Die Inflation der Arbeitgebersiegel
Ein Dutzend Anbieter teilen sich den Markt der Arbeitgebersiegel auf – darunter Focus/Kununu/Statista, das Top Employers Institute mit dem Siegel „Top Employer“, die Beratung Zeag mit „Top Job“, das Trendence Institut mit „Top 100 Arbeitgeber Deutschland“ und Great Place to Work mit „Deutschlands Beste Arbeitgeber“. „Diese Anbieter versammeln die meisten Unternehmen auf sich“, so Ansgar Heitzig, Partner der Unternehmensberatung Heitzig & Heitzig, Düsseldorf. Die Unterschiede in der Methodik seien aber gigantisch: von der Mitarbeiterbefragung über die Bewertung von Leitbildern bis zu Imageumfragen unter Studenten.
Arbeitgebersiegel basieren auf unterschiedlichen Geschäftsmodellen
Die kommerziellen Anbieter verfolgen in der Regel eines von zwei Geschäftsmodellen: Sie erstellen, auf welchem Weg auch immer, ein Ranking und verkaufen den gelisteten Unternehmen dann die Nutzung einer Wort-Bild-Marke. Die Lizenzgebühr beträgt wenige Hundert bis einige Tausend Euro. Im „Premium-Segment“ des Markts, wie Heitzig es nennt, bewegten sich Forschungs- und Beratungsinstitute, die Arbeitgeber über mehrere Monate mit verschiedenen Instrumenten wie Mitarbeiterbefragung und HR-Audit unter die Lupe nehmen. Hier gehe es eher um strategische Managementberatung als um Imagepflege. Entsprechend teuer ist diese Leistung – Heitzig kalkuliert 50.000 bis 100.000 Euro allein für die Zertifizierung. „Und das ist nicht alles“, sagt er. „Unternehmen, die diesen Weg einschlagen, müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie zusätzlichen personellen Aufwand haben. Da kann ein Mitarbeiter der Personalabteilung ein halbes Jahr vollauf damit beschäftigt sein, Unterlagen für ein HR-Audit zusammenzutragen oder mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung über eine Mitarbeiterbefragung auszuhandeln.“
Beide Geschäftsmodelle können sich überschneiden. Von einigen Anbietern erhalten Unternehmen für kleines Geld ein Siegel, das als Türöffner für weitere Leistungen rund um Employer Branding dient. So entstehen häufig dauerhafte Geschäftsbeziehungen – und der Eindruck, das Unternehmen habe die jährliche Auszeichnung abonniert. Ein drittes „Geschäftsmodell“, das eigentlich keines ist, weil es nicht um Kommerz geht, vereint Institutionen wie Ministerien, Verbände oder Medien. Sie veranstalten Wettbewerbe oder verleihen unentgeltlich Arbeitgebersiegel. Der Aufwand für Unternehmen ist auch hier höchst unterschiedlich. Er reicht vom einfachen Unterzeichnen einer Selbstverpflichtung bis zum mehrstufigen Auswahlverfahren.
Daten von Kununu: oft Grundlage für Siegelvergabe
Aus der Gruppe der kommerziellen Anbieter sticht Kununu hervor, weil es seine Daten sowohl für Rankings wie „Top Nationaler Arbeitgeber 2018“ bereitstellt als auch die Eigenmarken „Open Company“ und „Top Company“ bewirbt. Ein Unternehmen, das mindestens sechs Mitarbeiterbewertungen vorweisen kann und dabei durchschnittlich wenigstens drei von fünf Punkten erreicht, ist „Top Company“ und darf das Siegel in Stellenanzeigen oder Mail-Signaturen verwenden. Wer zusätzlich seine Mitarbeiter zur Bewertung auf Kununu animiert, selber Kommentare einstellt oder ein Firmenprofil, einen kostenpflichtigen Werbeauftritt bei Kununu und dessen Muttergesellschaft Xing, schaltet, darf sich „Open Company“ nennen. Die Kununu-Daten tauchen auch noch bei dem neuen Siegel „Leading Employers“ auf, für das Untersuchungen anderer Marktforschungsinstitute ausgewertet werden. So recycelt sich die Branche immer wieder neu.
