Energieautarkes Bauen ist die Zukunft
Es sind nicht immer nur die Wohnungsunternehmen in den boomenden Großstädten, die neue Wege beschreiten. Oftmals finden gerade auch Unternehmen an strukturell nicht ganz so starken Standorten besondere Lösungen für Herausforderungen. Ein Beispiel dafür ist die SEEG Meißen, die als kommunales Unternehmen in der unweit von Dresden gelegenen 28.000-Einwohner- Stadt vor einigen Jahren vor einer schwierigen Entscheidung stand: Sollte sie das mit einem hohen Leerstand kämpfende Plattenbauquartier am Albert-Mücke-Ring im peripheren Stadtteil Nassau aufgeben? Oder sollte sie im Gegenteil mutig vorangehen und mit einem neuen Konzept das Viertel revitalisieren?
Die SEEG entschied sich für die zweite Variante und ist jetzt dafür mit dem DW-Zukunftspreis der Immobilienwirtschaft belohnt worden. Dabei war der Weg nicht einfach, wie Birgit Richter, Geschäftsführerin der SEEG Meißen, rückblickend festhält. „Wir haben unbekanntes Terrain betreten und sind ein hohes Risiko eingegangen“, sagt sie. Zum Glück habe das Unternehmen von Anfang an die Unterstützung des Aufsichtsrats und des Oberbürgermeisters gehabt. Es sei aber nicht immer einfach gewesen, Verbündete zu gewinnen. „Und“, ergänzt Richter, „es hätte uns geholfen, wenn wir auf ein Beratungsangebot hätten zugreifen können.“
Ehrgeiziges Energiekonzept
Tatsächlich stand das Unternehmen, das insgesamt rund 2.500 Wohneinheiten in seinem Bestand hat, vor einer Reihe schwieriger Entscheidungen. So galt es zunächst, in einem relativ entspannten Wohnungsmarkt den Grundsatzbeschluss zu fassen, die bestehenden Plattenbauten durch Neubauten zu ergänzen. Entlang dem Albert-Mücke-Ring sind nun zwei viergeschossige Mehrfamilienhäuser entstanden. Das erste mit 20 Wohneinheiten – darunter zwölf Vierraumwohnungen – ist im Februar 2021 bezogen worden, das zweite mit Einheiten für Studenten- Wohngemeinschaften wird im Juli dieses Jahres fertiggestellt. Hinzu kommen Reihenhäuser, die derzeit im Bau sind. Die Bestandsbauten werden durch den Einbau von Aufzügen aufgewertet. Richter und ihr Team wollten aber nicht irgendwelche Neubauten errichten, sondern ein Pilotprojekt in Form eines energieautarken Wohnhauses realisieren. „Energieautarkes Bauen ist die Zukunft“, betont Richter. „Dieser Aufgabe können wir uns nicht verschließen.“ Zunächst schwebte der SEEG-Geschäftsführerin dabei das Sonnenhaus-Konzept vor, auf das sie durch einen Vortrag von Prof. Timo Leukefeld aufmerksam geworden war. Dann machten die Fachplaner aber deutlich, dass sich der Standort besser für die Nutzung von Geothermie eignet. Neun Bohrungen schufen die Grundlage dafür, dass die Wärme jetzt weitgehend über Geothermie geliefert wird. Hinzu kommt eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung.
Der Strom stammt hauptsächlich aus Sonnenenergie: Insgesamt 302 Photovoltaikmodule sind am Neubau im Albert-Mücke-Ring 14 angebracht, und zwar 152 auf dem Dach und 150 an der Südfassade des Hauses. Gespeichert wird der Strom in einem Batteriespeicher mit einer Kapazität von zweimal 76 Kilowatt pro Stunde. Hauptsächlich wird er aber den Bewohnern in Form von Mieterstrom zur Verfügung gestellt – mit durchschlagendem Erfolg: Alle Mieterhaushalte beziehen den hauseigenen Sonnenstrom. „Ziel ist es, die Wärme zu 100 Prozent vor Ort zu erzeugen“, sagt Birgit Richter. Auch beim Strom ergibt sich rechnerisch eine 100-prozentige Eigenversorgung – allerdings nur im Jahresdurchschnitt. „Im Winter reicht der durch Photovoltaik erzeugte Strom zwar, um die Wärmepumpen zu betreiben, nicht aber für den Haushaltsstrom der Mieter“, erläutert die Geschäftsführerin. „Deshalb müssen wir im Winter Strom zukaufen. Im Sommer hingegen erzeugen wir mehr Strom als nötig, da er ja nicht für die Heizung gebraucht wird.“
Schwierige Mietvertragsgestaltung
Wie nun dieses Energiemodell in den Verträgen abgebildet werden sollte, war eine der komplexen Aufgaben, vor denen die SEEG stand. „Es war für uns alle ein neues Thema, bei dem wir uns nicht nur mietrechtlich absichern mussten“, sagt Richter. Auch in Bezug auf den Strom war eine vertragsrechtliche Beratung erforderlich. Ihr Rechtsanwalt riet von einer Flatrate- Miete ab, die alle warmen und kalten Betriebskosten umfasst hätte, und empfahl stattdessen ein Modell, das eine Grundmiete sowie eine quadratmeterbezogene Energiepauschale für Warmwasser, Heizung und Strom umfasst. Verbrauchserfassung und Nebenkostenabrechnung erübrigen sich damit.
