Digitalisierung muss sich hinten anstellen


Digitalisierung: Die Zeichen der Zeit nicht erkannt

Wie steht es hierzulande um die Digitalisierung? Nicht gut, wie unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller findet. Er fordert, dass die Bundesregierung endlich den Rotstift zur Seite legt und investiert.

Von 377 Millionen Euro in diesem Jahr auf nur noch 3,3 Millionen im kommenden: So soll laut einem Bericht das Budget für die Digitalisierung der Verwaltung aussehen. Digitalisierung eines Landes, eines Staates, die heute schon auf Armenhaus-Niveau steht: 2022 hat Deutschland mit dem DESI-Index zwar noch Rumänien, Bulgarien, Griechenland geschlagen – aber Irland, Malta, Spanien haben uns nach Angaben von Statista längst überholt. 2023, und noch mehr 2024 wird Deutschland aber Sitzenbleiber Nummer eins werden. 

Und das vor dem Hintergrund, dass ohne Digitalisierung sehr bald so gut wie nichts mehr laufen wird: Auf einen Bescheid der Bundesagentur auf Kindergeld sind sechs Monate Wartefrist nicht selten, Einträge in die Handelsregister lassen (örtlich unterschiedlich) schon über 60 Tage auf sich warten.

Wir wissen, dass nicht nur heute Fachkräfte im öffentlichen Dienst fehlen, sondern laut der Unternehmensberatung McKinsey im Jahr 2030 bis zu 730.000 – davon 140.000 IT-Fachkräfte. Richterinnen und Staatsanwälte 10.000 – das sind rund 40 Prozent des heutigen Bestandes.

Keine Fachkräfte keine Digitalisierung keine Fachkräfte …

Wenn man schon die Fachkräfte nicht bekommt, so hat es den Anschein, kann man auf die Digitalisierung auch gleich verzichten. Nur steckt ein riesiger Denkfehler dahinter: wird heute nicht in Automatisierung und KI investiert, wird der Fachkräftemangel morgen nur umso mehr ins Gewicht fallen.

Beispiel Kindergeld – eine lapidare Prüfung: Geburtsdaten des Kindes und Schul- oder Immatrikulationsbescheinigung. Ein einfacher Algorithmus (nicht einmal KI!) gleicht beides ab und erlässt den Bescheid. Sekundensache. Wenn, ja wenn alles funktioniert. Stattdessen: Man lädt die Unterlagen aufs Kindergeldportal – und hört ein Vierteljahr lang nichts. Erinnerung – wieder ein Vierteljahr nichts. Böses Schreiben per Fax (!) mit Androhung einer Untätigkeitsklage – drei Tage später kommen Bescheid und Geld. Verwaltungsverfahren Deutschland anno 2023.

Eintragung in die Handels- und Vereins-Register, Überprüfung von Satzungen, …. Alles noch händisch. Simple Algorithmen – ich möchte auch noch nicht einmal von "KI" sprechen – könnten das erledigen. Ausweise und Führerscheine online – sowohl Bürger wie auch Beschäftigte in den Ämtern würden entlastet werden. Also einfach nochmal zum Mitschreiben:

Automatisierung und KI sind das Gebot der Stunde, um morgen noch wettbewerbsfähig zu sein. Nein – mehr noch: handlungsfähig in der Zukunft.

Düstere Zukunftsaussichten

Wenn erst einmal ein Prozess im Arbeitsrecht durch drei Instanzen nicht 18 Monate, sondern fünf Jahre dauert, wird das unabsehbare Folgen – für Beschäftigte wie Arbeitgeber – haben. Wenn eine Einigungsstelle nicht "schon" nach zwei oder drei Monaten, sondern erst nach ein oder zwei Jahren eingesetzt werden kann, wird manch ein Unternehmen schneller zahlungsunfähig sein.

Und vergessen wir nicht: Dieses Jahr steuern wir in eine (leichte) Rezession, auch wenn Fachleute ein leichtes (!) Wirtschaftswachstum für 2024 erwarten. Rezession – das ist für die Bundesregierung offenbar das Zeichen dafür, private Arbeitgeber zu schröpfen.

