Das Ende der Ära des Sachbearbeiters
Fehl am Platz: Generalisten in einer agilen Welt
Ausbildung und Studium in den Verwaltungsberufen sind anspruchsvoll. Das weiß ich, weil ich selber Diplom-Verwaltungswirt bin. Als ehemaliger Dozent für die Ausbildung im mittleren Dienst behaupte ich sogar, dass diese stellenweise noch knackiger ist, als das Studium: Die Stofffülle ist extrem hoch, Spezialisierungen und damit Eingrenzungen sind im Grunde nicht vorgesehen. Wer Studium oder Ausbildung schafft, darf zu Recht stolz auf sich sein.
Dass hier Generalisten ausgebildet werden, hat den Vorteil des breiten Einsatzgebietes: Wasserrecht, Umweltamt- und Bauamt, KFZ-Zulassung, Standes- oder Jugendamt, Personalmanagement, Controlling und so viel mehr – ein Verwaltungsabsolvent ist universell in der Sachbearbeitung einsetzbar.
Aber ist das noch zeitgemäß? Wie hoch ist die Halbwertszeit des breiten Wissens der Rechtsgebiete, wenn man sie nicht im Alltag anwendet? Das generalistisch in Ausbildung oder Studium angehäufte Wissen ist leider in schätzungsweise 2-3 Jahren hoffnungslos veraltet. Wie schnell verändern sich Gesetzeslage, Rechtsprechung oder schlicht die Rahmenbedingungen einer digitalisierten Welt? Schon heute könnten schon 50 Prozent der Aufgaben des Sachbearbeiters auch von Computern erledigt werden.
Gestern Sachbearbeitung, heute Formulare und morgen KI
Bereits heute werden viele Anträge oder Anfragen nicht mehr in Papierform eingereicht oder am Schalter gestellt. Digitale Prozesse haben Einzug gehalten.
Wenn auch oft unterschätzt, läutet zum Beispiel das vermeintlich triviale digitale Formular das Ende des Sachbearbeiters ein. Denn durch strukturierte Eingabefelder, die nicht leer gelassen werden können, sekundiert von Mehrsprachigkeit und Tutorialvideos als Ausfüllhilfe, sind Anfrage oder Antrag vollständig und in der Regel korrekt gestellt. Die Zeiten, dass diese durch Sachbearbeiter zunächst auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft werden mussten, um dann fehlende Unterlagen nachzufordern, näheren sich damit ihrem Ende.
Nächste Schritte sind automatisierte Prozesse, die von Antrag bis Bescheid vollkommen digital ablaufen. Der Gesetzgeber beginnt hier erst die Weichen zu stellen, erste Verwaltungsleistungen funktionieren aber bereits heute so. Auch Künstliche Intelligenz (KI) kann Anträge vorprüfen und (Vor)Entscheidungen treffen. Ein gut „gefütterter“ Chatbot ersetzt die Beratung per Telefon und am Schalter. Letztlich lässt die E-Akte Papierablage und prall gefüllte Aktenordner verschwinden. Die Digitalisierung beraubt den Sachbearbeitern ihrer Aufgaben.
Spezialisierung als Chance
Das klingt alles nach Zukunftsmusik, ist aber so bereits in der Umsetzung. Und dieser Prozess muss jedoch absolut kein Nachteil derer sein, die heute in der Sachbearbeitung der Behörden arbeiten.
Denn es wird immer der Anteil x an Fällen bleiben, die zu komplex, zu individuell oder zu langwierig sind, als dass sie digitalisiert oder per KI bearbeitet werden können. Hier braucht es die Expertise und die Erfahrung des Sachbearbeiters als Fach-Spezialist in einem Excellenz-Center. Dies bedeutet dann aber eine Abkehr vom Generalistentum des Sachbearbeiters hin zu einer fachlichen Spezialisierung – auch in der Ausbildung und im Studium.
Neue Attraktivität des Berufs Sachbearbeiter
Ich plädiere daher für einen Wandel der Ausbildungsinhalte. Die angehenden Sachbearbeiter müssen nicht mehr alle Kniffe des maximal exotischen Rechtsgebietes kennen. Es kommt vielmehr darauf an, Gesetze anwenden zu können, Zusammenhänge zu verstehen und Entscheidungen nachvollziehbar erklären zu können.
Ich bin mir recht sicher, dass dies auch die Attraktivität des Berufes für junge Menschen wieder deutlich steigert. Denn die sinkenden Bewerberzahlen sind auch ein Ausdruck des Zeitenwandels: Welch junger Mensch will sich in einer maximal schnelllebigen Welt schon auf eine starre Ausbildung und eine stark auf den öffentlichen Dienst eingeschränkte Karriere einlassen? Der Sachbearbeiter neuer Art dagegen verspricht branchenübergreifende Problemlösungs- und Beratungskompetenzen.
Kundenmanagement als Neuausrichtung
Alle haben es sich auf die Fahnen geschrieben: „Unsere Behörde ist besonders kundenorientiert“. Die Realität ist eine andere: schnelles Weiterreichen von Anfragen mit dem Hinweis „Ich bin nicht zuständig“, Abwürgen des lästigen Anrufers am Telefon oder bereits in der Eingangsbestätigung der Hinweis, dass es mal wieder länger dauert.
Daran ist manchmal die gelebte Organisationskultur, meistens aber die fehlende Kapazität Schuld. Durch die Digitalisierung wäre die Zeit da! Für ein Kundenmanagement mit Feedbackschleifen. Für „One face to the customer“ und ausführliche Beratung der Bürger. Letzteres sogar proaktiv, also mit dem Hinweis auf weitere, passende Leistungen – ganz ohne Antrag.
Durch die Digitalisierung bleibt außerdem mehr Luft für die Betreuung komplexer Verfahren. Dies bedeutet nicht nur ein Gewinn an Schnelligkeit und letztlich früheren Entscheidungen im Sinne der Bürger. Mehr Zeit bedeutet auch eine höhere Qualität und Verwaltungshandeln, das vor den Gerichten öfter standhält.
Die Herausforderungen werden nicht weniger
Ja, der klassische Sachbearbeiter in den Behörden hat ausgedient. Es wird Zeit, sich von ihm zu verabschieden. Aber die Menschen hinter dem Beruf „Sachbearbeiter“ sind unverzichtbar! Sie, ihr Wissen über Rechtsanwendung und Verwaltungsprozesse sowie ihre Erfahrung werden gebraucht, um die Digitalisierung in den Verwaltungen voran zu bringen. Nach den vielen Jahren der Bemühungen mit Horden von externen Digitalisierungsberatern dürfte Allen inzwischen klar sein, dass es so nicht geht und man auch internes Know-how dringend braucht, um die deutsche Verwaltung zu digitalisieren.
Der Beruf des Sachbearbeiters stirbt – wenn man ihn versucht so zu erhalten, wie er Jahrzehntelang ausgeübt wurde. Er wird aber maximal aufgewertet, wenn er mit der Zeit geht.
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