Überblick: Arbeitsrecht während einer Flutkatastrophe

Immer wieder kommt es in den letzten Jahren dazu, dass Flüsse über die Ufer treten und Städte und Dörfer überschwemmen. Ein solches katastrophenartiges Ausmaß an Schäden, wie sie im Juli 2021 aufgetreten sind, war bisher jedoch selten. Betroffene, Katastrophenhelfer sowie Menschen, die keine Verkehrsverbindungen mehr haben, kommen nicht zur Arbeit. Was gilt bei solch einem Katastrophenszenario?

Wer sein Dach über dem Kopf verloren hat, wem sein Hab und Gut davongeschwommen ist und wer inmitten zerstörter Ortschaften steht und abgeschnitten von sämtlichen Verkehrsverbindungen den Schlamm aus seinem Wohnzimmer schaufelt, der wird Schwierigkeiten haben, wie gewohnt morgens zur Arbeit zu gehen. Auch wer für das technische Hilfswerk oder die freiwillige Feuerwehr tätig und als Katastrophenhelfer in den betroffenen Gebieten im Einsatz ist, fällt vorübergehend aus. Was bedeutet das für die Arbeitgeber der Betroffenen und der Helfer? Wie ist die Entgeltfortzahlung für die Ausfallzeiten geregelt?

Bei einer Flutkatastrophe zuerst die Arbeitsverhinderung anzeigen

Ist eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer wegen des Hochwassers beziehungsweise wegen der dadurch verursachten Schäden an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert, so ist er zunächst einmal verpflichtet, seinem Arbeitgeber die Arbeitsverhinderung unverzüglich anzuzeigen. Die Information sollte möglichst zeitnah durch Telefon, SMS, Whatsapp, durch eine persönliche Information oder in ähnlicher Weise erfolgen. In den Gebieten, in denen die Telefonleitungen und Mobilfunknetze gestört sind, mag dies schwierig sein. Ist eine entsprechende Anzeige zunächst unmöglich, so kann sie später nachgeholt werden, sobald wieder Kommunikationsmöglichkeiten bestehen.

Entgeltfortzahlung, wenn Mitarbeiter vom Hochwasser betroffen sind

Der Anspruch auf Freistellung von der Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung durch den Arbeitgeber hängt üblicherweise davon ab, ob es sich um ein subjektives, in der Person des Arbeitnehmers liegendes Leistungshindernis handelt oder um ein objektives Leistungshindernis. Nach § 616 BGB hat der Arbeitgeber auch das Gehalt für den Arbeitsausfall fortzuzahlen, wenn der Arbeitnehmer von einer Naturkatastrophe (wie Hochwasser) persönlich betroffen ist und ihm die Arbeitsleistung deshalb vorübergehend nicht zuzumuten ist, weil er erst einmal seine eigenen Angelegenheiten ordnen und regeln muss (so das Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. August 1982 - Az. 5 AZR 823/80). 

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die – ohne persönlich betroffen zu sein - wegen der Flutkatastrophe oder etwaiger Hochwasserschäden ihre Arbeitsstelle nicht erreichen können, haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 616 BGB. Denn es handelt sich eben nicht um einen in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund, sondern um ein objektives Hindernis, das für eine Vielzahl von Arbeitnehmern gleichzeitig besteht (BAG, Urteil vom 8. Dezember 1982, Az. 4 AZR 134/80). Hier trägt der Arbeitnehmer insoweit das Wegerisiko. Dazu gehören auch hochwasserbedingte Zugausfälle oder Verkehrsstörungen aufgrund zerstörter Straßen. Nichts spricht allerdings dagegen, dass einzelne Unternehmen ihre in den Hochwassergebieten wohnenden Beschäftigten dennoch zeitlich begrenzt bezahlt von der Arbeitsleistung (beispielsweise für ein bis zwei Tage) freistellen. Verpflichtet dazu sind sie allerdings nicht.