Aber die Wirtschaft soll (?) leistungsfähig sein

Wie sonst kann man sich erklären, dass nolens volens den Arbeitgebern Initialaufwendungen für die elektronische Zeiterfassung von rund 405 Millionen Euro / laufend 44 Millionen zusätzlich zu bestehenden Systemen auferlegt werden (noch ist das Gesetz in Planung, aber der Entwurf lässt das klar erkennen). Erfüllungsaufwand für das "Betriebsrätemodernisierungsgesetz" rund 44 Millionen Euro, für die (missglückte) Überarbeitung des Nachweisgesetzes 280 Millionen Euro initial und 240 Millionen laufend (Berechnungen: BVAU). Wir haben's ja, und das Lieferkettensorgfaltsgesetz ist noch gar nicht genannt. Diese Beträge allein sind bereits höher als die Einsparungen, die durch den Rotstift bei der Digitalisierung entstehen.

Ich möchte mich mal so ausdrücken: Mit Freude würde die Wirtschaft die 374 gestrichenen Millionen zahlen, wenn dafür die Bürokratiemonster "Nachweisgesetz", "Zeiterfassung" und Lieferkettensorgfalt im Zaum gehalten würden!

Was wird aus dem Öffentlichen Dienst?

Der öffentliche Dienst leidet unter einem massiven Fachkräftemangel, besonders im IT-Bereich. Bereits heute fehlen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene rund 39.000 Fachkräfte in Informatik- und IT-Berufen. In den kommenden Jahren wird sich die Situation zuspitzen: Hochgerechnet auf die Personallücke im Jahr 2030 fehlen dem öffentlichen Dienst dann rund 140.000 IT-Fachkräfte. Insgesamt wird die Lücke an Vollzeitfachkräften im öffentlichen Dienst bei 840.000 liegen – so McKinsey-Studien.

Zum Vergleich: Aktuell sind etwa "nur" 360.000 Stellen nicht besetzt. Und es klemmt schon gewaltig! Und nochmal zum Mitschreiben: Ohne Automatisierung und KI wird nichts mehr gehen. Denn auch die privaten Arbeitgeber werden von den wenigen vorhandenen Fachkräften einige abschöpfen wollen, nein: müssen. Oder ist es der heimliche Plan der Bundesregierung, die Wirtschaft so weit nach unten zu drücken, dass alle Fachkräfte für den Öffentlichen Dienst verbleiben? Kann ich, will ich, mag ich mir nicht vorstellen.

Alles wegen gerade mal 370 Millionen Euro

Wir wollen mal vergleichen: Die Subventionen für Wärmepumpen haben 440 Millionen Euro betragen (mit dem Ergebnis, dass sich vor allem die Preise der Geräte explosionsartig entwickelt haben – denn nicht der Verbraucher, sondern der Staat zahlt's ja). Der Bundeshaushalt 2022 beträgt 495 Milliarden – wir sprechen also über, man möge es mir verzeihen, Peanuts: nicht mal 0,1 Prozent des Bundeshaushalts.

Was das alles mit Arbeitsrecht zu tun hat?

Vieles. Rechtsverweigerung vor Gericht durch zu lange Verfahrensdauern können bei Massenkündigungen ein Unternehmen schnell in die Insolvenz treiben. Unterlassene oder verzögerte Einigungsstellen können dramatische Kosten verursachen – nehmen wir ein Unternehmen mit 500 Beschäftigten, das den Kantinenpreis nur um 30 Cent anheben möchte, da reden wir im Jahr schon über 60.000 Euro (wohlgemerkt Zusatzbelastung, da in der Regel das Unternehmen ohnedies die Kantine schon bezuschussen wird). Oder man stelle sich ein Beschlussverfahren auf einstweilige personelle Maßnahme nach § 100 BetrVG vor, das erst in 24 Monaten abgeschlossen wird – Kosten sind ein Thema, Sinnhaftigkeit ein anderes! Oder Transferleistungen, die eine Transfergesellschaft erst zwölf Monate später erhält – also wohl nach deren Pleite!

Daher: Digitalisierung jetzt. Und weg mit dem Rotstift.


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.

Schlagworte zum Thema:  Digitalisierung, Arbeitsrecht, Fachkräftemangel