Ausbildung: Ohne Zusatzbetreuer geht nichts

Viele Ausbildungsbetriebe tun sich schwer Azubis zu finden – schließen aber gleichzeitig Bewerber mit Förderbedarf aus. Dabei ließen sich auch lernschwache Jugendliche mit Hilfe von Zusatzbetreuern gut integrieren, glaubt Journalist Leonhard Fromm. Ein Kommentar mit Beispielen aus der Praxis.

Unternehmen werden sich daran gewöhnen müssen, ohne Sozialbetreuer nicht mehr auszukommen, wollen sie auf Dauer genügend Mitarbeiter haben. Und das ist gut so. Denn Warten verschärft die Situation und Jammern drückt die Stimmung.

Ein Wohlfühlmanager allein reicht nicht

Manche Arbeitgeber nennen ihre Kümmerer neudeutsch schick "Wohlfühlmanager", was aber in der Tiefe nicht den Sachverhalt trifft. Zwar verbessert Wohlfühlen das Arbeitsklima und damit die Ergebnisse. Aber zu komplex sind oft die ungelösten Probleme, die Beschäftigte mit zur Arbeit bringen.

Werden diese Probleme ignoriert, bekommt die Firma selbst Probleme. Oft existenzielle. Denn Kunden legen Wert auf Qualität und Zuverlässigkeit. Beides hat viel mit Können und Wollen zu tun, die auf dem Arbeitsmarkt von alleine, quasi automatisch, nicht mehr ausreichend verfügbar sind. Deshalb ist es fast schon eine nationale Aufgabe, dass sich alle daran beteiligen – die können und wollen.

Älterer Mitarbeiter freigestellt – damit er sich um Azubis kümmert

Schon vor 20 Jahren habe ich über einen Zerspanungsbetrieb mit 60 Mitarbeitern in der Presse berichtet, der einen älteren Meister zu 50 Prozent frei gestellt hatte, um sich sozial um die Azubis zu kümmern. Der war etwa gefragt, wenn ein Lehrling die Berufsschule schwänzte, sich wegen Liebeskummer die Nächte um die Ohren schlug oder wegen Handyschulden Stress mit Gläubigern hatte. Der väterliche Freund musste gleichermaßen das Vertrauen wie den Respekt der Jungs haben, verbunden mit Einfühlungsvermögen und hoher Problemlösungskreativität.
Der Erfolg gab dem Unternehmer Recht: Seither schaffen alle Azubis ihre Prüfungen zum Facharbeiter und Bewerbungen hat er genug. Auf diese unkonventionelle, damals teils bespöttelte Idee musste der Chef kommen, weil er im Umfeld von Porsche, Bosch und Daimler im Großraum Stuttgart schon lange keine Idealbewerber mehr bekam. Und wenn man weiß, dass immer mehr junge Männer ohne Väter und andere männliche Bezugspersonen aufwachsen, leuchtet der väterliche Kümmerer im Betrieb erst recht ein.

Azubis müssen Eltern mit zum Bewerbungsgespräch bringen

Eine Variante davon praktiziert der größte Arbeitgeber in einem 3.000-Seelen-Dorf am Fuße der Schwäbischen Alb seit drei Jahrzehnten: Er gibt allen ortsansässigen Jugendlichen eine Ausbildungsgarantie. Möglich macht er dies, indem er selbst regelmäßig mit seinen Azubis etwas unternimmt und Meister und Bürokauffrauen, teils im Ruhestand, Mathe-Nachhilfe geben und in Deutsch unterstützen. Das sichert den Erfolg statt in Elternhäusern auf Unterstützung zu hoffen, die immer öfter ohnehin ausbleibt.
A propos Elternhaus: Ich kenne Firmen, in denen Ausbildungsbewerber seit Jahren die Eltern mit zum Vorstellungsgespräch bringen müssen. So sieht der Chef mit einem Blick, auf wie viel Unterstützung er außerhalb der Schule zählen kann. Und die Zahl kreativer Beispiele, wie Unternehmer den Ausbildungserfolg ihrer Azubis absichern, wird nach meiner Beobachtung immer größer. Na prima, denn so schwer ist der Nutzen nun auch wieder nicht zu begreifen.