Umfragen als Basis für Arbeitgeberbewertungen
Gezielter geht das Trendence Institut vor, das für die aktuelle Ausgabe seines „Absolventenbarometers“ – es gibt auch ein „Schülerbarometer“ sowie etliche Sonderauswertungen – 55.000 Studierende der Fächer Wirtschaft, Ingenieurwesen, Informatik und Naturwissenschaften befragt hat. Trendence arbeitet mit Befragungspartnern wie Studenteninitiativen zusammen, die die Fragebögen online verbreiten. Individualisierte Links verhindern, dass Studierende mehrfach teilnehmen oder jemand anderen antworten lassen. „Unser Fragebogen ist sehr umfangreich“, erläutert Annekatrin Buhl von Trendence, „aber für das Ranking selbst ist nur eine Frage entscheidend, nämlich bei welchem Arbeitgeber sich die Studenten bewerben wollen. Das Unternehmen mit den meisten Stimmen landet auf Platz eins.“
Mit schöner Regelmäßigkeit fahren die großen Automarken, deren Arbeitgeberimage vom Produktimage lebt, auf die obersten Ränge vor. Insofern sagt das Absolventenbarometer wenig über die Realität in den Unternehmen aus, sondern folgt mehr dem Mainstream. Das mag ein Grund sein, warum Konzerne wie BMW, die sich ohnehin nicht vor Bewerbern retten können, das Trendence-Siegel „Top 100 Arbeitgeber Deutschland“ kaum im Hochschulmarketing einsetzen – sie haben es schlicht nicht nötig. Interessanter ist der Titel für Arbeitgeber in der zweiten Reihe. Sie drucken das Siegel zum Beispiel in Broschüren ab und zahlen dafür 2.490 Euro. Für Trendence-Kunden, die individuelle Marktforschungen oder sonstige Employer-Branding-Leistungen buchen, ist das Siegel im Beratungshonorar inbegriffen.
Pioniere der Arbeitgeberbewertung
Zu den Pionieren der Arbeitgeberzertifizierung gehört das 1991 von dem US-Journalisten Robert Levering gegründete Great Place to Work Institute (GPTW). Ursprünglich hatte er nur ein Buch über die besten 100 Arbeitgeber in den USA schreiben wollen, dann aber festgestellt, dass das Thema einschlug und regelmäßige Aktualisierungen sich gut verkauften. Heute hat GPTW Standorte in 57 Ländern, darunter seit 2002 in Deutschland.
Herzstück der Methode ist eine Mitarbeiterbefragung, für die ein internationaler Standard entwickelt wurde. Darauf bauen weitere Leistungen wie HR-Auditing, Beratung und Schulung auf. Der deutsche Ableger, der das Siegel „Beste Arbeitgeber Deutschland“ verleiht, befragt jährlich mehr als 100.000 Beschäftigte in 700 Unternehmen verschiedener Branchen und Größen. Neben der allgemeinen Top-100-Liste werden Sonderlisten, bezogen auf Branchen, Bundesländer und Regionen, erstellt.
Hier finden Sie einen Überblick der Arbeitgebersiegel.
Siegelanbieter als Strategiepartner für HR
„Die Arbeit von Great Place to Work ist die eines Strategiepartners für Geschäftsführung und Personalmanagement“, sagt Kommunikationsmanager Lars Renner. „Unser Kernthema, die Entwicklung einer ausgezeichneten Arbeitsplatzkultur und einer Vertrauenskultur, kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie mit den Zielen, Strategien und Werten des Unternehmens abgestimmt erfolgt.“ Die Kunden sollen Entwicklungsziele für ihre Arbeitskultur festlegen und diese mithilfe des Instituts verwirklichen. Dieser hohe Anspruch spiegelt sich in der sehr stringenten Vorgehensweise wider: Quick-Checks, Strategie- und Prognoseworkshops machen den Anfang; zwischen März und Oktober findet die freiwillige und anonyme Mitarbeiterbefragung statt; parallel beantworten die Personalverantwortlichen in einem „Kultur-Audit“ Fragen zur HR-Arbeit; die Unternehmen erhalten Analysen und Benchmarks sowie, falls die Mindeststandards erreicht sind, das Siegel „Certified“; auf dieser Grundlage treten alle qualifizierten Teilnehmer in die internationalen, länder-, regionen- und branchenspezifischen Wettbewerbe ein, die mit der Beste-Arbeitgeber-Prämierung abschließen.
