Diskriminierung wegen Mindestkörpergröße für Polizisten gerechtfertigt
Mit 1,56 Meter sei sie untauglich für den Polizeidienst, musste eine Bewerberin erfahren. Ob Mindestgröße oder Altersgrenze - immer wieder beschäftigen festgelegte Einstellungsvoraussetzungen für bestimmte Berufsgruppen die Gerichte. So hatte beispielsweise das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden, ob Piloten mit 65 Jahren zu alt fürs Cockpit sind. Letztlich gilt immer, dass Grenzen durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sein müssen, damit sie keine unzulässige Ungleichbehandlung darstellen.
Eignungsprüfung bestanden, an der Körpergröße gescheitert
Im konkreten Fall vor dem VGH Hessen hatte die junge Frau im Fragebogen zu ihrer Bewerbung in der Rubrik "Körpergröße" angegeben, sie sei 160 cm groß, was der Eintragung in ihrem Personalausweis entsprach. Beim Wiederholungsversuch im Mai 2015 bestand sie die psychologische und körperliche Eignungsprüfung mit überdurchschnittlicher Punktzahl. Bei der anschließenden polizeiärztlichen Untersuchung wurde ihre Körpergröße mit 156 cm gemessen. Die Polizeiakademie Hessen teilte ihr daraufhin per Bescheid mit, dass ihre Bewerbung "nicht weiterverfolgt" werden könne, da ihre Körpergröße von nur 156 cm zur Polizeidienstuntauglichkeit führe.
AGG: Mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts?
Die abgelehnte Bewerberin wehrte sich gegen ihre Nichteinstellung mit der Argumentation, die polizeiliche Messung sei fehlerhaft gewesen. Zudem machte sie geltend, dass ihre Ablehnung gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG verstoße und eine unzulässige mittelbare Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts nach Art. 3 Abs. 3 GG in Verbindung mit den Regelungen des AGG darstelle. Letzteres begründete sie damit, dass die Mindestgröße in der Polizeidienstvorschrift 300 (PDV 300) Männer und Frauen prozentual in stark unterschiedlichem Maß vom Zugang zum höheren Dienst abhalte.
Dem war nun der VGH Hessen nicht gefolgt. Das Gericht stellte in seinem Beschluss fest, dass die Körpergröße der Frau von einer Polizeiärztin mit 156 cm gemessen wurde und die Feststellung, die Bewerberin sei polizeidienstuntauglich, somit den Vorgaben der PDV 300 entsprach. Zwar erkannte auch der VGH eine mittelbare Diskriminierung von Frauen nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 GG, § 3 Abs. 2 AGG. Die faktische Benachteiligung von Frauen durch die Festlegung auf eine Mindestkörpergröße von 1,60 Meter ergebe sich aus dem Umstand, dass hierdurch wegen der statistischen Verteilung der Körpergröße verhältnismäßig mehr Frauen als Männer betroffen seien, die nicht in den Polizeidienst eingestellt werden können.
AGG-Verstoß: Diskriminierung sachlich gerechtfertigt
Allerdings stellte der VGH auch fest, dass diese Benachteiligung durch eine Festlegung der Mindestgröße von 1,60 Meter sowohl verfassungsrechtlich nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 GG, als auch einfachgesetzlich nach § 3 Abs. 2 AGG, § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt sei. Er stützte damit die Vorinstanz. Diese stellte bereits fest, dass "die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit der Bewerber für den Polizeivollzugsdienst insbesondere den körperlichen Einsatz gegen Personen und die Anwendung unmittelbaren Zwangs zulassen muss". Es sei offenkundig, dass hierfür neben erlernbaren Kenntnissen der Anwendung von Halte- und Hebeltechniken gewisse körperliche Mindestvoraussetzungen erfüllt sein müssten, um diese erfolgreich gegenüber Personen anwenden zu können.
Polizeitauglichkeit: Weiter Beurteilungsspielraum eingehalten
Die Verfassung gebiete es jedoch nicht, entschied der VGH, "Frauen mit einer Körpergröße einzustellen, welche den polizeilichen Anforderungen nicht gerecht wird. Daher darf die Mindestkörpergröße für weibliche Bewerber nicht unterhalb des Maßes liegen, das polizeipraktisch zwingend erforderlich ist." Und dieses Maß hatte das Hessische Innenministerium, dem dabei ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht, in der PDV 300 insofern festgelegt, dass eine Polizeitauglichkeit erst ab einer Größe 1,60 Meter vorliege.
Diese Wertung hatte der VGH nicht zu beanstanden. Denn bei einer Körpergröße eines Polizisten von 1,60 Meter sei nach der statistischen Verteilung der Körpergröße das Gegenüber durchschnittlich zehn oder - bei Männern - sogar 20 cm größer. "Vor diesem Hintergrund ist nach Überzeugung des Senats die Wertung nicht zu beanstanden, dass polizeiliche Halte- und Hebeltechniken nur dann hinreichend effektiv ausgeübt werden können, wenn der oder die Bewerberin nicht noch kleiner als 1,60 m ist", entschieden die VGH-Richter.
Hinweis: VGH Hessen, Beschluss vom 25. August 2016, Az. 1 B 976/16; Vorinstanz: VG Darmstadt vom 24. März 2016, Az. 1 L 444/16.DA
-
Wann Urlaubsverfall und Urlaubsübertragung möglich sind
8.7224
-
Entgeltfortzahlung: Wenn unterschiedliche Krankheiten aufeinander folgen
8.579
-
Zusatzurlaub bei Schwerbehinderung von Arbeitnehmenden
6.979
-
Wann müssen Arbeitgeber eine Abfindung zahlen?
6.3762
-
Zulässige Differenzierung bei Inflationsausgleichsprämie
5.408
-
Urlaubsanspruch richtig berechnen
4.253
-
Wie Arbeitgeber in der Probezeit kündigen können
4.216
-
Nebenjob: Was arbeitsrechtlich erlaubt ist
3.661
-
Arbeitszeitkonto: Diese rechtlichen Vorgaben gelten für Arbeitgeber
3.311
-
Wann Arbeitnehmende einen Anspruch auf Teilzeit haben
3.2291
-
"Ethik kann helfen, die Arbeitskultur in Unternehmen zu stärken"
20.12.2024
-
Betriebsrat wegen Drogenkonsums gekündigt
19.12.2024
-
Gibt es ein Recht auf Nichterreichbarkeit im Urlaub?
18.12.20244
-
Die wichtigsten BAG-Urteile des Jahres 2024
17.12.2024
-
Unwirksame Versetzung aus dem Homeoffice
16.12.2024
-
Überstundenregelung diskriminiert Teilzeitbeschäftigte
12.12.2024
-
Keine Inflationsausgleichsprämie für Langzeiterkrankte
11.12.2024
-
Mindestlohn für Azubis erhöht sich 2025
10.12.20247
-
Urlaubsabgeltung bei fortdauernden Beschäftigungsverboten
09.12.2024
-
Beim Ehrenamt sind arbeitsrechtliche Fehleinschätzungen vorprogrammiert
05.12.2024