In der Person des Arbeitnehmers liegt das Leistungshindernis als sogenanntes subjektives Leistungshindernis also nur, wenn er persönlich vom Hochwasser betroffen ist, wie etwa bei Überflutung seiner Wohnung oder seines Hauses. In diesem Fall ist ihm "für eine nicht wesentliche Zeit" seine Vergütung fortzuzahlen. Wie lange der Freistellungsanspruch mit Lohnfortzahlung besteht, ist schwer zu beziffern, weil hier immer die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind. Ein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung für einige Tage dürfte aber in Notfällen wie der derzeitigen Flutkatastrophe unbedenklich erscheinen. 

Zu beachten ist, dass § 616 BGB durch den Arbeitsvertrag oder durch einen Tarifvertrag wirksam ausgeschlossen werden kann. Ist § 616 BGB wirksam ausgeschlossen, so begründet auch ein subjektives Leistungshindernis keinen Entgeltfortzahlungsanspruch.

Abmahnungen wegen hochwasserbedingter Verspätung?

Abmahnungen können einem Arbeitnehmer wegen Umständen, die vom Hochwasser verursacht sind (Zuspätkommen, Nichterreichen der Arbeitsstelle etc.) nur bei Verschulden ausgesprochen werden. Bei einer akuten Notlage wird es aber regelmäßig am Verschulden des Arbeitnehmers fehlen, so dass ein verspätetes Erscheinen am Arbeitsplatz keine Abmahnung rechtfertigt.

Anspruch auf Urlaubsgewährung

Urlaub ist unter Berücksichtigung der persönlichen Wünsche der Arbeitnehmer und berechtigter betrieblicher Belange zu erteilen. Eine Hochwassersituation rechtfertigt oftmals einen Urlaubsanspruch. Hier werden die betrieblichen Belange vielfach gegenüber den persönlichen, existenziellen Interessen der Arbeitnehmer weniger wichtig sein.

Naturkatastrophen: Arbeitsausfall in betroffenen Betrieben

Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalles, wenn im Betrieb wegen der Hochwasserschäden nicht gearbeitet werden kann. Bietet der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung an, kommt der Arbeitgeber mit der Zahlung der Vergütung in Verzug. Naturkatastrophen gehören grundsätzlich zum Betriebsrisiko des Arbeitgebers. Erscheint also der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber zur Arbeit, stehen aber die Maschinen im Betrieb wegen des Hochwassers still, dann trägt der Unternehmer das Betriebsrisiko und muss dem Arbeitnehmer trotzdem die geschuldete Vergütung gemäß § 615 BGB zahlen.

Der Arbeitgeber ist im Übrigen aufgrund § 615 Satz 3 BGB auch dann entgeltfortzahlungspflichtig, wenn nicht er selbst, sondern ein Zulieferbetrieb von Hochwasserschäden unmittelbar betroffen ist und er mangels Zulieferung seine Arbeitnehmer nicht beschäftigen kann.

Helfer im Katastropheneinsatz haben Anspruch auf Lohnfortzahlung

Wenn der Einsatz der Helfer im Katastrophengebiet angeordnet wurde, haben freiwillige Helfer Anspruch auf Freistellung gegen ihren Arbeitgeber und auf Lohnfortzahlung. Für ehrenamtliche Mitarbeiter beim Technischen Hilfswerk (THW) ist das im THW-Gesetz geregelt. Arbeitgeber können die Freistellung nicht unter Verweis auf eigene betriebliche Interessen verweigern. Für Einsätze und Ausbildungsveranstaltungen müssen sie dem Arbeitnehmer das Gehalt weiterzahlen. Wenn der Mitarbeiter mehr als zwei Stunden am Tag oder mehr als sieben Stunden innerhalb von zwei Wochen ausfällt, dann bekommen Arbeitgeber das gezahlte Arbeitsentgelt aber von der jeweiligen THW-Geschäftsstelle wieder erstattet. Geregelt ist das in § 3 Abs 2 THW-Gesetz.

