In Rage selbst verletzt: Entgeltfortzahlung gilt trotzdem
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EGFZ) muss der Arbeitgeber seinen Mitarbeiter auch entlohnen, wenn er wegen einer Erkrankung seiner Arbeit nicht nachgehen kann. Das gilt jedoch nicht, soweit den Arbeitnehmer ein Verschulden an der Arbeitsunfähigkeit trifft, er also beispielsweise gegen besondere Unfallverhütungsvorschriften verstößt oder anderweitig besonders leichtsinnig handelt und deshalb seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann.
In Rage die Hand gebrochen
Im konkreten Fall vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht verlangte ein Warenauffüller in einem Baumarkt von seinem Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung für sechs Wochen, weil er sich die Hand gebrochen hatte. Der Krankheit ging eine Rüge des betrieblichen Sicherheitsbeauftragten voraus: Der Mitarbeiter sollte an seinem Gabelstapler ein als Wetterschutz angebrachtes provisorisches Plexiglasdach abbauen. Darüber geriet er derart in Wut, dass er zunächst mit Verpackungsmaterial um sich warf und dann mindestens dreimal mit der Faust auf ein in der Nähe aufgestelltes Verkaufsschild aus Hohlkammerschaumstoff schlug. Dieses war auf einer Holzstrebe montiert, die der Arbeitnehmer mehrfach traf. Dabei brach er sich die Hand.
Wann Mitarbeiter die Arbeitsunfähigkeit verschulden
Der Arbeitgeber verweigerte daraufhin die Entgeltfortzahlung, da der Mitarbeiter an seiner Verletzung selbst schuld sei. Er habe sich die Verletzung vorsätzlich beigebracht, da er spätestens nach dem ersten Schlag auf das Verkaufsschild die Holzstrebe habe spüren müssen. Dem widersprach das Hessische Landesarbeitsgericht. Grundsätzlich entspreche der Verschuldensbegriff im Entgeltfortzahlungsrecht nicht dem des allgemeinen Zivilrechts nach § 276 BGB. Er erfordere vielmehr einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen.
Keine Kontrolle, keine besondere Leichtfertigkeit
Im konkreten Fall sei es nicht ersichtlich, dass der Mitarbeiter seine Verletzung bewusst herbeiführen wollte, stellten die Richter fest. Gegen eine grobe Fahrlässigkeit spreche, dass sich der Arbeitnehmer offensichtlich in einem heftigen Wut- und Erregungszustand befand und sich dementsprechend kurzzeitig nicht unter Kontrolle hatte. Das sei nicht zu billigen, aber menschlich gleichwohl nachvollziehbar, da niemand in der Lage sei, sich jederzeit vollständig im Griff zu haben. Der Mitarbeiter hätte bei verständiger Betrachtung zwar damit rechnen müssen, dass er durch die Schläge auf das Schild eine Verletzung riskiert. Dies sei sicher leichtfertig gewesen, aber nicht derart schuldhaft, dass von besonderer Leichtfertigkeit oder grober Fahrlässigkeit die Rede sein könne, argumentierten die Richter.
Daher hatte das Hessische Landesarbeitsgericht, wie bereits die Vorinstanz, das Arbeitsgericht Offenbach (Urteil vom 17. April 2013, Az 5 Ca 58/13), der Entgeltfortzahlungsklage stattgegeben. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen (Hess. LAG vom 23. Juli 2013, Az 4 Sa 617/13).
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