Kommentar: Bericht des Rats der Arbeitswelt ohne Nutzwert

Der vom Bundesarbeitsminister einberufene Rat der Arbeitswelt soll die Politik, die betriebliche Praxis und die Öffentlichkeit regelmäßig als unabhängiges Expertengremium zum Wandel der Arbeitswelt informieren und beraten. Am 18. Mai 2021 wurde der erste Bericht veröffentlicht. Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen, hält das Ergebnis in seinem Kommentar für wenig ausgewogen.

Zunächst vorab: wir haben es nicht mit einem politisch neutralen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse auswertenden Bericht des Rats der Arbeitswelt zu tun. Vielleicht mag man das nicht einmal am Kreis derer, die den Rat besetzen, festmachen. Feststellungen wie "Mitbestimmung ist zu stärken" oder Worte wie die "prekäre Scheinselbstständigkeit" zeigen hier eine klare politische Richtung auf. Damit sei nicht gesagt, sie seien falsch oder richtig – nur eben eines sind sie nicht: neutral.

Weiter Bogen – aber Wichtiges bekommt nicht seinen Stellenwert

Der Bogen ist weit gespannt: Erhebliche Teile des Berichts widmen sich der Corona-Situation, die Berufsbildung, Gesundheit und Sozialversicherung werden ebenso umfasst. Ein besonderer Fokus ist – berechtigterweise – auf die "berufliche Pflege" geworfen worden – so umfassend allerdings, dass man meinen könnte, sonst gebe es keine Zukunftsthemen für die Arbeit. Für den Praktiker ist aber auch besonders wichtig, was sich arbeitsrechtlich im Bericht findet – oder fast noch spannender: was sich nicht darin findet.

Betrieb, mobile Arbeit, Kommunikation und Digitalisierung

Der Betrieb ist und bleibt ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die Belegschaften – in rechtlicher wie sozialer Hinsicht. "Die betriebliche Kommunikation, sozialen Netzwerke und gegenseitige Unterstützung sowie die Führungs- und Unternehmenskultur sind entscheidende Stellschrauben für die Leistungs-, Produktivitäts- und Innovationsfähigkeit von Betrieben.“ Das wird durchaus richtig festgestellt. Aber dann bleibt der Rat auf dem ersten Drittel der Strecke stehen.

Die Realität - durch Corona befördert, aber nicht verursacht - wird sein, ob man mag oder nicht, dass erhebliche Teile der Belegschaften einen erheblichen Anteil der Arbeitszeit nicht mehr im physischen Betrieb, sondern – in mobiler Arbeit – im virtuellen Betrieb arbeiten werden. Wie wird hier das soziale Miteinander gepflegt? Hier findet sich kein Wort zu dringend zu legitimierenden virtuellen Betriebsversammlungen, elektronischen Betriebsratswahlen etc.

Es wird richtig erkannt, dass gute Kommunikation und Vernetzung einen Wettbewerbsvorteil darstellen, aber kein Wort darüber verloren, dass der Einsatz neuer Technologien, auch soweit sie nicht zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle eingesetzt werden sollen, durch § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitunter erheblich erschwert werden, weil das Bundesarbeitsgericht fälschlicherweise nicht mit "Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen" gelesen haben will, sondern contra legem das "bestimmt" durch "geeignet" ersetzt hat.

Darüber hinaus klingt es ein wenig merkwürdig, wenn es heißt: "Dazu gehört auch die Ausstattung der […] Betriebs- bzw. Personalräte mit technischen Kommunikationsmitteln.“ Das ist sachlich richtig. Aber: Für was, wenn Betriebsversammlungen nach wie vor in Anwesenheit erfolgen müssen und virtuelle Betriebsratssitzungen nur die Ausnahme sein sollen?

Ebenfalls recht unmittelbar zeigt sich, dass in dieser Folge der Rat dem nun jüngst beschlossenen "Betriebsrätemodernisierungsgesetz" den Rücken stärken wollte: "Um die Sozialpartnerschaft zu stärken […], bedarf es auch der Sicherstellung zeitgemäßer digitaler Kommunikationswege in die Betriebe […]. Hierfür müssen Zugangsrechte der Sozialpartner effektiv ausgestaltet […] werden. In diesem Kontext ist auch zu prüfen, inwieweit die Ausgestaltung weiterer Mitbestimmungsrechte angesichts der voranschreitenden Digitalisierung erforderlich ist.“ Nun, der zweite Teil ist ja nun vollbracht, neuer Kataloggrund der Mitbestimmung in § 87 BetrVG zum "mobilen Arbeiten" und grenzenlose (?) Gestellung eines "Sachverständigen" bei Einführung von "künstlicher Intelligenz" sind frisch ins Gesetz aufgenommen worden.

