"Alternative Mitarbeitervertretungen können sinnvoller sein als ein Betriebsrat"
Personalmagazin: Vereinzelt setzen Unternehmen auf eine alternative Mitarbeitervertretung anstelle des Betriebsrats. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen rechtlich?
Volker von Alvensleben: Zunächst ist zu sagen, dass eine alternative Mitarbeitervertretung eine Möglichkeit ist, um auf das Unternehmen zugeschnittene Arbeitnehmervertretungsrechte und -verlangen zu entwickeln. Das kann in der Praxis auch sinnvoller sein, als das Betriebsverfassungsgesetz, also das BetrVG, anzuwenden. Zwar ist das BetrVG allgemein gesprochen für den Betriebsfrieden in Deutschland sicherlich nötig. Das Gesetz enthält aber auch Bestimmungen, die in der Praxis für moderne Unternehmen schlicht ungeeignet sind. Das beginnt bereits bei der Definition des Betriebsbegriffs. Gerade in internationalen Unternehmen mit einer Matrixstruktur stellt sich oft die Frage: Was ist die Betriebsorganisation, für die ein Betriebsrat gebildet werden soll? Bei solchen Fragen hinkt das BetrVG der Zeit hinterher. Zudem enthält es politisch motivierte Regeln, bei denen man oft in der Praxis sagen muss, dass sie eher hinderlich sind und weder Betriebsrat, Mitarbeitern noch Arbeitgebern helfen.
Personalmagazin: Welche wären das?
von Alvensleben: Nehmen Sie zum Beispiel die Anhörung des Betriebsrats mit seinen Widerspruchsmöglichkeiten bei der Einstellung von Mitarbeitern. Diese Regelung bringt Sie praktisch in den seltensten Fällen weiter. Wenn der Betriebsrat aus welchen Gründen auch immer neue Mitarbeiter ablehnt, führt dies regelmäßig zu überflüssigen Verfahren. Das bringt erheblichen Unfrieden in die Belegschaft und kostet letztlich nur Geld. Nach meiner Wahrnehmung führt die gesamte Einstellungsmitbestimmung nach § 99 ff. BetrVG in der betrieblichen Praxis nicht zu mehr – ich sage mal – Gerechtigkeit oder dazu, dass Arbeitgeber Dinge anders gestalten.
Personalmagazin: Und dies ist aus Ihrer Sicht nicht die einzige, wenig hilfreiche Bestimmung?
von Alvensleben: Ein weiteres, ganz anderes Beispiel ist die Mitbestimmung bei technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, Verhalten und Leistung von Mitarbeitern zu erfassen oder zu kontrollieren. Nach der Rechtsprechung erstreckt sich das auf alles, was nur irgendwie dazu führt, dass über die Technik Mitarbeiter erfasst werden. Beispielsweise ist der Computer auf dem Schreibtisch eine solche Einrichtung, weil er registriert, wann Mitarbeiter ihn morgens ein- und ausschalten. Das alleine genügt, um als technische Einrichtung mitbestimmungspflichtig zu sein. In der heutigen digitalisierten Zeit führt das zu einem irrsinnigen Aufwand. Vor allem aber hilft das Ergebnis meist nicht weiter oder sorgt dafür, dass Arbeitnehmerrechte besonders geschützt werden. Da mag es zwar einige hilfreiche Bestimmungen geben. Insgesamt müsste die Vorschrift jedoch gründlich überarbeitet und der Zeit angepasst werden, weil sie so kaum vernünftig handhabbar ist.
Personalmagazin: Allerdings: Eine alternative Mitarbeitervertretung kann einen Betriebsrat nicht prinzipiell verhindern?
von Alvensleben: Ja, es genügen nur drei Personen, die es anders sehen. Wollen sie eine solche alternative Form nicht und führt dies dann dazu, dass der Betrieb einen Betriebsrat bekommt, dann hat die alternative Arbeitnehmervertretung parallel dazu keinen Sinn mehr.
Personalmagazin: Warum?
von Alvensleben: Weil der Betriebsrat nach BetrVG umfassende Rechte und Möglichkeiten hat. Der Sinn und Zweck einer Mitarbeitervertretung eigener Art wäre dann meiner Meinung nach obsolet. Vielmehr würde die Ausgangslage eher dazu führen, dass der Betriebsfrieden gestört wird. Es bestünde die Gefahr einer Konkurrenzsituation zwischen den Gremien. Insbesondere in größeren Unternehmen können wir auch ohne alternative Mitarbeitervertretung häufig beobachten, dass Betriebsräte bereits untereinander uneins sind. Das führt nicht selten dazu, dass sich unterschiedliche Gruppen bilden, die um die Gunst der Mitarbeiter konkurrieren.
Personalmagazin: Obwohl ein Betriebsrat möglich bleibt: Bei alternativen Vertretungen liegt gern der Gedanke nahe, dass ein Betriebsrat verhindert werden soll.
von Alvensleben: Solange sich ein Arbeitgeber – ich sage jetzt mal – auf ehrenwerte Weise bemüht, eine Alternative zum Betriebsrat einzuführen, finde ich es entgegen der allgemein landläufigen Meinung nicht politisch unkorrekt. "Ehrenwert" heißt in diesem Zusammenhang natürlich: nicht durch Drohung oder Beeinträchtigung im Sinne der Strafvorschriften des BetrVG. Ich finde es positiv, wenn ein Arbeitgeber ein so gutes Verhältnis zu seinen Mitarbeitern aufbauen möchte, dass ein Betriebsrat nicht nötig ist – weil das Vertrauensverhältnis groß ist, weil er sich bemüht, alle fair und korrekt zu behandeln und weil er versucht, "Verteilungsgerechtigkeit" – für die der Betriebsrat zuständig ist – über eine eigenständige Mitarbeitervertretung herzustellen. Wenn Arbeitgeber dafür das Einvernehmen mit den Mitarbeitern erzielen, ist es eher ein Beweis für die gute Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern, Mitarbeitervertretung und Arbeitgeber. Es funktioniert jedoch auch nur mit der Akzeptanz der Mitarbeiter. Sie müssen bereit sein, eine eigene Art der Arbeitnehmervertretung zu bilden. Ohne diese Voraussetzung geht es nicht.
Das Interview führte Michael Miller, Redaktion Personal.
Volker von Alvensleben ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Office Managing Partner bei DLA Piper in Hamburg.
Hinweis: Dies ist ein Auszug aus dem Interview "Nur drei dagegen genügen" aus Ausgabe 07/2016 des
Personalmagazins. Dort erfahren Sie im zweiten Teil des Interviews mit Volker von Alvensleben, was es bei der Einführung von alternativen Mitarbeitervertretungen rechtlich zu beachten gilt.
Hier können Sie die Ausgabe als App downloaden.
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