Holzmodulbau: Integratives Projekt schafft Wohnraum für Geflüchtete
Die Architektur ist ungewöhnlich, die Planung BIM-basiert, das System modular, und der Werkstoff Holz. Bauherr ist eine Stiftung. "Hoffnungshaus“ hat die gemeinnützige Hoffnungsträger Stiftung aus Leonberg ihr integratives Wohnprojekt für Geflüchtete und Einheimische genannt. Und das nicht nur wegen der engen Anlehnung an den Namen der Stiftung. Der Name ist ausdrücklich Programm. Seit ihrer Gründung 2013 hat sich die Stiftung mit der Frage beschäftigt, wie sich Menschen, die flüchten mussten, schnell in Deutschland heimisch fühlen können.
Aspekt Wohnen als zentraler Bestandteil für gelungene Integration
Während der Grünen-Politiker Palmer den Einsatz von Holz im Wohnungsbau als einen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele sieht und möglichst schnell mit der Tübinger Wohnungsbaugesellschaft GWG loslegen will, steht für die gemeinnützige Hoffnungsträger Stiftung aus Leonberg der Aspekt Wohnen als zentraler Bestandteil für eine gelungene Integration im Mittelpunkt. Deshalb konzipierte die Stiftung die Hoffnungshäuser. Eingebettet in ein breites Netzwerk ehrenamtlichen Engagements leben hier Geflüchtete und Einheimische in einem Haus zusammen. Warum?
"Wir glauben, dass Integration dann funktioniert, wenn Menschen nicht neben-, sondern miteinander leben und praktische Alltagsfragen gemeinsam angehen." Marcus Witzke, Vorstand der Hoffnungsträgerstiftung
Dafür wurde in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro "And Office" aus Stuttgart ein Systemhaus in Holzbauweise entwickelt. Es soll den Bewohnern ein optisch ansprechendes Zuhause bieten, das Geborgenheit vermittelt.
Holz schafft eine warme Atmosphäre
Der Baustoff Holz schafft dabei eine warme und anheimelnde Atmosphäre. Auch die weiche Form der Häuser mit den geschwungenen Balkonen ist ein starker Gegenpol zu der rationalen Containerarchitektur vieler temporärer Flüchtlingsunterbringungen.
"Nachdem wir festgestellt haben, dass einfachste Containerbauten ohne wirkliche Funktion und Nachhaltigkeit 1.400 Euro pro Quadratmeter kosten, wollten wir etwas schaffen, das einen langfristigen Nutzen für die Bewohner hat." Stiftungsvorstand Marcus Witzke
Zudem stärke eine attraktive Architektur sowohl die Identifikation der Bewohner mit ihrem neuen Zuhause als auch die Akzeptanz des Baus und in der Nachbarschaft. Bauherr und Eigentümer des Objekts im Rohrackerweg im Esslinger Stadtteil Berkheim ist die Stiftung. Mieter ist die Stadt Esslingen. Die Wohnungen sind langfristig an die Stadt vermietet, wie Witzke erklärt, ein Modell, nach dem bei neuen Standorten nicht mehr verfahren werden soll. Die Stiftung setze zusammen mit der Jugendorganisation CVJM Esslingen und der Kommune das inhaltliche Konzept um.
Das dreigeschossige Gebäude auf einem 1.345 Quadratmeter großen Grundstück hat drei Vollgeschosse mit sechs Wohneinheiten. Zwei davon sind für einheimische Familien reserviert. Eine Wohneinheit steht für eine geflüchtete Familie zur Verfügung, drei weitere als Wohngemeinschaften für Geflüchtete. Bis zu 35 Personen sollen sich die Wohnfläche von 675 Quadratmetern teilen. Bei Häusern an anderen Standorten werden die Wohnungen jeweils hälftig zwischen Einheimischen und Flüchtlingen aufgeteilt. Die Wohnungsgrößen variieren von 40 bis 120 Quadratmetern mit zwei bis fünf Zimmern. Die großen Wohnungen verfügen über zwei Bäder. Zentrales Element jeder Wohnung ist eine große Wohnküche, die bis zu 30 Quadratmeter misst. Die Verkehrsflächen wurden zugunsten der nutzbaren Wohnfläche minimiert. Über die komplette Längsseite des Gebäudes laufen großzügige, durchgehende Balkone.
