Es gab Gutes und Schlechtes in der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung, es gab Überflüssiges und manches gab es gar nicht. Nun, wenigstens gab es - sieht man von dem Hin und Her in der Corona-Gesetzgebung ab - auch keine Überraschungen. Ein wenig Gnade mag für den Zeitraum ab dem Frühjahr 2020 angebracht sein, da war plötzlich nichts mehr wie es vorher war, der Ausnahmezustand traf auch die Regierung. Aber sehen wir uns die Themen im Einzelnen an.
Das Corona-Osterei
Ein im wahrsten Sinne des Wortes "Corona-Osterei" waren die "Ruhetage", die es vor Ostern 2021 geben sollte. Meiner persönlichen Meinung nach wäre es aus Pandemie-Sicht nicht verkehrt gewesen, einen kompletten Lockdown anzuordnen. Nur, zum einen war das gar nicht damit gemeint und zum anderen verstand auch niemand, was mit dem aus der Gastronomie entlehnten Begriff der Ruhetage arbeitsrechtlich anzufangen gewesen wäre. Dankenswerterweise wurden die Ruhetage noch vor ihrer Einführung gecancelled – eine mutige und richtige Entscheidung. Danke dafür.
Betriebliche Altersversorgung: Arbeitnehmer alleine gelassen
Erinnern Sie sich an das Betriebsrentenstärkungsgesetz? Der Arbeitgeber muss für Altzusagen bei Direktversicherung und Pensionskassen ab 2022 die durch Entgeltumwandlung eingesparten Sozialversicherungsbeiträge an den Arbeitnehmer zahlen – oder besser gesagt in die Altersversorgungsversicherung des Arbeitnehmers. Für sogenannte Neuverträge gilt das ja schon.
Gute Sache? Da kann man – aus verschiedenen Gründen – unterschiedlicher Meinung sein. Aber klar ist, wo der Haken an der Sache ist: Gerade Altzusagen haben bei Pensionskassen und Direktversicherungen noch hohe Garantiezinssätze. Aber was ist mit den 15 Prozent, die es ab 2022 zusätzlich geben soll, zu machen? Der Gesetzgeber hat vergessen, das zu regeln. Die Versicherer werden versuchen, neue (mit geringerem Garantiezins verbundene) Versicherungen zu verkaufen, jedenfalls aber werden sie zu verhindern wissen, dass die 15 Prozent in die bestehende Altversicherung einbezahlt werden können. Und wegen der 15 Prozent eigens eine neue Versicherung abschließen?
Betriebsräte modernisieren und Homeoffice ermöglichen nach Rezepten aus dem 20. Jahrhundert
Beim Betriebsrätemodernisierungsgesetz wollte so gar keine Freude aufkommen. Die so bezeichneten Vereinfachungen bei den Betriebsratswahlen in Kleinbetrieben machen die Wahlen komplizierter und teurer, virtuelle Sitzungen werden nicht in dem Maße zugelassen, wie sie Praxis sind und von allen Beteiligten eingefordert werden, und auch im Übrigen bleibt die Realität der "Industrie 4.0" unbeachtet, da Schriftform und Aushang bestehen bleiben, ebenso wie Präsenz-Betriebsversammlungen und Wahlurnen-Wahlen. Die Option der "qualifizierten elektronischen Unterschrift" wird - das war dem Gesetzgeber wohl zu kompliziert - ungenutzt bleiben.
Darüber hinaus gab es im Gesetz etliche überflüssige Regelungen wie insbesondere die Aufnahme der Mitbestimmung bei mobiler Arbeit in den Mitbestimmungskatalog des § 87 BetrVG. Überflüssig zum einen, weil das Betriebsverfassungsgesetz alles, was es zu mobiler Arbeit zu regeln gibt, ohnehin schon enthält. Zum anderen aber, weil es an der Praxis vorbeigeht: Eine Umfrage des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU) ergab, dass in 80 Prozent (!) der Unternehmen, die mobile Arbeit zulassen, diese bereits durch eine Betriebsvereinbarung geregelt ist. Und das noch bevor es das Gesetz gab.