Ähnliches gilt für Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr: Freiwillige Feuerwehrleute müssen von ihren Arbeitgebern bezahlt freigestellt werden. Das ist in den Brandschutzgesetzen der Bundesländer geregelt. Die jeweiligen Landesgesetze sehen vor, dass Feuerwehrleute sowohl für Ausbildungsveranstaltungen als auch für Einsätze bezahlt freizustellen sind. Auch hier können Arbeitgeber sich auf Antrag die Kosten von der öffentlichen Hand nach Maßgabe der einzelnen Landesgesetze erstatten lassen. Falls ein Feuerwehrmann sich bei seinem Helfereinsatz verletzt und nicht arbeiten kann, können sich Arbeitgeber die Lohnfortzahlung auch für die Zeit, in der der Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfällt, erstatten lassen. Auch ehrenamtliche Angehörige anderer Hilfsorganisationen (DRK, DLRG, Malteser, Johanniter-Unfall-Hilfe) sind für den Einsatz in den Hochwassergebieten von der Arbeitsleistung freizustellen.

Wird ein Katastrophenhelfer während seines Urlaubs zum Einsatz gerufen, besteht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 10. Mai 2005, Az.  9 AZR 251/04) eine Pflicht des Arbeitgebers zur Nachgewährung des bereits erteilten Erholungsurlaubs.

Anordnung von Überstunden zur Schadensbeseitigung im Betrieb

Bei Katastrophen wie Hochwasser kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ausnahmsweise auch mit Aufgaben betrauen, die zur Katastrophenabwehr (Verhinderung eines Wassereintritts oder Rettung von Inventar und Betriebsmittel) oder zur Beseitigung eingetretener Schäden erforderlich sind. Allerdings muss dabei zum einen die Konstitution des Arbeitnehmers berücksichtigt werden und zum anderen darf der Arbeitnehmer nicht mit gesundheitsgefährdenden Arbeiten betraut werden. Im Einzelfall können auch unentgeltliche Überstunden aufgrund einer Gefährdungssituation gerechtfertigt sein, allerdings nur in zumutbarem Maß.  

Kurzarbeit in betroffenen Betrieben in den Hochwassergebieten

Für Arbeitsausfälle, die in Betrieben in den Hochwassergebieten unmittelbar aufgrund des Hochwassers eintreten, kann gegebenenfalls Kurzarbeitergeld (KUG) gewährt werden, da es sich hierbei um ein unabwendbares Ereignis nach § 96 SGB III handelt. Eine nur mittelbare Betroffenheit (bei Nichtlieferung benötigter Teile durch einen Zuliefererbetrieb) stellt regelmäßig einen Arbeitsausfall aus wirtschaftlichen Ursachen dar, der ebenfalls einen KUG-Anspruch auslösen kann. Auch für Kurzarbeit, die aufgrund des Hochwassers beantragt wird, gelten die aktuellen Regelungen, die eigentlich zur Bewältigung der Coronapandemie geschaffen worden sind. Demnach reicht es für Betriebe, die bis 30. September 2021 mit Kurzarbeit beginnen, wenn mindestens zehn Prozent der Beschäftigten von Arbeitsausfall betroffen sind. Bis 30. September 2021 werden auch die Beiträge zur Sozialversicherung während der Kurzarbeit in voller Höhe erstattet. Für Betriebe, die bis dahin Kurzarbeit eingeführt haben, werden die Sozialversicherungsbeiträge anschließend bis Ende Dezember 2021 hälftig von der Bundesagentur für Arbeit erstattet.


Auf unserer Themenseite "Hochwasser" lesen Sie weitere Informationen rund um Versicherungsschutz, Fördermöglichkeiten und Steuererleichterungen beim Neubeginn.


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