Pride Month: Können wir stolz sein?


Kaum Diversity im deutschen Arbeitsrecht

Der Juni ist international der "Pride Month", ein Aktionsmonat, in dem weltweit auf die Lage und Belange von lesbischen, schwulen, bi-, trans-, intersexuellen und queeren Menschen (LGBTIQ+) hingewiesen wird und in dem die LGBTIQ+-Community ihre politischen Forderungen in Sachen Gleichstellung an die Politik adressiert. Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller wirft einen Blick auf die Situation in Deutschland.

Aus arbeitsrechtlicher Sicht stellt sich eine ganze Reihe von Fragen an den Gesetzgeber, dem man zumindest in der jetzigen politischen Konstellation mehr Diversität zutrauen sollte als er umzusetzen gewillt ist. Traut er sich nicht? Merkt er es nicht? Oder verfolgt man ausschließlich populistische Ziele?

Vielfalt und Toleranz – ein Ja zum Spiegeln der Gesellschaft in den Betrieben

Nun also ist wieder der Pride-Month. Die Diversität wird hochgelebt. Das ist gut so, es gibt keinen Grund für ein Schatten- (oder wie in früheren Zeiten sogar Untergrund-) Dasein; Toleranz und Diversität haben noch nie jemandem geschadet und im Arbeitsalltag wird endlich "normal" damit umgegangen. Laut Statista (Umfrage 2020) fühlen sich rund 15 Prozent der Bevölkerung LGBTIQ+ zugehörig - bei rund 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland also über 7,5 Millionen Kollegen (ich verwende hier den ungegenderten Begriff, jedoch geschlechtsneutral und möchte damit ausdrücklich alle Menschen einbeziehen und die LGTBIQ+-Community ganz eindeutig nicht auf ein "*" Sternchen oder ":" Doppelpünktchen herabdiskriminieren).

Wir freuen uns als Arbeitgeber ausdrücklich über alle Beschäftigten, die zu uns finden. Auch die Thematik "Alter" rückt immer mehr in den Hintergrund, Erfahrung zählt (wieder). Nach der Schwerbehinderteneigenschaft wird ohnedies nicht gefragt, nicht nur im Bewerbungsprozess, sondern auch danach (was zu einer vermutlich recht hohen "Dunkelziffer" schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben führt, für die die Unternehmen Ausgleichsabgaben zahlen). Übrigens: auch Nationalitäten und Ethnien gehören dazu – ich arbeite in einem globalen Unternehmen, wo all das selbstverständlich ist.

Und das ist gut so, Diversity ist normal und eröffnet (unbewusst) neue Entscheidungshorizonte. Diversity und Vielfalt im Unternehmen spiegeln nun mal die Gesellschaft. Was anderes als genau das sollte richtig sein?

Augen zu und durch: das Betriebsverfassungsgesetz

Aber 7,5 Millionen Kollegen, die nach wie vor von der Politik kaum gesehen werden, oder wenn, dann im Wesentlichen (ohne dass dies ein Wortwitz sein soll) nur als Feigenblatt. So muss es eigentlich besonders verärgern, wenn der "Geschlechterk(r)ampf" im deutschen Arbeitsrecht "falsch spielt", obwohl er vordergründig eine so große Rolle spielt.

Noch "gerade so" schafft das Betriebsverfassungsgesetz den Spagat: § 15 BetrVG normiert "Das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, muss mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein…". Hat man keine grundsätzlichen Bedenken gegen Quoten (die ich habe, aber sei´s drum), scheint hier alles klar – angenommen es gibt 70 Prozent Beschäftigte des Geschlechts A, 30 Prozent des Geschlechts B, dann muss der Betriebsrat eben nach diesem Verhältnis aufgestellt sein (wobei rein mathematisch das Mehrheitengeschlecht immer ein wenig benachteiligt sein wird).

