Kein Trend zur Freizeit
"Zeit ist das neue Geld" lautete der Titel eines Kommentars im Handelblatt zur jüngsten Metall-Tarifeinigung. Die IG Metall hatte in den Tarifverhandlungen Anfang des Jahres unter anderem durchgesetzt, dass Arbeitnehmer in Vollzeit künftig das Recht, ihre Arbeitszeit auf 28 Stunden in der Woche abzusenken - und später wieder auf Vollzeit zurückzukehren sowie dass Arbeitnehmer mit besonderen Bedürfnissen - Eltern kleiner Kinder, Pflegende und Schichtarbeiter - künftig die Wahl zwischen mehr Geld oder mehr Freizeit haben.
Lieber mehr Freizeit als mehr Geld?
Viele Studien erwecken den Eindruck, dass zumindest den "Millennials" (auch bekannt als "Generation Y) Freizeit und Work-Life-Balance wichtiger ist als Karriere und Gehalt.
Doch neuen Erkenntnisse von Arbeitsmarktforschern legen nahe, dass der Trend zu mehr Freizeit ein Trugschluss ist. Demnach wollen die Deutschen heute genauso viel arbeiten wie früher. Einen großen Trend zur Freizeit könnten sie anhand von Befragungsdaten nicht erkennen, schreiben Enzo Weber und Franziska Zimmert vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer neuen Studie - auch bei jüngeren Menschen nicht. Frauen mit einem Teilzeitjob wollten heute sogar etwas mehr arbeiten: 26 statt - wie noch 1985 - 22 Stunden pro Woche.
Wunsch nach längeren Arbeitszeiten - raus aus der Teilzeitfalle
Die Vize-Fraktionschefin der Linken, Susanne Ferschl, sagte: "Der Wunsch nach längeren Arbeitszeiten ist vor allem in einer bestimmten Gruppe - Frauen zwischen 26 und 35 Jahren - verbreitet. Viele dieser Frauen stecken unfreiwillig in der "Teilzeitfalle", nachdem sie ihre Arbeitszeit zuvor reduziert haben." Sie forderte daher erneut ein Rückkehrrecht in Vollzeit.
Flexibler arbeiten, aber nicht weniger
Die IAB-Forscher schreiben, die Arbeitswelt habe sich verändert; der Alleinverdienerhaushalt gehöre weitgehend der Vergangenheit an. Und viele Beschäftigte wünschten sich daher im Lauf ihres Lebens mehr Flexibilität bei ihrer Arbeitszeit. "Man sollte dabei nur nicht davon ausgehen, dass die Menschen heute generell weniger arbeiten möchten." Gerade die Jüngeren mit Teilzeitstellen würden zu Beginn ihres Erwerbslebens häufig gerne mehr arbeiten.
Langzeituntersuchung auf Basis des Sozio-ökonomischen Panels
Für ihre Untersuchung haben die Forscher Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zu Arbeitszeitwünschen von Angestellten, Arbeitern und Beamten zwischen 1985 und 2016 ausgewertet. Die Beschäftigten wurden jährlich zu ihrer bevorzugten Wochenarbeitszeit in Stunden befragt. Dabei sollten sie bedenken, dass sie bei weniger Arbeit auch weniger verdienen würden.
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Arbeitszeitwünschen
Bei allen Beschäftigten zeigte sich in den vergangenen Jahren bei der gewünschten Arbeitszeit tatsächlich ein Trend nach unten. Dies liege aber schlicht daran, dass heute mehr Frauen arbeiten und diese im Schnitt deutlich kürzere Arbeitszeiten wünschen als Männer, erklären Weber und Zimmert.
Vollzeit zwischen 34 und 39 Stunden pro Woche
Sowohl Männer als auch Frauen, die einen Vollzeitjob haben, wollen heute aber ungefähr genauso viel arbeiten wie früher. 1985 gaben die Frauen hier 34 Arbeitsstunden pro Woche an, 2016 waren es 36. Bei den Männern blieb die gewünschte Stundenzahl pro Woche bei 39.
Vor allem jüngeren Menschen wird häufig nachgesagt, dass sie heute mehr Wert auf Freizeit legen und weniger arbeiten wollen. Gerade Frauen unter 25 Jahren wollen auch tatsächlich weniger arbeiten, sagen die Forscher: Seit 2009 sind deren Arbeitszeitwünsche um fünf Stunden zurückgegangen. Dafür gebe es aber eine einfache Erklärung: Es gibt immer mehr Studentinnen, und diese wollen normalerweise nur wenige Stunden arbeiten, meist in Minijobs.
Konzept "Arbeitszeit" im Umbruch
Klar ist auf jeden Fall, dass im Zuge der Digitalisierung Arbeit und Freizeit immer mehr verschmelzen ("Work-Life-Blending") und sich die Arbeitzeit vielfach gar nicht mehr eindeutig messen lässt. Nicht zuletzt deshalb fordern viele Wirtschaftsvertreter eine Öffnung des Arbeitszeitgesetzes, da viele Regelungen im Arbeitszeitgesetz nicht mehr zeitgemäß seien. Öffnungsklauseln für "Experimentierräume" im Arbeitszeitgesetz zu schaffen, hat sich daher auch die neue Groko in ihrem Koalitionsvertrag auf die Fahnen geschrieben.
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