Individualisierte und zusätzliche Module für die Mitarbeiterbefragung und das HR-Audit, eine große Palette an besonderen Analysen und Benchmarks sowie die Vielzahl der Wettbewerbe – es gibt sogar Sonderpreise, etwa für „Chancengleichheit und Diversity“ oder „Wissens- und Kompetenzvermittlung“ – belegen den Premium-Anspruch von GPTW.
Was die Siegel kosten
Billig ist die Rundumversorgung nicht: Beispielsweise kostet die Teilnahme an einer Benchmarkuntersuchung mit Mitarbeiterbefragung einschließlich Benchmarkbericht, Maßnahmenanalyse mit Kurzbericht und – bei entsprechenden Ergebnissen – der Chance auf eine Auszeichnung in einem der Arbeitgeberwettbewerbe für Unternehmen mit 50 bis 100 Mitarbeitern rund 6.000 Euro. Eine Ergebnispräsentation plus Maßnahmenentwicklungsworkshop schlägt mit weiteren 4.500 Euro zu Buche. Bucht der Kunde auch noch eine mittelfristig ausgerichtete Prozessbegleitung, kommen bei etwa vier Terminen im Jahr 8.500 Euro hinzu.
Der Wettbewerbsgedanke ist verständlicherweise dort besonders ausgeprägt, wo von vorneherein feststeht, dass nicht 1.000 oder 100 Unternehmen „gewinnen“, sondern maximal ein Dutzend. Dies trifft auf nichtkommerzielle Initiativen wie den Best-Pers-Award zu, der seit 2003 für hervorragende Personalarbeit verliehen wird. Drei erste Plätze in der Gesamtwertung sowie Auszeichnungen in Spezialdisziplinen wie Personalentwicklung oder HR-Digital sind zu vergeben – das ist alles.
Um sich zu bewerben, füllen konzernunabhängige Unternehmen mit zehn bis 2.500 Mitarbeitern einen umfangreichen Fragebogen aus, der einem HR-Audit gleichkommt und Grundlage der Juryentscheidung ist. Der große Vorteil des Best-Pers-Award liegt darin, dass die Teilnahme nichts kostet. Dafür findet die Veranstaltung eher in der Fachöffentlichkeit statt; es fehlt eine Marketingmaschine, die die Auszeichnung in die Bewerberköpfe hämmert.
Unterstützung für Arbeitgebersiegel von der öffentlichen Hand
Der Spagat zwischen wissenschaftlichem Anspruch und einer gesunden kommerziellen Basis ist schwierig. Wohl auch deshalb gibt es einige Arbeitgebersiegel, denen eine Art Public-Private-Partnership zugrunde liegt. Bekanntes Beispiel: Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung hat vor 15 Jahren das „Audit Beruf und Familie“ ins Leben gerufen, das Siegel und Managementinstrument zugleich ist. In einem mehrjährigen strukturierten Prozess werden Unternehmen dabei unterstützt, Lösungen für eine familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik zu finden.
Als Dienstleister tritt die Beruf und Familie Service GmbH auf, die wirtschaftliche Interessen verfolgen darf. So zahlt ein Unternehmen mit 101 bis 500 Mitarbeitern 12.000 Euro für die Auditierung inklusive Zertifikat. Die Re-Auditierung nach drei Jahren kostet 9.500 Euro, nach sechs Jahren 8.000 Euro.
Themensiegel: Vom fahrradfreundlichen Arbeitgeber bis zum Förderer für Chancengleichheit
Die große Gruppe der themenspezifischen Arbeitgebersiegel, in die sich das „Audit Beruf und Familie“ einsortieren lässt, treibt manche Blüten hervor. Etwa das Siegel „Zertifizierter Fahrradfreundlicher Arbeitgeber“, das immerhin auf eine EU-Initiative zurückgeht. Ansonsten bildet die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen klaren Schwerpunkt in der Gruppe der Themensiegel. Damit verknüpft ist das Thema Gendergerechtigkeit, gerade unter den Aspekten Aufstiegschancen und Vergütung. Hier hat sich das Siegel „Total E-Quality“ etabliert. Der gleichnamige, 1996 gegründete Verein zeichnet jährlich Organisationen aus, die Chancengleichheit fördern. Die Juryentscheidung beruht auf einer Selbstauskunft der Bewerber.
