Entwurf zur bAV-Reform nach der Sommerpause erwartet
Haufe Online-Redaktion: Auf der aba-Jahrestagung forderten Sie eine schnelle Klärung strittiger Fragen zur Reform der bAV. Doch die anwesenden Staatssekretäre wollen weitere Schritte in „großer Gelassenheit“ (Michael Meister, BMF) und „ohne hektische Entscheidungen“ (Yasmin Fahimi, BMAS) angehen. Können wir eine Reform der bAV noch in dieser Legislaturperiode erwarten?
Heribert Karch: Die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung versprochene Betriebsrentenreform muss zügig umgesetzt werden. Der Aufbau eines Kapitalstocks – anders als ein Umlagesystem – braucht faktisch ein Arbeitsleben Zeit, die uns davon läuft. Die Umsetzung neuer gesetzlicher Regelungen in die Systeme der betrieblichen Altersversorgung bedarf zudem einer gewissen Vorlaufzeit. Daher muss noch in diesem Jahr der parlamentarische Gesetzgebungsprozess abgeschlossen werden. Dies kann auch gelingen, wenn unmittelbar nach der Sommerpause ein Koalitionsentwurf in die parlamentarischen Prozesse gegeben wird. Wir erwarten einen Referentenentwurf noch vor der Sommerpause.
Haufe Online-Redaktion: Was müsste eine Betriebsrentenreform im Wesentlichen beinhalten?
Karch: Zum Ausbau der zusätzlichen Altersversorgung muss künftig der Fokus auf Institutionalisierung kollektiver Betriebsrente statt der bisher dominanten Individualisierung gelegt werden. Nur ein robustes Rentensystem mit einem dualen Kern aus gesetzlicher und betrieblicher Rente, aus Staat und Betrieb kann in Zukunft die Lebensstandardsicherung der Arbeitnehmer gewährleisten. Wenn bekannte Fehlanreize beseitigt werden und neue Anreize gesetzt werden, ist die Basis für einen Ausbau, auch mittels Tarifvertrags, gelegt.
Haufe Online-Redaktion: Inwieweit stützen die Ergebnisse der beiden Gutachten diese Forderungen?
Karch: Die Gutachten von Prof. Peter Hanau und Dr. Marco Arteaga einerseits und Prof. Dirk Kiesewetter andererseits bestätigen, was die aba schon seit Jahren vorträgt: Eine Vielzahl, vom Gesetzgeber über Jahrzehnte gesetzte Fehlanreize im Steuer- und Sozialversicherungsrecht verhindern den weiteren Ausbau der betrieblichen Altersversorgung und es lohnt nach Wegen zu suchen, den Sozialpartnern wieder Lust auf Betriebsrenten zu machen.
Die Gutachten zeigen auch: Wir hatten nie ein Erkenntnisproblem, es hat immer nur an Willen und Mut zur Reform gefehlt. Jetzt liegt der Ball im Feld der Bundesregierung, sie muss aus der Vielzahl von Reformvorschlägen den richtigen Reformmix gestalten.
Haufe Online-Redaktion: Wo sehen Sie Kritikpunkte in den Vorschlägen der Gutachten?
Karch: Ein kritischer Punkt des arbeitsrechtlichen Gutachtens könnte der Vorschlag werden, die reine Beitragszusage auch für bestehende Zusagen einzuführen. Hier werden die Sozialparteien sich mit Sicherheit noch zu Wort melden. Und nicht zuletzt gibt es dabei eine Fülle rechtlicher Probleme, etwa zum Thema Insolvenzschutz.
Problematisch wäre es auch, wenn aus den Vorschlägen beider Gutachten kein konsistenter Reformmix entstehen würde. So ist es undenkbar, die Tarifparteien, die Betriebsparteien oder auch die Unternehmen stärker in ein Engagement zu ziehen, solange die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Von zentraler Bedeutung sind dabei Maßnahmen, die Niedrigverdiener einfach, ausreichend und gezielt fördern, zum Beispiel durch ein von den Unternehmen leicht zu administrierendes Zulagenmodell.
Die Beseitigung von Sonderlasten durch Kranken-und Pflegeversicherung in der Leistungsphase sowie die Abschaffung der vollständigen Anrechnung auf die Grundsicherung würden auch helfen. Zudem sollte die Förderung gem. § 3 Nr. 63 EStG dem Prinzip der Lebenszeitdotierung folgen.
Haufe Online-Redaktion: Und das Gutachten von Professor Kiesewetter zur steuerlichen Seite?
Karch: Das steuer- und sozialrechtliche Gutachten würdigt die meisten Reformüberlegungen der letzten Jahre, auch die der aba, die konkreten Vorschläge bleiben aber weit hinter den Notwendigkeiten zurück. Die Restriktionen unter denen das Gutachten seitens des Ministeriums stand, sind klar erkennbar. Kostenneutralität einer Reform heute bedeuten aber Kostenlawinen für Transferleistungen in der Zukunft.
Haufe Online-Redaktion: Das Gutachten enthält ja immerhin den Vorschlag einer Förderung.
Karch: Ja, aber der vorgeschlagene Förderungsrahmen für ein neues, einfaches Zulagenmodell ist so knapp, dass bei den getroffenen Annahmen eine Monatsrente von circa 35 bis 42 Euro erzielt werden kann. Einen solchen Förderrahmen kann man den Sozialpartnern nicht ernsthaft als Option für Tarifverträge anbieten. Und ohne eine Verbesserung des § 3 Nr. 63 EStG fehlt ihnen ebenfalls der notwendige Spielraum.
Auftragsgemäß wird eine Symmetrie in der Beitragslast für Kranken- und Pflegeversicherung vorgeschlagen, aber nur den Kleinbetrieben ein Ausgleich zugebilligt. Hier fokussiert man auftragsgemäß auf KMU, wird aber sicherlich noch Debatten auslösen und auch auf Abgrenzungsprobleme stoßen.
Haufe Online-Redaktion: Was erwarten Sie nun von einer Regierung, die die betriebliche Altersversorgung fördern möchte?
Karch: Sozialpartner, Ministerien und aba gehören zur schnellen Klärung strittiger Reformfragen unverzüglich an einen Runden Tisch. Denn nur ein Modell, das die Sozialpartner auch wirklich gemeinsam nutzen wollen, verdient den Namen Sozialpartnermodell. Alle oben angesprochenen Punkte können und müssen auf den Tisch, schnell ausdiskutiert werden und in gesetzgeberischem Handeln münden.
Heribert Karch ist Vorstandsvorsitzender der aba Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung
Das Interview führte Katharina Schmitt.
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