Bei den Zugangsrechten der Sozialpartner – gemeint sind die Gewerkschaften – ist noch nichts passiert. Gerade dies dürfte unbedingt regelungsbedürftig sein und zwar sehr konkret: Während im "wirklichen Leben" ein Beschäftigter sich nämlich des Zugriffs der Gewerkschaft dadurch entziehen kann, dass er zum Beispiel ein Flugblatt nicht annimmt, sieht das bei E-Mails schon ganz anders aus, der einfache "Entzug“ von einer nie und nicht gewollten Information ist schlicht nicht möglich. Und auch für den Arbeitgeber macht es einen Unterschied, ob 1.000 Beschäftigte ein Flugblatt während der Mittagspause lesen oder während der Arbeit auf dem Bildschirm. Hierzu finden wir an Vorschlägen des Rates nichts. Was klar fehlt, ist die Empfehlung der gesetzlichen Regelung, dass (a) alle Beschäftigten nach wie vor das Recht auf negative Koalitionsfreiheit genießen, und (b) sämtliche gewerkschaftlichen Informationen ausschließlich außerhalb der Arbeitszeit zu lesen sind. Und das muss ein Arbeitgeber auch überprüfen können.

Arbeitnehmende oder Selbstständige: Abgrenzung zurück ins Gesetz?

Politisch wird es mit der Feststellung "Scheinselbstständigkeit ist als missbräuchliche Erwerbsform einzudämmen". Das ist erst mal grundfalsch, denn "Scheinselbstständigkeit" gibt es arbeits- und sozialversicherungsrechtlich nicht. Entweder ist man Arbeitnehmender oder eben selbstständig.

Die Rechtsprechung hat hier über Jahrzehnte ein klares, nachvollziehbares Reglement entwickelt. Dass dieses nicht nur praktikabel, sondern auch nützlich ist, zeigt etwa die Tatsache, dass eine gesetzliche Regelung vor vielen Jahren normiert wurde – und sehr rasch wieder eliminiert wurde.

Gerade weil es sich um Einzelfälle handelt, ist die Einzelfallbewertung so wichtig!

Lernen – ein Leben lang!

Lebenslanges Lernen ist richtigerweise als eines der bedeutsamsten Felder aller Akteure benannt. Nahezu jeder der Feststellungen des Rates in diesem Kapitel kann man eigentlich beipflichten. Auch, dass Digitalisierung und – in vielen Branchen – die Transformation Betriebe wie Beschäftigte vor enorme Herausforderungen stellt. Nur gerade diesbezüglich mangelt es aber auch an einer klaren Forderung: Die Verpflichtung der Beschäftigten, Weiterbildungsangebote auch tatsächlich anzunehmen.  Das fehlt schlicht, ist aber für die Betriebe in der Praxis enorm wichtig.

Richtigerweise kommt der Rat zum Schluss, dass für den Umfang der Ausbildung nicht der Staat zuständig ist: "Zunächst sollten […] die Sozialpartner innerhalb der verschiedenen Branchen an Lösungen für eine Stärkung des Ausbildungsplatzangebots arbeiten." Allerdings, um den Subsidiaritätsgrundsatz im gleichen Absatz noch zu relativieren, mit: “In Branchen, in denen die sozialpartnerschaftlichen Strukturen nicht ausreichend ausgeprägt sind, um zu Lösungen zu kommen, und/oder in Branchen, in denen es bestimmte Voraussetzungen oder Anreize gibt, die ausbildende Unternehmen gegenüber nichtausbildenden benachteiligen (wie es z. B. in der Altenpflege der Fall war), sollten gesetzliche Lösungen greifen.“ Um dann politisch beliebig das auslegungsbedürftige Merkmal "nicht hinreichend ausgeprägte Sozialpartnerschaft" zu nutzen und auszufüllen. Hier kann man nur sagen: "Finger weg" von diesem Thema!

Fazit: keine wichtigen Weichenstellungen

Der Bericht stärkt den derzeitigen Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil in den Forderungen, die er proklamiert. Wichtige Weichenstellungen für die Zukunft im Bereich Arbeits- und Sozialversicherungsrecht sucht man als Empfehlungen allerdings vergeblich – mit Ausnahme des "Fokus: berufliche Pflege". Der Rat hätte sich einen Gefallen getan, sich auf diesen Fokus zu beschränken, statt eine Reihe anderer Felder zwar zu behandeln, aber keine wirklich nützlichen Empfehlungen zu geben. Aber vielleicht klappt das ja im nächsten Bericht: fokussiert, zukunftsgerichtet, und – wirklich – neutral.


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Schlagworte zum Thema:  Sozialrecht, Scheinselbständigkeit, Pflege, Politik