Leider … ist hier vergessen worden, dass "divers" seit 2018 in Deutschland als Geschlechtereintrag zugelassen wird. Passt das Gesetz noch? Nun, bei weiter Auslegung des Begriffs "das Minderheitengeschlecht" passt es noch: es gibt eben, nolens volens, immer zwei Minderheitengeschlechter. Setzt sich die Belegschaft im Beispiel zu 70 Prozent aus Geschlecht A, zu 28 Prozent aus Geschlecht B und zu 2 Prozent aus Geschlecht C ("divers") zusammen, dann ist in einem 9-köpfigen Gremium ein Vertreter "des einen Minderheitengeschlechts" C zu finden (das sind dann 11 Prozent statt 2 Prozent), drei des "anderen" Minderheitengeschlechts B (damit 33 Prozent) und fünf des (Mehrheiten-)Geschlechts A (also 55 Prozent - noch knapp in der Mehrheit). Vorausgesetzt es bewirbt sich überhaupt jemand des Geschlechts C….

Peinlich diskriminierend: Das FüPoG II

Anders sieht es allerdings nach dem (mittlerweile zweiten) Führungspositionengesetz aus. Es ist noch gar nicht so alt (aus 2021), kennt aber nur zwei Geschlechter. Mit Verlaub, das ist genau das, was dieses Gesetz eigentlich verhindern will: Diskriminierung.

Genauso § 6 des Bundesgleichstellungsgesetzes: "Es ist insbesondere unzulässig, Arbeitsplätze nur für Männer oder nur für Frauen auszuschreiben. Der Ausschreibungstext muss so formuliert sein, dass er alle Geschlechter in gleicher Weise anspricht. Sind Frauen in dem jeweiligen Bereich unterrepräsentiert, so sind sie verstärkt zur Bewerbung aufzufordern." Pride Month? LGBTIQ+? Völlige Fehlanzeige. Nur Männer und Frauen.

Noch ärger die Regelungen im HGB, § 289f, da gibt es nur Frauen: Festzulegen sind bei bestimmten Unternehmen "Zielgrößen für den Frauenanteil"  und auch die Zielgrößen der Führungsebenen eins und zwei unterhalb des Vorstandes/der Geschäftsführung müssen ausschließlich frauenbezogen angegeben sein (§ 76 Abs. 4 Satz 2 AktG). Ist es zu viel verlangt, hier die Angabe aller Geschlechter zu fordern?

Sinnvoll sind solche Angaben ohnehin nicht. Teils sind die Führungsebenen so gering besetzt, dass ein Abweichen von einer Person schon mal 10 Prozent Unterschied ausmachen kann. Und dann wird immer wieder vergessen, dass Unternehmen nur Spiegel der Gesellschaft sein können. Wenn in einem Technologieunternehmen vollmundig 30 Prozent Frauenanteil verlangt werden, vergisst man, dass in der westlichen Welt der Frauenanteil in technischen Studiengängen und in gewerblich-technischen Berufen gerade mal zwischen 7 und 9 Prozent liegt. Und man vergisst den war for talents – für 100 Stellen, die alle suchenden Unternehmen zusammen ausschreiben, sind nur 90 fachlich geeignete Bewerber vorhanden. Da nehme ich, was der Markt hergibt – und kann mir nicht noch leisten, dabei Quoten zu berücksichtigen. Oder die Stelle bleibt unbesetzt – was auch keinem nützt.

Pride Month. Ja, wir können stolz sein.

Ich bin stolz darauf, in einem Unternehmen beschäftigt zu sein, das Vielfalt lebt. Gerade eben wurden wir von einem großen deutschen Magazin auf Platz 19 der "Top Arbeitgeber Diversity" gerankt. Ohne große PR-Maschine übrigens. Einfach weil es normal ist, divers zu sein. Weil wir Beschäftigte suchen, die am besten zu einem Arbeitsplatz passen. Nicht mehr – aber auch nicht weniger. Und das ist gut so, und der Gesetzgeber könnte sich da etwas abschauen.


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.

Schlagworte zum Thema:  Gleichstellung, Diversity, Gesetzgebung, Arbeitsrecht