Teure Energie beim Wohnen: Die Angst geht um
Niemand soll sagen, dass es in Adorf / Vogtland nichts zu sehen gibt. Einen beeindruckenden Marktplatz und das einzige erhaltene Stadttor der Gegend, ein Perlmuttermuseum und einen Botanischen Garten nennen die lokalen Tourismusverantwortlichen als Sehenswürdigkeiten des Städtchens mit seinen knapp 5.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, das im sächsischen Vogtland liegt, wenige Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt.
Doch Kay Burmeister, Geschäftsführer der Wohnungsgesellschaft Adorf/Vogtl. mbH, hat derzeit anderes im Kopf als die Schönheiten seines Wohnortes. "Die steigenden Energiepreise treffen unser Unternehmen und unsere Mieter massiv", sagt der Chef des kommunalen Unternehmens, das 380 Wohneinheiten im Bestand hat. Und es könnte noch schlimmer kommen. "Wir haben ausgerechnet, dass für uns die Schmerzgrenze beim Acht- bis Neunfachen der vor dem Krieg in der Ukraine verlangten Energiepreise liegt", erklärt Burmeister. "Dann kommen wir in Liquiditätsengpässe und können eine Insolvenz nicht mehr ausschließen."
Ein Einzelfall ist das nicht. Landauf, landab weisen die wohnungswirtschaftlichen Verbände auf die existenzgefährdenden Auswirkungen der gestiegenen Energiepreise für Unternehmen hin. "Vor allem kleinere Unternehmen geraten in eine finanzielle Schieflage, weil sie die höheren Gaspreise zunächst vorfinanzieren müssen und erst deutlich später bei der Heizkostenabrechnung geltend machen können", sagt Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW).
Modernisierungen werden zurückgestellt
Wohnungsunternehmen würden "ohne sofortiges Handeln der Politik in prekäre Finanznot geraten", warnt Rainer Seifert, Verbandsdirektor des vdw Sachsen. Und auch Axel Gedaschko, Präsident des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, schlägt Alarm, wenn er sagt: "Einige sozial orientierte Wohnungsunternehmen bringen die hohen Vorauszahlungen aktuell bereits in akute finanzielle Schwierigkeiten und teils an den Rand ihrer Existenz."
38 Prozent der Wohnungsunternehmen, so das Ergebnis einer vom GdW Ende August veröffentlichten Umfrage, können die Gaspreissteigerungen nach eigenen Angaben nicht aus eigener Liquidität bewältigen und brauchen staatliche Hilfe. Für 22 Prozent der deutschen Wohnungsunternehmen kann die Situation demnach sogar existenzbedrohend werden. Die Zahlen seien "absolut alarmierend", bestätigt Rainer Seifert vom vdw Sachsen. Denn wie eine ebenfalls Ende August veröffentlichte Umfrage unter den Mitgliedern seines Verbandes zeigt, treten die sächsischen Unternehmen massiv auf die Investitionsbremse. Laut der Umfrage haben bereits 56 Prozent der Mitgliedsunternehmen im Zuge der Energiekrise geplante Modernisierungen, Instandhaltungsmaßnahmen oder Neubauten komplett gestoppt. Sogar 84 Prozent müssen ihre Projekte verschieben oder neu planen.
Massive Auswirkungen erwartet Burmeister aber auch für seine Kunden. "Wir haben unseren Mieterinnen und Mietern empfohlen, die Heizkostenvorauszahlung um 100 Prozent anzuheben", berichtet er. Gas ist der wichtigste Energieträger in seinem Bestand – und bei den 150 Wohnungen, deren Wärme aus vier durch einen Contractor betriebenen Blockheizkraftwerken stammt, hat sich der Wärmepreis (ohne Gasumlage) bereits jetzt vervierfacht. Mit den anderen Gasversorgern laufen die Verträge noch bis Ende 2022; welcher Preis danach verlangt wird, war Burmeister bis Redaktionsschluss nicht bekannt. Er rechnet jedoch damit, dass die Betriebskosten zukünftig gleich hoch oder sogar höher als die Kaltmiete (4,46 Euro pro Quadratmeter) sein werden. "Einzelne Mieter", sagt er, "haben uns bereits mitgeteilt, dass sie nicht in der Lage sind, die höheren Heizkosten zu bezahlen."
Ähnliche Erfahrungen wie Burmeister macht Ralf Kehrer, Vorstand der BSG-Allgäu Bau- und Siedlungsgenossenschaft eG in Kempten-Sankt Mang. Er hat "die große Sorge, dass ein Großteil unserer Mitglieder und Mieter sich in Zukunft schwertun wird, die Miete zu bezahlen". Auch im Allgäu ist Gas ein wichtiger Energieträger – es hat einen Anteil von rund 50 Prozent an der Wärmeversorgung der rund 7.000 eigenen und fremden Wohnungen, die die BSG-Allgäu verwaltet. Der Liefervertrag läuft hier ebenfalls noch bis Ende 2022. Danach werde der Gaspreis um den Faktor 3,8 bis 5,8 höher sein, erwartet Kehrer. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich die Heizkosten nahezu versechsfachen. Darin, erklärt Kehrer, sind neben den Energiekosten auch Wartungs- und Abrechnungskosten enthalten, die weniger stark steigen.