Wenn man das (dann glücklicherweise auf Eis gelegte) "Homeoffice-Gesetz", welches einen Anspruch auf mobile Arbeit regeln sollte, betrachtet, wird deutlich, wie weit der Gesetzgeber der Praxis hinterherhinkt. Weit mehr als die Hälfte der Unternehmen gewähren bereits jetzt bis zu 50 Tage Mobilarbeit im Jahr; ein starkes Viertel der Unternehmen sogar 100 Tage und mehr. Der Entwurf des Mobile-Arbeit-Gesetzes sah 24 Tage im Jahr vor.
Vermeintliche Befriedung der Tarifvertragsparteien
Die Änderung des Tarifvertragsgesetzes mit der Einführung des "Mehrheitstarifvertrages" sollte Rechtsfrieden und Klarheit in die Tarifpluralität bringen. Statt ein eindeutiges (aber dann wohl verfassungswidriges) Gesetz zu formulieren, öffnete der Gesetzgeber ein Einfalltor für Klagen, mit denen sich die Rechtsprechung noch jahrelang wird beschäftigen können. Was ist eine "ernsthafte und wirksame Berücksichtigung" der sogenannten Minderheitengewerkschaft? Ist ein Streik der Minderheitengewerkschaft wirklich abgewandt? Wir können gespannt sein, wie diese Fragen beantwortet werden, wenn in den "üblichen verdächtigen" Branchen der nächste ernsthafte Tarifkonflikt entsteht.
Weiterhin in den Händen der erstinstanzlichen Gerichte: die Arbeitszeiterfassung
Zur Arbeitszeit gab es leider nichts Neues, das ist das wohl unrühmlichste Blatt dieser Legislaturperiode. Der EuGH entscheidet, dass die Erfassung aller Arbeitszeiten verpflichtend ist, aber dass dem Gesetzgeber Spielräume für Ausnahmen bleiben. Und was geschieht? Wirtschaftsministerium und Bundesarbeitsministerium lassen sogenannte Gutachten verfassen, die beide über die Anforderungen des EuGH hinausgehen (daher muss man den Gebrauch des Wortes "Gut"-achten hier kritisch sehen), aber dennoch nicht zu einer Lösung führen. Derweil sind die Arbeitgeber unsicher, ob und welche Hard- und Software sie anschaffen sollen und die erstinstanzlichen Gerichte spielen Ersatz-Gesetzgeber. Den Rechtsstaat hatte ich mir ein klein wenig anders vorgestellt.
Die Erlösung: Nach Jahrzehnten Richtigstellung im BGB
Erinnert sich noch jemand an die Zeit, in der dieses Gesetz wirksam war? Bei der Berechnung der Dauer der Kündigungsfristen sollten Betriebszugehörigkeitsjahre vor dem 25. Lebensjahr nicht mitgerechnet werden. Seit Jahrzehnten in jeder Textausgabe ein Appendix zu § 622 Abs. 2 S. 2 BGB, dass eben diese Regelung wegen der Rechtsprechung des EuGH nicht anzuwenden sei. Jahrzehnte des politischen Disputs und endlich, im Jahr 2019, wurde die Regelung richtiggestellt. Zwar versteckt, in einem Artikelgesetz irgendwo ganz hinten, wo keiner mehr liest, aber es ist tatsächlich passiert. Die kommenden Generationen von Arbeitsrechtlern und Personalern haben nun also einen gültigen § 622 BGB in ihrer Gesetzessammlung abgedruckt.
Ausblick
Am Ende einer jeden Legislaturperiode stehen wir zugleich kurz vor dem Anfang der nächsten. Wie es weitergehen wird, werden wir erst am späten Abend des Wahltages erahnen können und - je nach Ausgang der Wahlen - wenige Tage oder viele Monate danach etwas genauer wissen. Aber hoffen wird man dürfen: Auf vier Jahre ohne die sachlichen Fehler der vergangenen vier Jahre!
Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU) sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.
Lesen Sie dazu auch:
Bundestagswahl 2021: Was die Parteien arbeitsrechtlich vorhaben