Arbeit 4.0: Deregulierungsbedarf ohne Ende?


Kolumne Arbeitsrecht: Arbeit 4.0: Deregulierungsbedarf ohne Ende?

Viel wird derzeit unter dem Schlagwort "Arbeiten 4.0" über die Arbeitswelt von morgen diskutiert. Dabei stehen selten rechtliche Fragen an erster Stelle. Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller bringt daher wichtige Hinweise aus der Arbeitsrechtspraxis in die Debatte ein.

Nachdem nun schon seit Jahren von "Industrie 4.0" gesprochen wird, musste es eigentlich verwundern, dass "Arbeit 4.0" überhaupt nicht diskutiert wurde – bis vor ein paar Monaten. Seitdem ist das Thema aber gewaltig im Kommen: DGFP-Kongress, das BMAS mit einem Grünbuch, und nächstes Jahr gar der Deutsche Juristentag (DJT). Die Reihenfolge ist dabei durchaus nicht zufällig: Die Praxis zeigt das Thema auf, die Politik nimmt sich dessen an, bevor sich dann die Theoretiker zu Wort melden. Nicht von ungefähr ruft das BMAS auch zum Dialog auf. Allerdings: Vielleicht ist schon das Weißbuch fertig, bevor der DJT tagt.

Arbeit 4.0: Praxisbezug statt Dogmatik

Gerade beim DJT ist sehr zu hoffen, dass ein pragmatischer und nicht dogmatischer Gutachter (besser noch, ein Gutachter-Team) mit viel Praxisbezug gewählt wird. Denn schon der Titel schreckt auf: "Digitalisierung der Arbeitswelt – Herausforderungen und Regelungsbedarf". Ich bin der festen Überzeugung: nicht Regelungsbedarf, sondern Deregulierungsbedarf wäre das richtige Wort.

Wenn wir einmal Revue passieren lassen, was Arbeit 1.0 bis 3.0 bedeutet ( ausführlich stellt dies das BMAS in seinem Grünbuch darwird klar: Beginnend mit der Industrialisierung waren Regelungen notwendig, um Arbeitnehmer zu schützen (1.0). Danach wurde die Sozialversicherung geschaffen (2.0), Nachfragemärkte entstehen und soziale Marktwirtschaft und Sozialpartnerschaft erwachsen (3.0). Aber in Zukunft (4.0) werden wir einen Angebotsmarkt haben. Die Beschäftigten – wir sprechen hier nicht mehr von der Generation Y, sondern schon von der Generation Z – werden selbstbewusst einfordern, was sie, wann sie und wie viel sie arbeiten. Industrie 4.0 ist das Vehikel, das ihnen dies ermöglicht. Denn das Phänomen, dass Arbeit und Freizeit ineinander verschmelzen, das BMAS nennt dies schon "Entgrenzung", wird durch neue Techniken möglich gemacht.

Beispiel Arbeitszeit: Deregulierung tut Not

Dass ein Grünbuch nicht genügt, sondern das Arbeitsrecht auch über Deregulierung angepasst werden muss, haben wir vom Bundesverband der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU) bereits gefordert. Nehmen wir ein Beispiel: die Arbeitszeit. Der neuen Generation wird "Work Life Balance" so wichtig sein, dass die Dauer und Lage der Arbeitszeit (nota bene: was ist Arbeit, was ist Freizeit?) selbst bestimmt wird.

Das hat einen Haken: Das starre Arbeitszeitgesetz passt da nicht mehr. Denn sich selbstbestimmt einen Tag oder eine Woche einzurichten, den Ablauf von Wetter, Freunden, Kindern abhängig zu gestalten – das kollidiert mit einer elfstündigen Ruhezeit oder einem Sonntagsarbeitsverbot. Mehr noch: Man braucht keine seherischen Fähigkeiten zu haben, um zu erahnen, dass diese Generation den Arbeitgebern die Arbeitszeiten vorgeben wird.

Wenn ich vor diesem Hintergrund nochmal nachdenke, brauchen wir vielleicht doch ein paar Regelungen zur Arbeitszeit – zum Schutz des Arbeitgebers. Im Ernst: Wir brauchen nicht mehr Regelungen, sondern Gesetze, die ein Zugehen auf diese Generation erlaubt – Deregulierung also.

Klare Regelungen auch bei der Mitbestimmung

Zur Thematik "Deregulierung" passt auch § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz. Danach hat der Betriebsrat bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen mitzubestimmen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts reicht dabei die Geeignetheit bereits aus, auf die Bestimmung kommt es gar nicht an. Nicht, dass ich mich hier falsch ausdrücke: Ich bin für die informationelle Selbstbestimmung und gegen ziellose Überwachung.

Wenn dieser Mitbestimmungstatbestand jedoch ernst genommen wird, dann ist das ganze Leben und jedes kleine Helferlein mitbestimmt: elektronischer Schlüssel, PC, das Klimagerät im Büro, Smartphone, elektronische Uhren, Lichtschalter am Bus, Auto, Navigationsgerät und welche "Gadgets" uns noch alle das Leben und Arbeiten leichter machen werden. Dann wäre doch ein klares datenschutzrechtliches Verbot der Auswertung mit Erlaubnisvorbehalt durch eine Betriebsvereinbarung oder ein Einverständnis besser. Das würde Unternehmen in Deutschland nicht von der Einführung wichtiger elektronischer Hilfsmittel abhalten und sie lediglich bei der Absicht der Leistungs- oder Verhaltenskontrolle deutlich einschränken. Damit könnten Betriebsräte wie auch Arbeitgeber und Beschäftigte gut leben.

Fazit: Bei der Debatte alle mitnehmen

Wie sagt das BMAS so schön: "Wir stehen am Beginn neuer Aushandlungsprozesse zwischen Individuen, Sozialpartnern und dem Staat." Ich glaube:  Staat und Sozialpartner müssen dabei sehr sorgsam vorgehen, um die jeweilige "Kundschaft" nicht zu verlieren und zu gewährleisten, dass sie beim Aushandlungsprozess auch wirklich dabei bleibt. Denn das hielte ich nach wie vor für wichtig.


Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BvAU) blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.

Schlagworte zum Thema:  New Work, Digitalisierung, Arbeitsrecht