Plusenergiehaus: Heizen mit Sonne und Eis
Die Umstellung der Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien ist für Immobilienunternehmen wie Energieversorger eine große Herausforderung. Gilt es doch, verschiedene komplizierte Technologien intelligent in eine Gesamtlösung zu integrieren – passend zum Gebäude, seiner Nutzung und der Versorgungsstruktur.
Eines der gelungenen Beispiele ist das Projekt Kamelienstraße, 56 Wohneinheiten in Plusenergiebauweise, das im Juli 2015 in Betrieb genommen wurde. 50 der Wohnungen entstanden im Rahmen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus. Der Straßenzug Kamelienstraße liegt in der "Parkstadt Unterliederbach", einem Neubaugebiet im Westen von Frankfurt am Main. In dem jungen Quartier entstanden zwischen 2012 und 2017 rund 300 Wohneinheiten in Reihen- und Mehrfamilienhäusern. Sie werden praktisch komplett mit erneuerbaren Energien beheizt. Ein Nahwärmenetz der Mainova AG mit einem Holzpellet-Heizkessel bildet dabei das Rückgrat der Wärmeversorgung.
Entwickelt hatte das Gebiet die KEG Konversions-Grundstücksentwicklungsgesellschaft mbH. Die kommunale Mehrheitsbeteiligungsgesellschaft ist darüber hinaus auch Bauherrin der Plusenergiehäuser in der Kamelienstraße, die von der BSMF Beratungsgesellschaft für Stadterneuerung und Modernisierung mbH aus Frankfurt konzipiert und geplant wurden.
Sonne spielt die Hauptrolle
Das Projekt Kamelienstraße besteht aus insgesamt sechs Mehrfamilien- und sechs Reihenhäusern in Passivhausbauweise. Mit Strom und Wärme werden sie durch Nutzung von Sonnenlicht im Rahmen eines integrierten Energiegesamtkonzepts versorgt. Rund 400 Quadratmeter Solarkollektoren befinden sich auf den Dächern der Gebäude, zum Teil als Hybridkollektoren ausgeführt. Die Stromversorgung sichert die Photovoltaikanlage mit einer Leistung von rund 47.000 Kilowattstunden pro Jahr. Sie deckt den Bedarf an Energie zum Betrieb der gesamten haustechnischen Anlage sowie für die Beleuchtung der Keller, Treppenhäuser und Außenanlagen.
Die Wärmeversorgung der Wohnungen erfolgt durch eine solarthermische Anlage mit rund 158.000 Kilowattstunden pro Jahr. Gespeichert wird die Energie aus Sonnenlicht in einer Großspeicheranlage mit Schichtenspeicher und vier Unterstationen. Zudem steht ein Eisspeicher mit einem Volumen von etwa 140 Kubikmeter in Verbindung mit vier Wärmepumpen mit je 30 Kilowatt (thermisch) zur Verfügung. Er kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn die Sonne nicht zuverlässig scheint. Dann entziehen die Wärmepumpen die thermische Energie, bis der Speicher Eis bildet.
Zur Klimatisierung der Plusenergiehäuser dient eine kontrollierte Lüftung, bei der mit spiralförmigen Erdsonden im Sommer die zugeführte Frischluft auf natürliche Weise vorgekühlt wird. Die Kühle aus dem Erdreich wird dabei mit einer Sole über die Belüftungsanlage auf die Zuluft übertragen. Die Komponenten dieses Systems aus Eisspeicher, Trinkwasserspeicher und Wärmepumpen korrespondieren untereinander. So können auch geringe Mengen solarer Energie nutzbar gemacht werden. Die aufeinander abgestimmte Kombination der Speichermöglichkeiten sichert zudem die regenerative Wärmeversorgung auch in Perioden, in denen die Sonne nicht ausreichend scheint.
Das Besondere: Entsteht ein Überschuss an solarthermischer Energie, kann dieser direkt in den Rücklauf des Nahwärmenetzes der Mainova AG eingespeist werden. Sie unterstützt dort den mit Holzpellets befeuerten Heizkessel, der die umgebende Neubebauung mit Wärme versorgt. Umgekehrt ist auch eine Entnahme von Wärmeenergie möglich, wenn der Bedarf der Kamelienstraße nicht ausreichend gedeckt werden kann. Das Versorgungssystem sei so berechnet, dass auf das gesamte Jahr betrachtet ein Wärmeüberschuss aus der solarthermischen Anlage entstehe, erklärt Jürgen Ruth, Leiter der Abteilung Haustechnik der BSMF. Die Einspeise- und Entnahmemengen werden dabei jährlich bilanziert.
"Die Einspeisung überschüssiger Solarenergie ist im Hinblick auf ihre Nutzbarkeit eine besonders effiziente Lösung", Ulrike Hollstein, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit der BSMF
Sie habe einen positiven Effekt nicht nur auf die Energiebilanz der Häuser in der Kamelienstraße, sondern auch auf die Effizienz der energetischen Versorgung des gesamten Quartiers. "Die Wärmeeinspeisung trägt zu einer Entlastung der Heizzentrale und damit zu einer Verringerung der CO2-Emissionen bei – ein wichtiger Aspekt bei der Erreichung der Klimaschutzziele der Stadt Frankfurt", so Hollstein.