"Hoffnungshaus Esslingen": 20 Häuser nach dem gleichen Konzept geplant
Das Hoffnungshaus Esslingen ist das erste von inzwischen sechs realisierten Gebäuden. Fünf weitere befinden sich im Bau. 20 Häuser sind nach dem gleichen Konzept geplant.
"Da wir Gebäude für unterschiedliche Standorte planen sollten, entschieden wir uns für die Entwicklung eines modularen Baukastensystems." Architekt Thorsten Blatter von And Office
Die Module werden im Werk produziert, kommen per Lkw auf die Baustelle und werden am Standort zusammengesetzt. Die komplette Bauzeit betrug für das Esslinger Haus sechs Monate. Die rationelle Planung und Fertigung machte einen Preis (Kostengruppe 300+400) von brutto 1.800 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche möglich. Um unterschiedliche Gebäudegrößen realisieren zu können, werden bei den Hoffnungshäusern keine Raummodule, sondern wenige Elementmodule kombiniert.
"In Verbindung mit einer BIM-basierten Planung ist es möglich, mit Baukörpern zwischen 12 bis 24 Metern Länge flexibel auf unterschiedliche städtebauliche Rahmenbedingungen und Grundstücksgegebenheiten zu reagieren", sagt Blatter. Zudem verringere sich bei Elementmodulen Transportvolumen und -aufwand, weil die Bauteile flach neben- und übereinander gestapelt werden können. Für den Baustoff Holz hat sich das Architekturbüro aufgrund der inzwischen weithin akzeptierten Vorzüge entschieden: "Ein sehr hoher Vorfertigungsgrad, große Präzision, Nachhaltigkeit, ein tolles Raumklima sowie attraktive Oberflächen, die nicht weiter bearbeitet werden müssen", erklärt Blatter. Das Material Holz haben die Architekten – wo immer möglich – innen wie außen sichtbar gemacht.
Konzipiert für wechselnde Nutzergruppen
Das Gebäude in Esslingen ist als Zweispänner mit innen liegendem Treppenhaus konzipiert. Ein hinter dem Treppenhaus liegendes Schlafzimmer fungiert als sogenannter Schaltraum, der mit minimaler Anpassung sowohl der rechten als auch der linken Wohnung zuzuschlagen ist. Damit können in jedem Geschoss unterschiedliche Wohnungsgrößen entstehen. Da es nur wenige tragende Innenwände gibt, können die Grundrisse relativ leicht für wechselnde Nutzergruppen verändert werden.
"Ausgangspunkt für die Entwicklung der Hoffnungshäuser war die Flüchtlingskrise", erklärt Witzke. Da die Gebäude dem Standard für Mietwohnraumförderung entsprechen, hat die Stiftung als Mieter aber auch Menschen mit kleinen Einkommen im Visier, die auf dem freien Markt wenig Chancen auf bezahlbare Wohnungen haben. "Uns erreichen viele diesbezügliche Anfragen von Kommunen", sagt Witzke, "alles, was wir neu bauen, vermieten wir 30 Prozent unter der ortsüblichen Neubaumiete".
Die verspielt aussehende außergewöhnliche Optik erhält das Gebäude durch die vertikale Holzleistenfassade mit unterschiedlichen Abständen. Das sieht teuer aus, ist es aber nicht: Durch die computergestützte Fertigung lasse sich deren geschwungene Kontur ohne nennenswerten Mehraufwand umsetzen, erklärt Architekt Blatter.
Der vollständige Artikel erschien im Magazin "DW Die Wohnungswirtschaft", Ausgabe 06/2019.
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