Die größten Denkfehler zur Digitalisierung
Es vergeht kein Tag, an dem nicht über die "digitale Revolution" und ihre Folgen diskutiert wird. In Fachzeitschriften, Messevorträgen und Organisationen ist die Digitalisierung seit vielen Monaten das beherrschende Thema. Und es ist ein Thema, mit dem Angst und Hoffnung gleichermaßen geschürt werden. Die Hoffnung auf neue Geschäftsmodelle, verbesserte Prozesse oder auch höhere Effizienz.
Mindestens genau so groß aber ist die Sorge – um Arbeitsplätze, Berufe und Privatsphäre. Gleichzeitig manifestieren sich jedoch auch ein paar Denkfehler bezüglich der Digitalisierung. Einige wesentliche werden im Folgenden aufgedeckt.
Denkfehler 1: Digitalisierung ist etwas Neues
Arbeiten 4.0, Produktion 4.0 oder auch New Work erwecken den Eindruck, es handele sich um grundlegend neue Arten, Dinge zu tun und es sei Technologie, die das ermögliche. Mitnichten. Technologiesprünge, die Prozesse optimieren, Berufsbilder verändern oder sogar Dienstleistungen verdrängen, gibt es seit Jahrzehnten. Der Hype darum kehrt zyklisch wieder.
Klar, es gibt viele Beispiele, welche die Wucht der sogenannten "digitalen Revolution" deutlich machen. Früher gab es ein Telefonbuch, heute eine App. Früher rief man per Telefon ein Taxi, heute gibt es Uber. Früher gab es einfach das Internet, heute gibt es das "Internet of Things". Geräte werden mit Geräten vernetzt und zwar immer mehr.
Auch das ist nicht wirklich neu. Es ist weniger Revolution als Evolution. Und gleichzeitig führt die Digitalisierung uns vor Augen, was wir noch zu lernen haben: mit der steigenden Vernetzung und zunehmender Dynamik, steigt die Komplexität. Und zwar im Privaten, wie auch in unseren Organisationen. Die Frage ist also: Wie kann diese Komplexität gemeistert werden und wie wirtschaften wir erfolgreich in einer Welt des Ungewissen? Die Antwort darauf liegt in den Strukturen, Prozessen und Haltungen der Organisationen und nicht in der Technologie.
Denkfehler 2: Es geht nur um Prozesse und IT
Ein Unternehmen zu digitalisieren bedeute, mehr IT-gestützte Prozesse aufzusetzen und die IT-Vernetzung mit Kunden und Lieferanten zu erhöhen – so eine weitverbreitete Vorstellung von Digitalisierung. Aber ein paar IT-Projekte und zwei Prozessupdates sind ein fast marginaler Teil. Dahinter müssen Geschäftsmodelle stehen und die entsprechenden Haltungen zu Vernetzung, Transparenz und Automatisierung. Ohne sie wird es nicht gelingen.
Es geht zu allererst darum, passende Strukturen in der Organisation zu schaffen. Treffen Vernetzung und Produktindividualisierung auf eine unverändert starre Organisationsstruktur, wird der Ansatz scheitern. Silo-Denken und -Handeln, mit dem entsprechenden Umgang mit Informationen und Transparenz, muss durch Kooperation und interdisziplinäre Zusammenarbeit ersetzt werden. Und das nicht erst seit gestern. Hier kann und sollte HR unterstützen, Impulse setzen und wachrütteln.
Denkfehler 3: Digitalisierung ist nur ein Change-Projekt
Nicht wenige Organisationen glauben, die Digitalisierung als ein reines Projekt aufsetzen zu können und rufen einen großen Change aus. Damit einher gehen dann meist all die altmodischen Change-Annahmen zu Veränderungen:
- Es wird eine lange Reise.
- Es wird schwer.
- Mitarbeiter werden mitunter nicht veränderungsbereit sein.
Zum einen gibt es keine allgemeingültige Digitalisierung, die eine Organisation irgendwie machen muss; zum anderen schon gar nicht als Projekt. Sie kann und muss ein Trigger sein, um die Transformation der Organisation anzustoßen.
Damit ist auch gleich klar, dass es sich hier nicht um eine einmalige Anstrengung handelt, sondern um die Bereitschaft beständig an den Strukturen, Prozessen, Vorgehensweisen und Haltungen zu arbeiten. Das Ziel dahinter sollte die Zukunftsfähigkeit einer flexiblen, anpassungsfähigen Organisation sein.
Denkfehler 4: HR ist beteiligt, aber nicht betroffen
Natürlich muss HR die Digitalisierung im Sinne von Dienstleistung bei Organisationsänderungen, Arbeitsplatzabbau und weiteren Themen begleiten. Aber ist die digitale Revolution für die eigene Organisation erarbeitet und das Ziel der Transformation klar, so wird es sicher andere Bedingungen für Arbeit und Zusammenarbeit im Unternehmen brauchen.
Es werden andere Experten als bisher rekrutiert werden müssen, vermutlich auch mit anderen Werkzeugen als im klassischen Recruiting. Schließlich steht man in direkter Konkurrenz zu hippen Startups. Rollen in der Organisation werden sich verändern und wahrscheinlich auch der Umgang mit diesen.
Diese Transformation berührt wesentliche Themen, die sich heute im HR-Bereich finden. Jedoch werden sie zukünftig nicht mit einem "Dienstleister-im-eigenen-Unternehmen"-Gedanken umzusetzen sein. Optimale Bedingungen für die Zusammenarbeit zu schaffen wird womöglich die zentrale HR-Aufgabe und die lässt sich nur gemeinsam mit dem oberen Management erarbeiten, weil sie strukturelle Veränderungen bedeutet.
Wie genau die Rolle von HR zukünftig aussieht, lässt sich nur im jeweiligen Kontext der Organisation betrachten und finden. Eines aber ist klar: HR muss beginnen, seine zukünftige Rolle zu überdenken.
Stephanie Borgert ist Vortragsrednerin, Management-Beraterin und Weiterdenkerin für ein zeitgemäßes Management. Sie unterstützt Manager, Geschäftsführer sowie Projektleiter darin, "Meister der Komplexität" zu werden und Erfolg nicht dem Zufall zu überlassen. Zum diesem Thema hat sie das Buch "Die Irrtümer der Komplexität: Warum wir ein neues Management brauchen" veröffentlicht, das 2015 im Gabal-Verlag, Offenbach, erschienen ist.
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