Aktuelle Betriebserfahrungen
"Das Energiekonzept der Plusenergiehäuser ist insgesamt so ausgelegt, dass bilanziell mehr Wärme eingespeist als vom Mainova Wärmenetz bezogen wird", erklärt Jürgen Ruth.
Berechnet wurde ein durchschnittlicher Wärmeüberschuss von 95.000 Kilowatt im Jahr. Erste Einspeisungen kommen – in Abhängigkeit von der Sonnenstrahlung und der Kapazität der Speicher – auf bis zu 50 Kilowatt Wärmeleistung pro Stunde. Die meiste Wärme sei aber in den Plusenergiehäusern gespeichert worden, wie die aktuellen Betriebserfahrungen zeigen.
Die 56 Wohneinheiten in der Kamelienstraße mit einer Gesamtwohnfläche von 4.106 Quadratmeter konnten inklusive der Gebäudetechnik für rund neun Millionen Euro errichtet werden. Das entspricht Baukosten der Kostengruppe 300 und 400 von rund 2.200 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche.
„Für ein Gebäude mit derart ambitioniertem Energiekonzept ist das ein Preis, auf den wir stolz sind“, sagt Ulrike Hollstein.
Fördermittel kamen von der Stadt Frankfurt sowie durch das Land Hessen im Rahmen der Wohnungsbauförderung, genauer: des Frankfurter Programms zum sozialen Mietwohnungsbau. Die Kaltmiete für die 50 öffentlich geförderten Wohnungen beträgt günstige 5,50 Euro pro Quadratmeter und für die sechs frei finanzierten Wohnungen 11 Euro pro Quadratmeter. In den Nebenkosten von einem Euro sind Heizung und Warmwasser inbegriffen.
Den Mietern der Kamelienstraße stehen zudem zwei Elektroladestationen zur Verfügung. Sie werden durch die Solaranlage der Plusenergiehäuser mitversorgt. Darüber hinaus hat die KEG für die Bewohner des gesamten Neubaugebiets ein E-Carsharing-Angebot installiert. Der sogenannte "Solarparker" ist mit eigenen Solarpaneelen ausgestattet und dient zum Laden wie auch zum Verleih von Elektrofahrzeugen.
"Dieses Angebot ist Teil eines Dreiklangs aus neuer Nachbarschaft, neuer Energie und neuer Mobilität", erläutert Hollstein das auf Nachhaltigkeit hin ausgerichtete Entwicklungskonzept für das Neubaugebiet.
Betrieben wird der Solarparker von einer E-Mobility-Genossenschaft, die ihre E-Autos dort für alle Bewohner anbietet.
Ausgezeichnet mit dem DW-Zukunftspreis 2018
Das Energieprojekt ist einer der drei diesjährigen Gewinner des DW-Zukunftspreises für die Immobilienwirtschaft. Die Jury begründete ihr Urteil wie folgt: "Das Projekt hat den Charakter eines Test-Lab für ganz unterschiedliche Konzepte, die heute im Bereich erneuerbarer Energien existieren. Diese werden intelligent in eine Gesamtlösung integriert. Das Ganze ist unter deutlichen Platzbeschränkungen zu tragbaren Kosten gelungen. Im Sinne von Ganzheitlichkeit werden auch E-Autos und Carsharing integriert. Das ist gelungen in Frankfurt am Main, einer Stadt mit hohen Anforderungen an die Unternehmen der Immobilienwirtschaft."
Energieautarkes Haus Frankfurt
Derzeit errichten BSMF und KEG ein weiteres energetisches Leuchtturmprojekt, gelegen zwischen der Heizzentrale der Mainova und den Plusenergiehäusern der Kamelienstraße. Das "Energieautarke Haus Frankfurt" ist darauf ausgerichtet, ein möglichst nachhaltiges und CO2-neutrales Wohnen zu ermöglichen und dabei auch die "graue" Energie der Herstellung und des Betriebes des Gebäudes in den Blick zu nehmen.
Energetisch selbstversorgt durch die Nutzung von Sonnenlicht über solarthermische und Photovoltaikanlagen in Kombination mit einer Wärmepumpe zur Warmwasserbereitung soll die gewonnene Energie in Batterien und durch Einsatz von Wasserstofftechnologie gespeichert werden. Konstitutiv für das Funktionieren des Hauses ist zudem ein gemeinschaftlich orientiertes Wohn- und Nutzungskonzept verbunden mit einem energiebewussten Verhalten der zukünftigen Bewohner.
"Ziel ist, durch kluge Kombination technischer und baulicher Möglichkeiten einen guten Primärenergiewert zu erreichen und gleichzeitig die Nachhaltigkeit eines Gebäudes im Blick zu behalten", erklärt Jürgen Ruth den grundsätzlichen Ansatz des Projektes.
Mitte 2019 soll das energieautarke Haus bezogen werden. Geplant ist, das Gebäude technisch mit dem benachbarten Energieplus-System zu koppeln, sodass ein Austausch zwischen den Systemen möglich sein wird.
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