Die Grundmiete beträgt nun 7,65 Euro pro Quadratmeter, die Energiepauschale 1,45 Euro pro Quadratmeter. Hinzu kommen die kalten Betriebskosten, sodass sich eine Gesamtmiete von 10,40 Euro pro Quadratmeter ergibt. Bei der Energiepauschale gibt es natürlich eine Unsicherheit: Verhalten sich die Mieter so, dass ihr Energieverbrauch den Berechnungen entspricht? „Wir glauben, dass die Mieter sich ihrer Mitverantwortung bewusst sind und zum Beispiel nicht die Fenster aufreißen“, sagt Birgit Richter. „Auch die Hausmeister haben ein Auge auf das Verhalten der Mieter und suchen, wenn nötig das Gespräch mit ihnen.“ Das dürfte nicht zuletzt deshalb erforderlich sein, weil es sich bei den Bewohnern keineswegs ausschließlich um Ökofreaks handelt. Denn in einem relativ entspannten Wohnungsmarkt wie demjenigen in Meißen habe ein Vermieter kaum Auswahlmöglichkeiten unter den Mietinteressenten, sagt Richter. „Wir können deshalb nicht nur an Haushalte vermieten, die sich aus voller Überzeugung stets ökologisch vorbildlich verhalten.“
Eine weitere Herausforderung bestand im Umgang mit dem Mieterstrom. Da jeder Mieter seinen Stromlieferanten selbst wählen kann, ist in jeder Wohnung ein Platz für einen Stromzähler vorgesehen, um so die Abrechnung mit einem externen Stromversorger zu ermöglichen. Tatsächlich eingebaut wird der Stromzähler jedoch erst, wenn ein Mieterhaushalt sich gegen den Mieterstrom und die Energiepauschale entscheiden sollte. Unproblematisch war ein anderer Punkt, der vielen Wohnungsunternehmen Kopfzerbrechen bereitete: Die steuerlichen Hemmnisse, die bis zur jüngsten rechtlichen Änderung galten, waren für die SEEG ohne Belang. „Da wir auch ein Spaßbad besitzen, unterliegen wir ohnehin der Gewerbesteuerpflicht“, erklärt Richter.
Elektromobilität ist übrigens, anders als in vielen anderen Wohnquartieren in Deutschland, nicht Teil des Konzepts. Zumindest noch nicht: Noch sei die Nachfrage zu gering und die Förderung für Ladesäulen nicht ausreichend, begründet dies Birgit Richter.
Schwarze Null angestrebt
Eine Grundmiete von 7,65 Euro pro Quadratmeter bei einem energieautarken Neubau – kann sich das rechnen? Ja, antwortet die SEEG-Geschäftsführerin: Eine schwarze Null lasse sich dank dem Stromverkauf an die Mieter durchaus erreichen. Die Baukosten beziffert die SEEG auf 2.400 Euro pro Quadratmeter, wovon 250 Euro pro Quadratmeter auf die Mehrkosten für die eigene Energieversorgung entfallen. 200.000 Euro steuerte dafür das Land Sachsen bei. Im Gegenzug verpflichtete sich die SEEG, dem Freistaat sieben Jahre lang die Ergebnisse des Monitorings zur Verfügung zu stellen.
Eine Gewinnabsicht verfolgt das Unternehmen in diesem Fall nicht, wie Richter betont. Vielmehr sei es das vorrangige Ziel, das Quartier zu stabilisieren. Dazu soll auch der zweite Neubau mit den Studenten- Wohngemeinschaften beitragen. Falls diese auf Dauer nicht nachgefragt sein sollten, lassen sie sich in Vierraumwohnungen umwandeln.
In Serie geht das Modell „energieautarkes Mehrfamilienhaus“ allerdings trotz der erfolgreichen Realisierung nicht – weitere Neubauten sind laut Richter nicht geplant. Genutzt werden sollen die gewonnenen Erkenntnisse trotzdem, indem einzelne Elemente (zum Beispiel die Kombination aus Geothermie und Photovoltaik) an geeigneter Stelle auf den Bestand übertragen werden.
Weitere Informationen: www.seeg-meissen.de
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