Gute Zusatzbetreuer kennen Computerspiele und angesagte Rapper

Unvergessen ist mir der Info-Abend eines namhaften Mittelständlers für Ausbilder und Personaler, bei dem ein Jugendforscher und ein Berufschullehrer diese für die Lebenswirklichkeit sensibilisierten, in der viele junge Leute heute aufwachsen: Da geht es um Gewalt im Elternhaus, Süchte aller Art, Mobbing, Stalking, realitätsferne Traumwelten im Fernsehen oder Verwahrlosung.
Der Abend machte Ausbilder und Personaler betroffen, geht es doch in erster Linie darum, zunächst das Vertrauen der jungen Leute zu gewinnen, ohne das sie sich nicht mehr ausbilden lassen.

Dieses Vetrauen erreicht man dadurch, dass man sich für sie interessiert, ihr Lieblings-Computerspiel mit ihnen spielt oder weiß, welche Rapper aktuell angesagt sind. Und das ist nur der erste Schritt, denn oft sind schon viele Enttäuschungen, Verletzungen und Erniedrigungen vorausgegangen, weshalb sich die jungen Leute verschließen, so dass ohne eine echte Beziehung nichts zu ihnen vordringt.

Kümmerer helfen bei den Herausforderungen des Alltags

Vor diesem Hintergrund füllt sich der Begriff des Wohlfühlmanagers mit ernster Bedeutung und hoher Relevanz, der in immer mehr Firmen unter unterschiedlichsten Bezeichnungen und Aufgabenzuschnitten diese Beziehungsarbeit aufnimmt.

Vor allem in Branchen wie Pflege oder Gebäudereinigung, in denen Migranten 60 und mehr Prozent der Belegschaft stellen, haben die Kümmerer noch vielfältigere Aufgaben: Sie helfen beim Wohnung finden, Bankkonto eröffnen oder Handyvertrag abschließen und achten darauf, dass der Mitarbeiter seinen Sprachkurs besucht, Mülltrennung lernt oder sein Kind im Hort anmeldet.

Integration kostet Zeit und Geld – ist aber alternativlos

Integration ist eine Herkulesaufgabe, der sich erfreulicherweise immer mehr Unternehmer und ihre Mitarbeiter stellen. Sie ist mit Zeit und Kosten verbunden. Ja. Doch eine Alternative dazu gibt es nicht. Der Lohn sind in der Regel loyale Mitarbeiter, die oft über Jahrzehnte weiteren Nachwuchs für die Firma aus ihrem sozialen Umfeld oder ihrer Ethnie rekrutieren. Das ist Gold wert.
Denn dieser Nachschub an qualifizierten Fachkräften ist wiederum der Garant für gesunde Betriebe, die sich dadurch entwickeln und entfalten. Denn wo Mitarbeiter mangels Kollegen überlastet sind, werden Ergebnisse schlechter, Fluktuation und Krankenstand steigen. Eine Firma ist dann in ihrer Existenz bedroht. Deshalb ist es klug, im Betrieb auf Empathie und Integration zu achten. Und sozial ist es auch.

Mehr zum Thema "Berufsausbildung" lesen Sie auch im Titelthema von Ausgabe 08/2016 des Personalmagazins. (Hier können Sie die aktuelle Ausgabe als App herunterladen.) Darin lesen Sie unter anderem:

  • wie ein eignungsdiagnostisches Tool helfen kann, die Kompetenzen von jüngen Flüchtlingen zu erkennen – auch, wenn diese über keine Zeugnisse verfügen
  • wie Ausbildungsbetriebe Jugendliche mit Handicap integrieren und wo sie Unterstützung für die Inklusion finden
  • wie sich Hauptschüler mit und ohne Abschluss als Azubis fördern lassen.


Schlagworte zum Thema:  Ausbildung, Diversity, Personalentwicklung