In den Führungsetagen fehlen Nerds und Unruhestifter
Der Fachkräftemangel spitzt sich zu. Das ist das Ergebnis des aktuellen Fachkräftereports des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), für den rund 23.000 Unternehmen befragt wurden. 51 Prozent können derzeit offene Stellen zumindest vorübergehend nicht besetzen, was ein enormer Anstieg gegenüber Herbst 2020 bedeutet, als lediglich 32 Prozent der Unternehmen von Fachkräfteengpässen berichtet hatten. Die größten Lücken meldeten mit 66 Prozent die Betriebe der Bauwirtschaft.
Auch in der Immobilien- und Wohnungswirtschaft sieht es nicht gut aus: Laut der aktuellen Personalentwicklungsstudie von InWIS Forschung & Beratung im Auftrag der EBZ Business School vom Herbst 2021 klagen 46 Prozent der Unternehmen, dass sie speziell für technische Bereiche keine Fachkräfte finden können. Am dringendsten werden technische Führungskräfte gesucht, die Spezialwissen haben, aber auch einen generalistischen Blick auf die energetischen, bautechnischen und baurechtlichen Anforderungen, die durch immer mehr digitale Technologien in Gebäuden erwachsen. Hier sagen sogar 81 Prozent der Unternehmen, dass der Arbeitsmarkt dieses Personal nicht hergebe.
Welche Kompetenzen braucht die Digitalisierung?
Ein Basisproblem der digitalen Transformation in der Branche macht eine aktuelle Erhebung von Deloitte zum "Zielbild 2025" von deutschen Wohnungsunternehmen deutlich. Zwar wurden in den befragten 21 Unternehmen seit der letzten Studie Prozesse und Korrespondenzen weitestgehend standardisiert und digitalisiert, so das Ergebnis. Auch Mieter-Apps und Mieterportale gehören mittlerweile zum Alltag. Allerdings seien die Digitalisierungsmaßnahmen lediglich punktuell und bedingt durch die Pandemie umgesetzt worden, so die Studie. Was in den Unternehmen fehle, sei eine Digitalisierungsstrategie.
Ein Blick in die Führungsetagen deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, liefert möglicherweise Hinweise darauf, warum das neue Kundenmanagement-Tool oft als Emblem der eigenen Fortschrittlichkeit präsentiert wird, die Digitalisierung aber letztlich Stückwerk bleibt: 20 Prozent der Führungskräfte sind über 60.
"In Kinderzimmern findet sich mehr digitale Kompetenz als in den Chefetagen der Wirtschaft", so der vielzitierte Ökonom Thomas Straubhaar. Er mahnt in der "Welt", vor allem von Eigentümern geführte mittelständische Unternehmen unterschätzten häufig Tempo und Intensität des digitalen Wandels. Um frühzeitig Chancen ergreifen und Risiken vermeiden zu können, müsse auf deutschen Chefetagen bei der Digitalisierungskompetenz aufgerüstet werden – und zwar sofort und durch junge Digital Natives. "Wieso nicht knapp den Kinderzimmern entwachsene, für die neuen Welten der Digitalisierung brennende Nerds und Freaks rascher in den Vorstand berufen?"
Digitale DNA einschleusen
Nimmt man die aktuelle EBZ-Personalentwicklungsstudie als Blaupause, so ist in der deutschen Wohnungswirtschaft das Kind aber bereits in den Brunnen gefallen. Sie deckt nämlich auf, dass geeignete Nachfolger für die große Zahl von Führungskräften, die bis 2028 in Rente gehen, nicht in Sicht sind. Dabei wäre diese nachfolgende Managergeneration eine Chance, die dringend benötigte digitale DNA in die Branche zu schleusen.
Aber selbst wenn in den Unternehmen Einsicht und guter Wille vorhanden sind: Besagte IT-Nerds und Absolventen mit technisch-naturwissenschaftlichem Hintergrund, die als Katalysatoren der Digitalisierung gelten, sind auf dem globalen Arbeitsmarkt heiß begehrt. Sie gehen in der Regel nicht zu Unternehmen mit niedrigem Digitalisierungsgrad, in denen sie erst karges Land beackern müssten, um ihr Talent fruchtbar zu machen.
