 3,57 | 3,63 | 4,20 |
Zufriedenheit | 1,00 | 1,67 | 4,67 | 3,00 | 3,83 | 1,83 | 2,50 | 4,17 | 1,75 | 1,50 | 2,33 | 2,92 |
Entscheidung | 4,47 | 3,63 | 4,73 | 4,87 | 3,80 | 3,40 | 4,47 | 4,73 | 3,77 | 4,33 | 3,27 | 3,53 |
Datenqualität | 3,50 | 3,14 | 3,97 | 3,28 | 2,83 | 3,11 | 3,39 | 3,86 | 3,17 | 3,53 | 3,50 | 3,31 |
Quelle: HfWU
Software-Vergleich: Geringste Streuung bei der Effizienz
Die Ergebnisse wurden in einem Spinnennetzdiagramm zusammengefasst. Zu sehen sind die Profillinien der zwölf anonym getesteten Softwares, abgetragen auf den fünf Dimensionen mit Skalen von 1 ("Die Kriterien wurden gar nicht bis sehr schlecht erfüllt") bis 5 ("Die Kriterien wurden über das erwartbare Maß hinaus erfüllt"). Dabei bedeutet 1 nicht, dass ein StAS völlig ungeeignet ist und 5 nicht, dass es perfekt ist. Gerade bei der Entscheidungsunterstützung wäre technisch noch viel mehr möglich. Insgesamt stufen wir das Ergebnis aber als erfreulich ein, weil fast alle Programme voll gebrauchstauglich sind. Ein Ranking haben wir nicht erstellt, denn dazu wäre eine Gewichtung nötig, die man angesichts der heterogenen Anforderungen der Praxis nicht pauschal aufstellen kann – "StAS" steht nicht für "Staubsauger" und wir sind nicht die Stiftung Warentest!
Die nähere Betrachtung der einzelnen Dimensionen führt zu interessanten Erkenntnissen. Bei der Effizienz ist die Streuung am geringsten, es gibt keine Ausreißer nach oben oder unten. Das kommt unter anderem daher, dass die Testpersonen mit allen Programmen schnell die vorgegebenen Aufgaben erledigen konnten. Das bedeutet nicht, dass es mit allen gleich schnell geht; für umfangreiche Systeme braucht man natürlich mehr Zeit, aber wenn die Benutzerführung gut ist oder vorher eine Schulung gemacht wurde, fällt der Unterschied nicht ins Gewicht.
Bei der Effektivität ist die Streuung größer. Hier haben tendenziell solche Systeme besser abgeschnitten, die viele Daten und Analysemöglichkeiten enthalten. Enger zusammen liegen die StAS wiederum bei der Zufriedenheit. Alle getesteten Programme haben zum Beispiel eine moderne Benutzeroberfläche, für die sie von den Testpersonen gute bis sehr gute Noten bekommen haben. Die größten Unterschiede gibt es bei der Entscheidungsunterstützung.
Die besten Systeme unterstützen schon während der Standortanalyse, so können die User etwa die Kriterien selbst gewichten; darüber hinaus helfen sie bei der Nutzungsentscheidung, indem sie eine SWOT-Analyse oder ein Scoring vorhalten. Die schlechteren Softwares sind eher Informations- als Entscheidungsunterstützungssysteme. Bei der Datenqualität teilt sich das Feld in zwei Gruppen auf. Da hier auch die Quantität eine Rolle spielte, haben tendenziell die Programme gut abgeschnitten, die viele Standortdaten enthalten, darunter auch exotischere zu Klima und Lebensqualität.
Gesamtergebnisdarstellung als Netzdiagramm
Quelle: HfWU
Standortanalysesysteme unterstützen, aber ersetzen Menschen nicht
Eine Clusterung der StAS ist schwierig, weil unsere Kriterien dafür nicht trennscharf genug sind. Es gibt aber Hinweise auf zwei unterschiedliche Segmente. Dem ersten gehören Softwares an, die sich durch einen großen Funktions- und Datenumfang auszeichnen sowie eine Unterstützung der gesamten Standortanalyse und -entscheidung anstreben.
Das zweite Segment bilden Systeme, die einen schnellen Überblick über Standorte liefern und nur Teile einer Standortanalyse abdecken. In beiden Marktsegmenten gibt es Tools mit hoher und niedriger Usability, mit hohem und niedrigem Preis, für Profi- und Gelegenheitsanwender. Wir halten es für wahrscheinlich, dass die Immobilienwirtschaft auch in Zukunft beide Arten nachfragen wird und dass sich die Segmente durch Anbieterkonzentration und Profilschärfung mittelfristig verändern werden.
Bei der Auswahl eines StAS ist die Abwägung zwischen Umfang und Schnelligkeit nur eines von vielen möglichen Kriterien. Die Studie enthält einige Hinweise auf weitere wichtige Entscheidungskriterien. Diese müssen in einer individuellen Anforderungsanalyse bestimmt und gewichtet werden. Beispiele:
- Soll das System in die vorhandene IT integriert werden? Dann sind vielfältige Schnittstellen nötig, ansonsten reicht ein Excel-Export.
- Sollen die Daten auch für externe Zwecke verwendet werden? Dann sind die Qualität der Grafiken und der Druck eines Standortberichts wichtige Features.
- Werden Aushilfskräfte oder erfahrene Angestellte mit dem StAS arbeiten? Für erstere ist die leichte Bedienbarkeit wichtig, für letztere ist es gut, wenn die Software den gewohnten Prozess unterstützt.
Unser Fazit: Es ist heute tatsächlich leicht, einen Immobilienstandort zu analysieren. Dafür stehen immer mehr Geo-, Standort- und Marktdaten zur Verfügung, und es gibt viele Systeme, mit denen man diese einfach und gut analysieren kann. In ihnen stecken viel IT- und Immobilien-Know-how sowie Datensammlerfleiß. Aber die Programme helfen nur bei der Analyse, sie führen sie (noch) nicht selbständig durch.
Außerdem wagen sich selbst die fortschrittlichsten Systeme bisher kaum an die dann folgenden Prozessschritte: die Interpretation der Analyseergebnisse und das Treffen von Entscheidungen. Hier sehen wir noch viel Entwicklungspotenzial. Zum Teil stehen Lösungen in anderen Systemen schon bereit, etwa Simulationen und Nutzwertanalysen, die Entscheidungen wirksam unterstützen können. Zum Teil wird man neue Instrumente entwickeln, möglicherweise mit Verfahren der künstlichen Intelligenz. Bis dahin werden Standortanalysesysteme den Menschen bei der StoMA sinnvoll unterstützen – nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Die 12 ausgewählten StAS-Anbieter (alphabetisch sortiert)
Unternehmen | Software | Web-Adresse |
21st Real Estate | Lageanalyse | |
Analyse & Konzepte immo.analytics | QUIS | |
Bulwiengesa | Riwis | |
Fahrländer Partner (Deutschland) | Imbas | |
Geospin | Geospin | |
ImmobilienScout | ImmoScout 24 Standortanalyse | |
Price Hubble | PriceHubble | |
PropTechTools | PropTechTools | |
Real Estate Pilot | GeoMap | |
Realxdata | realXdata | https://www.realxdata.com/de/ |
Sprengnetter | Sprengnetter Maps | |
Wüest Partner Deutschland | Wüest Dimensions | https://www.wuestpartner.com/de-de/services-produkte/produkte/wuest-dimensions/ |
Quelle: HfWU
Der Beitrag erschien im Fachmagazin "Immobilienwirtschaft", Ausgabe 11/2021.
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