Soziale Kontrolle schützt vor Missbrauch der Arbeitgebersiegel
Das Papier, auf dem Unternehmen sich selbst begutachten, ist geduldig, aber dank der sozialen Kontrolle bringt Schönreden wenig. Spätestens nach der Veröffentlichung des Prädikats könnten Insider Einspruch erheben – per Flurfunk oder beim Betriebsrat. Aus diesem Grund haben auch Siegel, die allein auf einer Selbstverpflichtung beruhen, ihre Berechtigung. Die Unterzeichner erklären, bestimmte Werte anzuerkennen und diese in ihrer Organisation umzusetzen.
Bei der „Charta der Vielfalt“ etwa geht es um Respekt gegenüber Mitarbeitern, unabhängig von Geschlecht, Nationalität, Religion, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung. 2.800 Unternehmen und Institutionen haben bereits unterschrieben. Sie dürfen sich eine vom Bundeskanzleramt gegengezeichnete Urkunde in die Chefetage hängen. Sie müssen jedoch auch dafür sorgen, dass der Diversity-Gedanke bei den Mitarbeitern ankommt, indem sie jährlich über entsprechende Aktivitäten berichten. Unternehmen zahlen eine einmalige Verwaltungspauschale von 100 Euro für die Teilnahme; gemeinnützige Einrichtungen zahlen nichts. Möglich wird dieses Schnäppchen durch das Engagement von 24 Konzernen, die den Charta der Vielfalt e. V. tragen.
Ein Siegel als Feedbackmöglichkeit für Praktikanten
Ein Selbstverpflichtungssiegel mit „Schwindelschutz“ ist „Fair Company“, eine 2004 in der Verlagsgruppe Handelsblatt gestartete Initiative. Damals machte der Begriff „Generation Praktikum“ die Runde. Als „Fair Company“ konnte ein Unternehmen seine Bereitschaft signalisieren, Studenten nur anständige Praktika anzubieten – also keine Langzeitausbeutung zum Nulltarif. Seit 2013 können Praktikanten Verstöße gegen die Regeln melden. In krassen Fällen wird das Siegel entzogen.
Mehr als 600 Unternehmen haben sich als „Fair Company“ registrieren lassen. Die Mitgliedschaft in diesem Kreis ist mit einem Jahresbeitrag zwischen 999 und 1.400 Euro je nach Mitarbeiterzahl recht günstig. Die Unternehmen erhalten unter anderem ein Profil in der Datenbank Faircompany.de und Vorzugskonditionen bei Anzeigen. „Aber sie übernehmen auch Pflichten“, sagt Projektleiterin Elke Neuhard. „Zum Beispiel müssen sie Praktikanten auf unsere Feedbackmöglichkeit hinweisen.“
Einzug der Digitalisierung: Sonderpreise für digitale Fitness
Das Beispiel „Fair Company“ zeigt, wie Arbeitgebersiegel allgemeine Entwicklungen am Jobmarkt abbilden. Heute zieht die Digitalisierung in das Zertifizierungsgeschehen ein, indem neue Sonderpreise für die digitale Fitness von Arbeitgebern ausgelobt werden und sich neue Big-Data-Verfahren durchsetzen. Ein weiterer Trend ist der Fokus auf Branchen, die nicht genügend qualifizierte Beschäftigte finden. In den vergangenen Jahren sind beispielsweise neue Siegel für die Pflegebranche entstanden.
So entwickelt sich der Markt zwischen zwei Zieloptionen: einerseits wissenschaftlich begleitete, strategische Personalarbeit, andererseits auf schnellen Rekrutierungserfolg ausgerichtetes Personalmarketing. Jedes Unternehmen, das ein passendes Siegel sucht, wird also mit Sicherheit fündig.
Hier finden Sie einen Überblick der Arbeitgebersiegel.
Hinweis: Den kompletten Artikel können Sie im Personalmagazin 8-2018 lesen. Arbeitgebersiegel sind das Schwerpunktthema dieser Ausgabe.
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