Spenden von Urlaub und Arbeitszeit an Arbeitskollegen

Können Beschäftigte Urlaubstage und Überstunden an Kollegen spenden? Lässt sich Arbeitszeit auf ein Arbeitszeitkonto überweisen wie Geld auf ein Bankkonto? In Frankreich ist das möglich. Funktioniert das auch in Deutschland?

Fälle wie der eines Außendienstmitarbeiters in einem Berliner Maschinenbauunternehmen kommen immer wieder vor. Als sein Sohn im Sommer 2017 schwer krank wurde, verbrachte der Vater jede freie Minute bei ihm. Doch der Zustand des an einer Herzmuskelschwäche leidenden 18-Jährigen verschlechterte sich zunehmend. Der in Lebensgefahr schwebende Junge musste in eine weit entfernte Spezialklinik verlegt werden. Der Vater zog in einen Wohnwagen auf einem Campingplatz, um bei seinem Sohn sein zu können. Irgendwann waren sein Resturlaub und seine Überstunden aufgebraucht. Er fragte nach unbezahltem Urlaub. Doch sein Chef und die Kollegen zeigten sich solidarisch. Sie wollten verhindern, dass zu den Sorgen der Familie auch noch finanzielle Nöte hinzukommen, wenn das Einkommen des Familienvaters wegbricht.

Innerbetriebliche Zeitspenden, um Notsituationen zu überbrücken

In Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat entstand die Idee, die gut 100 Mitarbeiter zu bitten, einen Teil ihrer Überstunden zu spenden. Insgesamt kamen auf diese Weise stolze 930 Stunden zusammen. Damit konnte der Mann 133 Tage frei nehmen.

Auch zu Beginn der Corona-Krise gerieten viele Eltern in ein Dilemma, wie sie angesichts von Schul- und Kitaschließungen ihre Kinder betreuen sollen. Urlaub, Überstunden und Sonderurlaub waren auch hier die ersten Lösungsansätze. Das klappt für eine Weile, kommt aber rasch an seine Grenzen. In einigen Unternehmen wurde daher ebenfalls die Idee entwickelt, für die betroffenen Kollegen Zeit zu spenden. Mitarbeiter verschenkten Arbeitsstunden oder Urlaubstage an Kollegen mit Zeitbedarf.

Sind Spenden von Überstunden und Urlaubstagen rechtlich möglich?

Das Versicherungsunternehmen DEVK ist eines der Unternehmen, die das 2020 erfolgreich praktiziert haben. Mitarbeiter konnten Arbeitsstunden und Überstunden spenden, außerdem war es möglich, auf einen Teil seiner Tantiemen zu verzichten und diese als Zeitwert zu spenden. Alle gespendeten Stunden flossen in einen Pool, aus dem dann die Zeit für die Mitarbeiter mit Kinderbetreuungsproblem geschöpft wurde. Im Modell der DEVK waren alle Stunden gleich viel wert, egal ob vom Azubi gespendet oder vom Abteilungsleiter.

Doch geht das aus rechtlicher Sicht überhaupt, Arbeitszeit oder Urlaubstage zu spenden? Handeln die Unternehmen, die das praktisch umsetzen, in einer rechtlichen Grauzone? Kann der doppelt arbeitende Kollege einen anderen freistellen?

Gesetzliche Regelung in Frankreich zu Spenden von Urlaubstagen

Frankreich ist uns hier einen Schritt voraus. Dort existiert bereits seit Jahren eine gesetzliche Regelung, die es ermöglicht, auf Urlaubstage zu verzichten und sie an Kollegen weiterzugeben. Sinn der dortigen Regelung sind genau solche Fälle, wie der des Berliner Außendienstlers. Arbeitnehmer sollen mittels innerbetrieblicher Solidarität Kollegen mit Zeitspenden unterstützen können, wenn sie sich um ihre schwer kranken Familienangehörigen kümmern wollen. In Deutschland haben wir so etwas – abgesehen von den gesetzlichen Möglichkeiten, die das Pflegezeitgesetz bietet – bislang nicht.

Aber auch in Deutschland lassen sich Arbeitszeit und Urlaub spenden. Wichtig ist, sich dabei innerhalb des bestehenden gesetzlichen und eines zu schaffenden betrieblichen Rahmens zu bewegen.

Rechtliche Rahmenbedingungen in Deutschland für Arbeitszeitspenden

Jeder Arbeitnehmer hat einen eigenen Arbeitsvertrag, aus dem er höchstpersönlich gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet ist, die dort geregelte Arbeitsleistung zu erbringen. Diese höchstpersönliche Pflicht stünde einer Übertragung von Überstunden und Urlaubstagen eigentlich entgegen. Es funktioniert also nur mittels einer betrieblichen Regelung, die ausdrücklich erlaubt, dass einzelne Beschäftigte ihre Arbeitsleistung durch das Mitwirken anderer Mitarbeiter erbringen können, beziehungsweise die es den Mitarbeitern ermöglicht, durch Spenden von Stunden und Urlaubstagen Zeitgutschriften für Kollegen zu bewirken.

Wird eine solche betriebliche Regelung, wie im Beispiel der DEVK geschehen, geschaffen, gibt es jedoch weitere Hürden. Zunächst ist darauf zu achten, dass die zu Spendenzwecken erbrachte Mehrarbeit beim spendenden Arbeitnehmer nicht zu einer Überschreitung der geltenden Höchstarbeitszeiten führt. Die in § 3 ArbZG festgelegten Grenzen sind einzuhalten.

Beim Spenden von Urlaubstagen kann ein Arbeitnehmer nicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub verzichten. Dieser ist gemäß § 13 BUrlG unabdingbar. Ein Verzicht beziehungsweise eine Spende ist hier nur möglich, wenn es dabei um zusätzliche Urlaubstage geht, die über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehen.

Inhalte einer betrieblichen Regelung zur Spende von Urlaubstagen

Darüber hinaus sollten bei der betrieblichen Regelung einige wichtige Punkte enthalten sein: Beispielsweise wird nicht gewollt sein, dass spendenbegünstigte Mitarbeiter ein Urlaubsguthaben anhäufen, das sie sich bei vorzeitiger Auflösung ihres Arbeitsvertrages auszahlen lassen können. Es geht darum, Ansprüche auf bezahlte Freistellung zu schaffen. Deshalb sollte man das auch so definieren.

Umgekehrt, zur Vermeidung eventueller Geltendmachung von Doppelansprüchen, sollte eine betriebliche Regelung auch den Prozess der Ab- oder Umbuchung definieren und exakt regeln, was geschieht, wenn das gespendete Zeitvolumen nicht oder nicht in vollem Umfang abgerufen wird. Die spendenden Arbeitnehmer sollten schriftlich niederlegen, wie viele und gegebenenfalls auch welche Mehrarbeitsstunden (hier könnten unterschiedliche Zuschläge eine Differenzierung notwendig machen) oder Urlaubstage sie einbringen wollen und dass sie mit der Spende auf ihre Rechte hinsichtlich der gespendeten Stunden verzichten.

Ferner sollte klar definiert sein, welchem Zweck der Verzicht zugutekommen soll. Der Empfänger sollte entweder ausdrücklich benannt sein oder es sollten klare Kriterien vorhanden sein, die entscheiden, wer unter welchen Voraussetzungen zum Empfänger werden kann. Dann sind solche Aktionen wie 2017 in Berlin möglich. Der Junge konnte das Krankenhaus nach einiger Zeit verlassen und ging einige Monate später wieder zur Schule.


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