Ein Beispiel aus Wien: Holzhäuser wachsen in den Himmel


Ein Beispiel aus Wien: Holzhäuser wachsen in den Himmel

Der Holzhausbau ist seit Jahren wieder auf dem Vormarsch. Doch große Wohnhäuser sind bisher eher die Ausnahme. In Österreich entstand jetzt ein siebengeschossiger Wohnbau in reiner Holzbauweise.

Bäume wachsen ja bekanntlich nicht in den Himmel. Bei Wohnhäusern aus Holz ist das ähnlich – noch. Denn mehrgeschossige Wohnhäuser, die rein in Holzbauweise errichtet werden, sind noch selten. In Österreich entstand nun nach gut einem Jahr Bauzeit das bis dato höchste Wohngebäude des Landes in reiner Holzbauweise. Zwar legen die Handwerker in der Wagramer Straße in Wien noch letzte Hand an. Doch seit Februar 2013 sind die insgesamt 101 Wohnungen bereits bezogen. Bauherr und Verwalter der Sozialwohnungen ist die gemeinnützige Wohn- und Siedlungsgenossenschaft „Familie“.

Sieben Geschosse
Die Anlage besteht aus einem siebengeschossigen Baukörper sowie aus drei niedrigeren, je dreigeschossigen Riegeln. Jede Wohneinheit verfügt über ein kleines privates Refugium in Form einer Loggia, eines Balkons oder einer Terrasse. Im Erdgeschoss befinden sich zudem die Gemeinschafts­einrichtungen sowie eine Gästewohnung.
Ein komplettes Holzgebäude verhindern auch in Österreich die Bauvorschriften. So besteht das Erdgeschoss– wie es die Wiener Bauordnung für Holzbauten ab vier Geschossen vorschreibt – aus Stahlbeton. Ebenso die drei Treppenhauskerne, die aus Gründen der Gesamtaussteifung und zur Abtragung der Gebäudelasten massiv errichtet wurden.
Auf das Erdgeschoss wurden in fünfmonatiger Bauzeit die sechs Geschosse gesetzt. Kern dieser Obergeschosse ist eine Massivholzkonstruktion aus Brettsperrholz. Zum Einsatz kamen hier kreuzweise verleimte Massivholzelemente für die Wohnungstrennwände sowie als Trägermaterial der Gebäudehülle. Diese noch junge Technik im Holzbau sorgt dafür, dass sich die Holzschichten nicht ausdehnen können. Für die horizontalen Bauteile kamen Brettsperrholz-Betonverbund-Elemente (BBS) zum Einsatz. Insgesamt wurde etwa 19.400 m2 Brettsperrholz an Wand- und Deckenelementen verbaut.

Brandschutzvorschriften
Die Schwierigkeit solcher großer Holzbauten besteht in den meisten Ländern darin, die strengen Brandschutzvorschriften einzuhalten. Das ist in Österreich nicht anders als in Deutschland. Beim Projekt Wagramer Straße musste nachgewiesen werden, dass BBS durch eine ausreichende Beplankung mit Gipskarton (die sogenannte Kapselung) bei 90 min. Dauerbeflammung nicht zu brennen beginnt. Die Lieferanten Binderholz Bausysteme und Saint-Gobain Rigips Austria entwickelten dafür Bauteilaufbauten, welche die geforderten Anforderungen erfüllten. Die Holzkonstruktion ist mineralisch verkleidet, also an der Fassade verputzt und innen mit Gipskarton beplankt. Damit geht zwar ein Teil des Holzgefühls für die Bewohner verloren, doch die Holzbauteile können nicht mehr so leicht entzündet werden.
Die europaweit uneinheitlichen Brandschutzvorschriften sieht die Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Holzwirtschaft, proHolz Austria, als eines der größten Hindernisse bei großen Holzwohnbauten. So werde das etwa in der Schweiz, in Italien oder in Großbritannien deutlich einfacher gehandhabt als zum Beispiel in Österreich oder Deutschland. Einheitliche Vorschriften aber erlauben es den Herstellern, für Europa einheitliche Bauteile herzustellen.
Die Kosten im Vergleich
Mit dem Wiener Projekt wollte das verantwortliche Architekturbüro Schluder den Beweis antreten, dass Holz nicht nur ökologisch und wegen seiner positiven Auswirkungen auf Wohnkomfort und Raumklima ein hervorragender Baustoff ist, sondern auch ökonomisch und praktisch im städtischen Bauen seine Berechtigung hat. Ganz gelungen ist das nicht. Denn auch in Österreich ist das Bauen mit Holz nicht billig. Allein die Rohbaukosten liegen bei der Wagramer Straße rund 20 % über denen der herkömmlichen Bauweise. Auch in Österreich zeigt sich, dass die industrielle Herstellung der Holzbauteile noch in den Händen weniger Firmen liegt. Das verhindert Größeneffekte bei der Fertigung und hält die Preise hoch.
Insgesamt beliefen sich die Baukosten auf rund 15 Mio. €. Die Stadt Wien unterstützte das Projekt im Rahmen der Wohnbauförderung mit 6,3 Mio. €. Wegen der höheren Kosten im Vergleich zur konventionellen Bauweise sind private Investoren beim Thema Holz immer noch zurückhaltend. Darum sind Holzbauten vielerorts noch eine Domäne von Wohnbaugenossenschaften.
„Solange die graue Energie und die gesamte Ökobilanz bzw. der Lebenszyklus nicht vom Gesetzgeber zwingend vorgeschrieben, ergo mit eingerechnet werden muss, ist Holzbau teurer’“, gibt auch proHolz-Sprecher Kurt Zweifel zu. Bisher muss die Entsorgung von Materialien wie Plastikfenster oder Styroporfassaden nicht in die Gesamtbilanz eingerechnet werden. In Frankreich ist das ab 2015 vorgeschrieben, mittelfristig rechnet Zweifel in ganz Mitteleuropa mit entsprechenden Vorschriften.