Liquiditätsprobleme: Im Osten größer als im Westen
Trotzdem werden sich die Heizkosten von derzeit 1,10 bis 1,50 Euro pro Quadratmeter und Monat voraussichtlich etwa verdreifachen. Das bedeutet, dass sich die Gesamtmiete für eine durchschnittliche Zwei-Zimmer-Wohnung um mehr als ein Drittel von 550 auf 750 Euro erhöhen wird. Anders als die kommunale Wohnungsgesellschaft im Vogtland erwartet Kehrer dadurch keine existenziellen Probleme. "Die steigenden Energiepreise müssen wir zwar einkalkulieren", sagt er. "Für unsere Liquidität sind sie aber nicht bedrohlich."
Der Unterschied zwischen Adorf und Kempten ist kein Zufall. Vereinfacht ausgedrückt: Kleine Wohnungsunternehmen in Ostdeutschland stehen vor deutlich gravierenderen Herausforderungen als große Firmen in den alten Bundesländern. Erstere verfügen oft über ein dünnes Finanzpolster und stehen zudem vor der Situation, dass sich die Gesamtmiete wegen der steigenden Energiepreise prozentual viel stärker erhöht, da die Kaltmiete gerade in strukturschwachen Gegenden sehr niedrig ist.
Dieses Auseinanderdriften bestätigen die Ergebnisse der GdW-Umfrage. Demnach sehen sich 47 Prozent der Unternehmen im Osten wegen der gestiegenen Energiepreise Liquiditätsproblemen ausgesetzt, aber nur 32 Prozent im Westen. In Bayern etwa sei die Situation noch nicht so dramatisch wie in den neuen Bundesländern, bestätigt Hans Maier, Direktor des Verbands bayerischer Wohnungsunternehmen: "Im Augenblick sehen wir noch keine Wohnungsunternehmen, bei denen ernsthafte Liquiditätsprobleme oder gar eine Insolvenz drohen."
Auch Branchengrößen äußern sich eher gelassen. Zwar müssten sie finanzielle Mittel für Energiekosten und Gasumlage vorhalten, was "durchaus spürbar" sei, sagt Jana Kaminski, Pressesprecherin der Vonovia, ergänzt aber: "Unsere wirtschaftliche Stabilität sorgt dafür, dass wir auch in diesen Zeiten verantwortungsvoll an der Seite unserer Kundinnen und Kunden stehen." Auch die LEG sieht wegen der Energiekrise keine größeren finanziellen Probleme auf sich zukommen, wie CEO Lars von Lackum in L‘Immo, dem Podcast von Haufe.Immobilien, ausführt. Nicht zufrieden äußert sich von Lackum darüber, dass nur ein Drittel der Mieter einer Anpassung der Betriebskostenvorauszahlung zugestimmt hat.
Dass Vermieter Kunden darum bitten, höheren Vorauszahlungen zuzustimmen, kommt derzeit häufig vor. Eine weitere Gemeinsamkeit der großen und der kleinen Unternehmen: Sie unterstützen Mieterinnen und Mieter, die durch die gestiegenen Energiepreise in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten drohen, bei der Beantragung von Wohngeld und anderen staatlichen Hilfsleistungen. Und schließlich ergreifen sie auch technische Maßnahmen, um den Energieverbrauch in der Heizperiode zu verringern.
Manche Wohnungswirtschaftler sehen solche zum Teil in der Öffentlichkeit heiß diskutierten Maßnahmen allerdings kritisch. "Mit der Senkung der Temperatur etwa in Wohnräumen und beim Wasser tun wir uns schwer", sagt Kay Burmeister in Adorf. "Denn in diesem Fall droht die Gefahr von Schimmel- beziehungsweise Legionellenbildung."
Klar ist für die Wohnungswirtschaftler hingegen eines: Nicht nur die Mieter, sondern auch die Unternehmen brauchen staatliche Unterstützung. Liquiditätshilfen und staatliche Bürgschaften fordert GdW-Präsident Gedaschko. Für einen Energiepreisdeckel sowie einen Stützungsfonds für Wohnungsunternehmen, die in Liquiditätsschwierigkeiten geraten, spricht sich VNW-Direktor Breitner aus. Und Seifert vom vdw Sachsen schlägt in einem offenen Brief an Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer vor, die Wohnungsunternehmen zu ermächtigen, die steigenden Energiepreise sofort an ihre Mieter weiterzugeben. Dafür seien jedoch "rechtliche Klarstellungen und Neuregelungen" erforderlich, sagt Seifert. "Etwa dass eine Veränderung der Betriebskostenvorauszahlung ab einer gewissen Veränderung auch unterjährig und gegebenenfalls sogar mehrmals jährlich möglich ist, ohne dass es einer Zustimmung der Mieter bedarf."
Noch einen verständlichen Schritt weiter geht Burmeister im vogtländischen Adorf. "Es ist nicht in Ordnung, dass die Wohnungswirtschaft das ganze Risiko der steigenden Energiepreise trägt, während die Energieversorger auf der sicheren Seite sind", argumentiert er. Sein Vorschlag: "Zukünftig sollten Verträge direkt zwischen Mieter und Energieversorger geschlossen werden, sodass der Gasversorger einen allfälligen Zahlungsausfall selbst tragen muss."
Der Beitrag erschien in der Ausgabe 10/2022 des Fachmagazins "Immobilienwirtschaft". Lesen Sie auch die anderen Fachbeiträge dieser Ausgabe im Oktober exklusiv kostenlos.
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