Zudem finden sie – laut einer aktuellen Studie zum Thema "Employer Branding" des European Real Estate Brand (REB) Institute und der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin – die Immobilienbranche "unattraktiv". Als einer der Hauptgründe gaben die befragten IT-ler und Informatiker an, die Branche sei generell konservativ und wenig aufgeschlossen für Neues. Auf einer Skala von eins (trifft zu) bis fünf (trifft gar nicht zu) bewerteten sie Kreativität und Innovationsfreudigkeit der Branche lediglich mit einer 4,0.
Attraktiv werden für Wegbereiter und Innovateure
An ihrem Image bei branchenfremden Absolventen ist die Immobilienbranche nicht ganz unschuldig, wie der Blick auf ihre Employer-Branding-Trends zeigt. Was das Thema Arbeitgebermarke angeht, hält sich die Wohnungswirtschaft nämlich auffallend zurück. In Employer-PR-Tools wie etwa dem Bewertungsportal Kununu oder dem Arbeitgeberwettbewerb "Deutschlands Beste Arbeitgeber" sind ihre Unternehmen kaum präsent. Dabei sehen 53 Prozent der in der DHIK-Studie befragten Unternehmen in der Steigerung der Arbeitgeberattraktivität mittlerweile den wichtigsten Ansatz, um junge "High Potentials" anzuziehen.
Gerade bei potenziellen Game Changern könnte die Branche mit einer gezielteren Außenkommunikation viele Punkte machen, denn sie ist innovationsfreudiger als ihr Ruf. "Während die neuesten Entwicklungen vieler Großkonzerne ein positives Medienecho oft nicht nur in der Fachpresse erfahren, entfalten die Neuentwicklungen der Wohnungswirtschaft häufig keine vergleichbare Breitenwirkung. Dabei entwickeln wir durchaus supermoderne, noch nie dagewesene Kundenerfahrungen", so Mirko Ebbers, zuständig für Digitalisierung und Innovation bei der LEG Management GmbH.
"Die Immobilienwirtschaft hat im Vergleich zu vielen der sehr bekannten Marken relativ wenig Sichtbarkeit für Bewerberinnen und Bewerber ohne konkreten Immobilienbezug", Mirko Ebbers, LEG Management GmbH.
Er muss es wissen: Der promovierte Mathematiker war vor seinem Einstieg bei der LEG in verschiedenen Funktionen bei EON und der ERGO GmbH tätig. Ebbers ist also einer der Quereinsteiger, die frische Ideen, branchenübergreifende Ansätze und eine unverkrampfte Herangehensweise an das Thema Digitalisierung in die Führungsetagen bringen könnten, die man hier aber nur selten antrifft.
Generalisten und Weitblicker sind im Kommen
Nichtsdestotrotz tut sich an den Hochschulen doch einiges, um das traditionelle Silo-Denken der Branche aufzubrechen, und das stimmt hoffnungsvoll. Viele "MBA Real Estate"-Studiengänge, wie der an der Universität Regensburg oder an der Hochschule Biberach, haben mittlerweile einen generalistischen Ansatz und stellen einen interdisziplinären Dialog und Führungsstil in den Fokus. Auch der Masterstudiengang "Real Estate and Leadership", der 2017/18 an der HSBA Hamburg School of Business Administration gestartet ist, legt einen Schwerpunkt auf Interdisziplinarität und gewerkeübergreifendes Management. Und die EBZ Business School bietet Teilnehmern spezialisierter Studiengänge ab 2022 die Möglichkeit zu einem zusätzlichen Studium Generale.
Es spricht sich also herum, dass Digitalisierung nicht mit schicker Software beginnt, sondern mit Offenheit und der entschlossenen Haltung des Top-Managements. Die Fähigkeit, über den Tellerrand zu schauen, Unternehmenskultur zu ändern und Mitarbeiter in neue Prozesse zu integrieren, ist ebenso wichtig wie Digitalisierungskompetenzen an sich.
"Für die Weiterentwicklung der wohnungswirtschaftlichen Kernprozesse ist es entscheidend, die Mitarbeiter für das agile Miteinander auszubilden. Digitalisierung und der digitale Wandel muss von der Geschäftsführung ausgehen und im Leitbild verankert und gelebt werden", bringt Matthias Herter, Vorsitzender der Geschäftsführung der Meravis Immobiliengruppe, es auf den Punkt.
Es gibt noch viel zu tun in Sachen digitaler Unternehmenskultur in der Immobilienbranche. Bleibt zu hoffen, dass der Führungsnachwuchs, der diese Herausforderung schultern kann, rechtzeitig in den Startlöchern steht – und dass er nicht nur von den Real-Estate-Schulen kommt.
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