Wien forciert Holzbau
Dass ausgerechnet in Wien immer höhere Holzbauten entstehen, ist kein Zufall. Der österreichische Staat forciert seit Jahren das Bauen mit nachhaltigen Baustoffen. Derzeit sind in Wien rund 40 geförderte Wohnprojekte in Holz- oder Holzmischbauweise mit 2.700 Wohnungen in Planung, in Bau oder wurden bereits fertiggestellt. Insgesamt wurden in diesen Projekten rund 379 Mio. € verbaut. 20 Projekte sind reine Holzbauprojekte. Das größte Projekt in Holzmischbauweise mit 419 geförderten Wohnungen wird derzeit im Sonnwendviertel beim neuen Hauptbahnhof errichtet. Die Gesamtbaukosten des Projekts, das von der Stadt Wien mit 20 Mio. € gefördert wird, betragen rund 50 Mio. €.
Generell sieht man bei proHolz Austria einen internationalen Trend, wonach großvolumiges Bauen mit Holz im städtischen Bereich im Vormarsch ist. „Der um 2005 europaweit begonnene Trend, Mehrgeschosser in Holz zu bauen, hat ganz eindeutig an Fahrt aufgenommen“, stellt Kurt Zweifel von proHolz Austria fest. Vor allem die Schweiz gilt aus Vorreiter der Entwicklung. Seit dem Jahr 2000 wurden dort landesweit rund 1.500 mehrgeschossige Wohnhäuser errichtet. Allein in Zürich sind derzeit rund 1.000 Wohneinheiten aus Holz geplant oder bereits im Bau. Doch auch in anderen Metropolen ist der Holzbau angekommen. In London wurde ein Projekt mit acht Geschossen verwirklicht. Derzeit entstehen auf Europas größter Holzbaustelle in der Via Cenni in Mailand vier neungeschossige Holztürme mit insgesamt 124 Wohnungen. Gebaut werden diese in Holz-Massivbauweise mit großflächigen Brettsperrholzelementen. Baubeginn in der Via Cenni war Anfang dieses Jahres, innerhalb von nur 14 Monaten sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein.

Ausblick
Mittelfristig sieht Kurt Zweifel den Anteil von Holzbauten auf zehn bis 15 % ansteigen. Die Vorteile der Holzkonstruktionen liegen seiner Einschätzung nach in der hohen Vorfabrikation, der Geschwindigkeit im Bauprozess und in der besseren Ökobilanz. Die ist in der Wagramer Straße deutlich positiv. In den 2.400 m2 Brettsperrholz sind rund 2.400 Tonnen CO2 gespeichert. Das entspricht in etwa der Jahresemission von 1.630 Mittelklassewagen. Zerlegt man das Gebäude am Ende der Lebensdauer, kann man die rund 24 Terajoule an eingespeicherter Energie nutzen und diese in Strom und Wärme umwandeln. Damit würde allein durch das Baumaterial Holz fossile Energie in bedeutenden Mengen eingespart.

Alexander Heintze

Freier Journalist

München